Was lesen Sie?
Ich lese gerade „Notes to John“ von Joan Didion und fühle mich dabei schlecht. Wie eine Verräterin. Als würde ich eine Freundin hintergehen. Joan Didion hat für ihren Mann John Dunne die Erkenntnisse aus ihren Therapiesitzungen niedergeschrieben, in denen es vor allem um das Wohl ihrer alkoholkranken Adoptivtochter Quintana geht. Und eben darum, welche Dinge vielleicht nicht so gut gelaufen sind in der Familie Didion-Dunne. Hätte man dies postum veröffentlichen dürfen? Eher nein. Aber die Texte sind geformt, gemacht. Sind sie damit Literatur und somit Kunst, und ist nicht alles Private auch politisch und so auch irgendwie … wichtig? Hätte Joan Didion dem zugestimmt, schließlich hat sie doch auch sehr persönliche Bücher geschrieben? Ich fürchte, das sind Ausreden, um meine unbändige Neugier zu rechtfertigen, denn nichts reizt mich mehr, als in die Leben anderer Menschen spinksen zu dürfen.
Welches Buch haben Sie im Bücherschrank, das Sie bestimmt nie lesen werden?
Mein Vater hat mir vor vielen Jahren fünf Bücher geschenkt – goldgeprägte Leineneinbände mit schwarzem Farbschnitt –, Heines Werke. Aus der goldenen Klassikerbibliothek, verlegt vom Deutschen Verlagshaus Bong & Co., 15 Teile in 5 Bänden. Circa 1910. „Die sind sicher mal viel wert, deswegen sollst du sie haben!“ Ich war damals ein Teenager und las gern. Mein Vater, gelernter Schriftsetzer und Geschäftsführer einer kleinen Druckerei, las ebenso gern. Aber: nie werde ich die Bücher lesen, nie. Nicht nur, weil sie in altdeutsch vorliegen, auch weil mich Heine eigentlich nicht interessiert. Sie sind auch nichts wert. (Sorry, Papa!) Aber sie stehen so schön verloren zwischen Michel Houellebecq und Patricia Highsmith (ich bin nur beim Anfangsbuchstaben ordentlich), dass ich oft grinsen muss, wenn ich bei H vorbeikomme. Außerdem sind – warum auch immer – kleine Herzchen auf den Büchern. Und sie verbinden mich mit meinem Vater, der mir das Bücherlesen vorgelebt hat und bis heute meine Lesesucht teilt. Lange las er ausschließlich Krimis, Wallander und Donna Leon. Irgendwann gab ich ihm „Kafka am Strand“ von Haruki Murakami und „Die Korrekturen“ von Jonathan Franzen und bat ihn, mir zu vertrauen. Seitdem lesen wir die gleichen Bücher. Und: beide lieber Houellebecq als Heine. Ein großes Glück!
Mona Lang ist Programmleiterin für Internationale Literatur und das neu gegründete junge Imprint kiwi space (vorher kiwi sphere) beim Verlag Kiepenheuer & Witsch sowie Mitglied der Geschäftsleitung. Ihr Instagram-Kanal @monalalalong hat 25.100 Follower.
In der Sonntagszeitung vom 7. September finden sich zusätzlich die Antworten von Mona Lang auf die Fragen, was sie sieht, was sie hört – und wann sie zuletzt ihre Meinung geändert hat.