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Seite 1Geil auf Beton
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Seite 2Ein Stück der Identität
Fassadenlandschaften in Schwedt/Oder © Martin Maleschka
Es gab in der DDR den Witz, dass ein Elektriker aus Rügen in Wohnungen im Erzgebirge mit verbundenen Augen die Steckdosen finden würde. Die Standardisierung der Ost-Platte mit Modellen wie der WBS 70 ist eines ihrer Kernmerkmale. Der Künstler Christian Thoelke beschreibt es so: „Durch die Standardisierung vieler DDR-Bauten sind sie mit Identität aufgeladene Motive. In ganz Ostdeutschland bekannt und mit Erinnerungen verknüpft.“ In seinen großformatigen, auch im Minsk zu sehenden Gemälden zeigt er verlassene DDR-Gebäude. Im Bild Kaufhalle von 2020 sind die Fenster mit Pressspanplatten vernagelt, im Vordergrund streunt ein Fuchs umher. Spricht Thoelke über aufgegebene Bauten der Ostmoderne, nennt er sie „Tempelanlagen einer untergegangenen Zivilisation“. Einer Zivilisation, die nur knapp eine Generation zurückliegt. „Und damit sind sie Symbole einer dysfunktionalen Gesellschaft, Erinnerungen an einen zerstörerischen Prozess.“
Thoelke bemerkt in letzter Zeit ein wachsendes Interesse an Kunst zur Ostmoderne, auch aus dem Westen. „Apokalyptisch gesprochen, war der Osten in den 1990er-Jahren Avantgarde. Es war kein Strukturwandel, sondern Strukturabbruch – der in abgeschwächter Form auch anderen Teilen Deutschlands bevorstehen könnte. Verlassene Kaufhallen und Wohngebäude sind so eine Art Kristallkugel für den Westen.“
Dass die DDR-Architektur nicht nur ein Symbol des Leerstands und Vergessenwerdens sein soll, dafür setzt sich das Institut für Ostmoderne ein, die Organisation hinter dem Betonfestival Fritz 51 in Chemnitz. Anlässlich des Festivals erscheint ein Buch, in dem unter anderem an das Kultgebäck „Chemnitzer Platte“ erinnert wird – ein Regionalgebäck mit verschollenem Rezept. Nur alte Fotos legen nahe, dass sich der Mürbeteig-Keks in grauer Betonoptik großer Beliebtheit erfreute.
Geometrische Mosaik-Ornamente in Halle-Neustadt © Martin Maleschka
Tatsächlich gab es das Gebäck Chemnitzer Platte nie. Die Kunstaktion lässt sich als ironisches Statement zur fehlenden Diskurs- und Erinnerungskultur zum Thema Platte lesen. „Zu lange gab es den Trend der Unsichtbarmachung der ostdeutschen Baugeschichte, hier in Chemnitz sahen wir es zuletzt beim geplanten Abriss des leer stehenden Schauspielhauses“, sagt Sophia Pietryga, die Kuratorin der Ausstellung Sicht Beton. „Wir möchten den Plattenbauten, der DDR-Architektur, der Ostmoderne die Plattform für einen unvoreingenommenen Diskurs geben – ohne dabei zu romantisieren oder zu verklären.“ Denn einige Ziele des sozialistischen Wohnungsbaus, wie die soziale Durchmischung innerhalb des Hauses, stellen für Pietryga auch heute noch ein „hehres Ziel“ dar. „Die urbanistische Forschung plädiert nicht ohne Grund seit 100 Jahren für sozialen Wohnungsbau.“
Auch Kurator Kito Nedo sieht einen Grund für das Interesse an dem Thema in der Wohnungsfrage. „Ich glaube, dass die Suche nach günstigem und gutem Wohnraum für viele Menschen eines der prägenden Themen unserer heutigen Gesellschaft ist. Da wagen viele den Blick in die Vergangenheit und stoßen dabei auf das Konzept des ostdeutschen Wohnkomplexes.“
Z+
Z+ (abopflichtiger Inhalt);
Schwarzarbeit:
Ein bisschen grellgelber Populismus
Z+ (abopflichtiger Inhalt);
„The Paper“:
Im Arbeitsplatz gefangen
Z+ (abopflichtiger Inhalt);
US-Architektur:
Die Ästhetik der Autokratie
Am Ende der Ausstellung im Minsk gibt es eine Art Loggia, von der sich ein Blick über das Stadtbild Potsdams bietet. Man sieht die Nikolaikirche und das ehemalige Interhotel, erahnt den Schlosspark Sanssouci und die sozialistischen Plattenbauten aus der DDR. Und wer dort steht, nach der Ausstellung, könnte auf den Gedanken kommen: Es gehört eben alles zu unserer Geschichte, und alles gehört deshalb auch diskutiert. Zwar ist nicht immer dort, wo man wohnt, gleichzeitig die Heimat. Doch es ist immer ein Stück der Identität. Egal ob Plattenbau oder Sanssouci.