Stand: 06.09.2025 06:00 Uhr
Schon ein paar Stichworte reichen, um zu verstehen, dass in Mecklenburg-Vorpommern Geschichten zuhause sind. Für welche Literatur steht Mecklenburg-Vorpommern? Wer sind die wichtigsten neuen und alten Stimmen?
Die Ostsee schmiegt sich gönnerhaft und herrlich an Mecklenburg-Vorpommern. Eine endlos lange Küste. Dazu noch: 2.000 Seen. „Ich weiß, dass ich immer am Meer leben möchte, weil mir das extrem viel gibt. Das erdet mich. Der Blick ins Weite, Offene.“ Wasser ist für Literatur-Popstar Caroline Wahl ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl ihres Wohn- und Schreiborts. Schwimmen und das Meer spielen auch eine Hauptrolle in ihren Romanen „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“. Inzwischen hat sie aber Rostock gegen Kiel getauscht.
Die Autorin Juli Katz bleibt erstmal. Sie ist eine der neuen, frischen Stimmen im Land. „Alles, was sie sieht, ist immer schon da gewesen”, heißt es im Buch, als Annegret denkt. Immer seltener kommt der Bus. Im Dorf gibt es wieder ein neues Hakenkreuz-Graffiti. Und ihr Mann Walther hat kopflos die rund 750 Hühner verkauft, von denen sie eigentlich leben. Sie hält es nicht mehr aus in Mecklenburg-Vorpommern. „Annegret will nach Chicago“ in der gleichnamigen Geschichte von Juli Katz. Dafür hat sie im vergangenen Jahr den Literaturpreis Mecklenburg-Vorpommern bekommen. Sie selbst lebt mit ein paar Hühnern in Vorpommern.
Milieustudie im Stile der Neuen Sachlichkeit
Es zieht sich durch die Jahrhunderte: Die Literatur der Region ist im Ton meist unaufgeregt und schnörkellos. Die Themen: nah am echten Leben. Weltgeschichte zeigt sich vielmehr im Alltag, in der Kneipe, im Tierstall, im Arbeitsamt. „Johannes Pinneberg wird endgültig arbeitslos. Einer von sechs Millionen, ein Garnichts, und was der Garnichts fühlt, denkt und erlebt.“ Mit diesen Zeilen kündigt 1932 der Greifswalder Hans Fallada seinen Roman „Kleiner Mann – was nun?“ bei Verleger Ernst Rowohlt an: Es geht um die wirtschaftlichen Nöte während der Weimarer Republik. Eine Milieustudie im Stile der Neuen Sachlichkeit.
Die großen Männer: Zu ihnen gehören die beiden niederdeutschen Schriftsteller Fritz Reuter und John Brinkman, und die Nachkriegsliteraten Wolfgang Koeppen, Uwe Johnson, sowie Walter Kempowski. Letzterer setzt seiner Heimatstadt Rostock ab den 1960ern – in archivarischer Genauigkeit – ein literarisches Denkmal: „Immer bin ich in Rostock gewesen, auch in den Jahren der Trennung. Ich habe diese Stadt vor und zurück beschrieben, Fotos gesammelt, ja, ich bin sogar so weit gegangen, sie in Papier nachzubauen! Sehnsucht ist gar kein Ausdruck!“
Im Interview spricht der Schauspieler über seine tiefe Verbundenheit zu Mecklenburg und warum Uwe Johnson der Autor seines Lebens ist.
Sibylla Schwarz: Lyrikerin vor 400 Jahren
Zu den ersten literarischen Feministinnen im Land zählt womöglich die Greifswalder Barocklyrikerin Sibylla Schwarz. Vor 400 Jahren war sie die Ausnahme in einer Welt, die Männer dominieren.
Gefellt dir nicht mein schlechtes Schreiben /
Und meiner Feder edles Safft /
So laß nur balt das Läsen bleiben /
Eh dan es dir mehr unruh schafft;Gedicht von Sibylla Schwarz von vor 400 Jahren
Schwarz stirbt mit nicht mal 17 Jahren. Erst seit dem 21. Jahrhundert hat sie die Literaturforschung auf dem Schirm.
Mit 80 wurde Helga Schubert als Autorin neu entdeckt. Seitdem sammelt sie Preise und Auszeichnungen. Nun feierte sie ihren 85. Geburtstag.
Bemerkenswerte Literatur vom Dorf
In der Künstlerkolonie Drispeth in Neu Meteln entsteht bemerkenswerte Literatur – Haus an Haus. Büchnerpreisträgerin Christa Wolf, in deren Werk sich die Landschaft der Region als „Nuancen in Grün“ eingeschrieben hat, lebt viele Jahre neben Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert. Was hält die Schreibenden im am dünnsten besiedelten Bundesland? Dort, wo die Wende Spuren hinterlassen hat, Risse und Umbrüche zur Biografie gehören. Und es damals wie heute politisch brodelt.
Brigitte Reimann zieht 1968 von Hoyerswerda nach Neubrandenburg, schreibt ihr umwerfendes „Franziska Linkerhand“ und findet hier etwas, das ihr immer fehlte: „Jetzt sieht auch der Garten reizend aus, es hat ein bisschen geschneit, und der Blick aus dem Fenster ist genau das, was ich mir all die Jahre in Hoy gewünscht habe – dazu eine himmlische Stille.“
Die Usedomer Literaturtage locken im Frühling viele Besucherinnen und Besucher auf die deutsch-polnische Ostseeinsel.