Der renommierte Düsseldorfer Strafverteidiger Ingo Bott verteidigt Christina Block gegen den Vorwurf der Kindesentziehung. Eine Annäherung an einen unkonventionellen Anwalt.

Es ist ein Ausreizen, ein Ringen um die Deutungshoheit, um die Herrschaft in Saal 237 des Hamburger Strafjustizgebäudes, bis an die Grenzen, die die Strafprozessordnung erlaubt. Irgendwann ist die Richterin massiv genervt, droht, Ingo Bott das Wort zu entziehen, als er wiederholt ihre Einwände ignoriert. Und diese Drohung hat es in sich. Es wäre ein gravierender Eingriff in die Verteidigungsrechte, der nur extrem selten angedroht, noch seltener umgesetzt wird – und zeigt, wie dieses Verfahren zeitweilig zu eskalieren droht.

In einem bekannten Zitat heißt es, Strafverteidigung sei „keine Sterbebegleitung“, „Kampf und Konfliktbereitschaft gehören unabdingbar dazu“. Der Düsseldorfer Anwalt Bott dürfte sich in diesem Verständnis wiederfinden. Derzeit verteidigt er die Hamburger Unternehmerin Christina Block gegen den Vorwurf, sie habe die in der Durchführung gewaltsame Entziehung ihrer beiden jüngsten Kinder in Auftrag gegeben. Bott will einen Freispruch erreichen. Anwaltskollegen sprechen von einem Himmelfahrtskommando. Er jedoch sucht die Herausforderung.

Mittlerweile hat Bott mit seinen selbstbewussten Auftritten – in, aber auch vor dem Gerichtssaal – einen ähnlich großen Bekanntheitsstatus erreicht wie seine prominente Klientin. Wer aber ist der Strafverteidiger, der erst kurz vor dem Prozess an die Seite der Hamburger Unternehmerin rückte? Der Versuch einer Annäherung an einen Anwalt, der sich ungern einordnen lässt.

An einem Prozesstag vergangener Woche ließ es Bott noch einmal krachen, allerdings nicht mit Worten: Als er sich im Gerichtssaal seines maßgeschneiderten Jacketts entledigte, entblößte er die Rückseite seiner schwarzen Anzugweste, die mit einer stilisierten weißen Pin-up-Frauenfigur besetzt war. Welches Zeichen er so setzen wollte, blieb unklar, auch auf Nachfragen von Journalisten.

Es ist ein Kennzeichen dieses Verfahrens, das längst wie ein gesellschaftliches Event besprochen wird, dass Äußerlichkeiten vom Kern abzulenken drohen. Es ist auch ein Prozess der Eitelkeiten. Mit seinem dichten Vollbart und den schulterlangen schwarzen Haaren sehe Bott aus wie Keanu Reeves, wurde bereits beobachtet. Andere fühlten sich an ESC-Star Conchita Wurst erinnert.

Über sein Erscheinungsbild äußert sich Bott in öffentlichen Interviews: Wenn man in seinem Beruf so aussehe wie er, könne man es entweder gar nicht oder richtig. Gar nicht sei quasi ausgeschlossen, wenn einer mit Titeln wie Prof. Dr. Dr. ankomme. So würden die Leute denken. Und dann werde bestimmt auch was dran sein, zitierte ihn das Online-Magazin Zoo:m.

Dass ihm zwei der drei Titel ehrenhalber zugesprochen wurden, ist jetzt Gegenstand von Ermittlungen, wegen Verdachts des Missbrauchs von Titeln. Botts Glaubwürdigkeit erhielt dabei einen Riss. Die unschöne Angelegenheit platzte mitten in eine heikle Phase des Prozesses, der erst in dieser Woche und damit deutlich später als geplant in die Beweisaufnahme überging, was auch an Botts Verteidigungslinie lag.

Paukenschlag während der kurzen Sommerpause

Vor dem Landgericht nutzt Bott die große Bühne, insbesondere seit der Hamburger Strafverteidiger Otmar Kury den gemeinsamen Ring verlassen hat. Es war ein Paukenschlag während der kurzen Sommerpause, Kury soll sich auf einer Vortragsreise nach Hongkong befunden haben, als Block entschied, sich von ihm zu trennen und allein auf Bott und dessen Team zu vertrauen. Block erklärte: „Mir ist daran gelegen, als der Mensch gesehen und gehört zu werden, der ich tatsächlich bin.“

Die Unterschiede zwischen beiden Strafverteidigern könnten nicht größer sein. Das Spiel vor Gericht beherrscht wohl jeder, allerdings ist ihr Auftritt grundsätzlich verschieden. Kury sprach in Nadelstreifen von der „Dame Block“, chauffierte sie im Mercedes S-Klasse-Cabrio unter den Klängen eines Mozart-Requiems hinfort. Bott hingegen verzichtet weitestgehend auf Statusallüren. Die unnahbare Aura von Kury ist ihm fremd.

Wer den 42-Jährigen bei öffentlichen Auftritten erlebt, trifft auf einen zugewandten, rhetorisch versierten Anwalt, der – im Gegensatz zu anderen seines Fachs – nicht verkniffen wirkt und eine gehörige Schippe Humor mitbringt. In Interviews beschreibt Bott seinen Prozessstil: Man komme immer von leise zu laut, aber nur schwer wieder von laut zu leise. Vor Gericht allerdings teilt er immer wieder aus, wird persönlich, etwa, wenn er Nebenklagevertreter Philip von der Meden laut Prozessbeobachtern mit dem Satz angeht: „Hören Sie auf zu grinsen, das lenkt mich ab.“

In öffentlichen Gesprächen äußert sich Bott, dass die Verteidigung von Christina Block eigentlich nicht zu seinen sonstigen Mandaten passe. Bei Entführungsfällen stand er in der Regel an der Seite jener, denen Kinder weggenommen wurden. Wie im Fall der entführten Mädchen Clara und Lara, der 2021 für Schlagzeilen sorgte. Die Mädchen waren nach Paraguay entführt worden, weil ihr Vater beziehungsweise ihre Mutter sie von den Coronamaßnahmen in Deutschland fernhalten wollten. „Jagd nach Impfgegnern in Paraguay”, lauteten die Schlagzeilen. Nach eigenen Angaben konnte Bott zusammen mit dem Auswärtigen Amt die Mädchen ausfindig machen und zurückholen.

In Interviews sagt Bott, er sei einer der „bewährtesten” Rechtsanwälte, die vom Auswärtigen Amt hinzugezogen oder von Mandanten beauftragt würden, wenn Kinder ins Ausland entführt werden. Dann, wenn sich Tragödien abspielten. Aus seiner Sicht ist man mit diesem Stichwort doch wieder eng am Fall Block. Da er überzeugt sei, dass Block unschuldig sei, bleibe nur die Anklage gegen ihren Ex-Mann Stephan Hensel stehen. Und dann sei man doch wieder in seinem Metier, denn die beiden Kinder seien für Christina Block verschwunden.

Es ist die große Klammer in diesem Verfahren, die Bott und Block immer wieder zu schließen versuchen: Dass Ex-Mann Hensel im August 2021 die beiden Kinder unrechtmäßig bei sich in Dänemark zurückbehielt und dies der Ausgangspunkt für alles sei, was auch immer danach passierte. Ob diese Strategie bei Richterin Isabel Hildebrandt verfängt, bleibt abzuwarten. Hensel wird sich wegen Kindesentziehung voraussichtlich in einem eigenen Verfahren vor der gleichen Kammer stellen müssen. Gut möglich, dass Bott dann Christina Block in der Nebenklage vertritt.

Gerechtigkeit sei das Motiv gewesen, beschreibt Bott, das ihn, den Einser-Abiturienten, zum Jura-Studium geführt habe. 1983 im badischen Rastatt unweit der französischen Grenze geboren, studierte er in Freiburg, Sevilla, Montevideo und Passau. Sein Referendariat absolvierte er in Heidelberg und Speyer. Während des Studiums war er am Lehrstuhl für Rechtsphilosophie von Andreas Voßkuhle tätig, dem späteren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Bott arbeitete zudem als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Werner Beulke, der in Medien als „Strafrechts-Papst“ bezeichnet wird. Seit 2019 ist Bott Fachanwalt für Strafrecht.

Spätestens seit er den ehemaligen Duisburger Stadtentwicklungsdezernenten Jürgen Dressler im Loveparade-Prozess vertrat, der einer der Hauptangeklagten war und ohne Auflagen freigesprochen wurde, hat Bott einen Namen als Strafverteidiger. Er gilt zudem als Fachmann im Sportrecht und Wirtschaftsrecht. Nach eigenen Angaben unterrichtet Bott zudem Strafrecht und Menschenrechte an peruanischen Hochschulen.

Romanfigur Pirlo in der Spiegel-Bestsellerliste

Wie Bott in Interviews erläutert, gebe es juristische Bereiche wie das Grundschuldrecht, die für ihn bis heute ein Buch mit sieben Siegeln seien. Strafverteidigung aber sei seine absolute Leidenschaft. Eine, die er nicht nur im Gerichtssaal auslebe, sondern auch auf der literarischen Bühne. Bott ist der geistige Vater von Strafanwalt Anton Pirlo, einer Romanfigur, deren Erlebnisse es bis in die „Spiegel“-Bestsellerliste geschafft haben. Auf die Frage nach Parallelen lehnt Bott ab, Pirlo als Alter Ego zu bezeichnen. Der sei mehr ein Anti-Held, ein totaler Chaot. Pirlo sei eine Spielerei, die vielleicht eine ähnliche Frisur wie er trage, ein ähnliches Alter habe und vielleicht auch ähnlich spreche – ansonsten gebe es keine Gemeinsamkeiten.

Nach eigenen Angaben entstanden ist diese Romanfigur aus Botts Lust am Schreiben und seiner Liebe zu den Romanen von Mario Puzo, dem Schöpfer des Mafia-Klassikers „Der Pate“. Schreiben sei für ihn eine Leidenschaft, die ihn entspanne, wenn er, wie aktuell, anstrengende Verfahren habe. Es sei erholsam, sich mit einem Augenzwinkern mit dem auseinanderzusetzen, was die Tätigkeit als Strafverteidiger mit sich bringe. Über seine Romanfigur Anton Pirlo erklärte Bott einmal: „Er will seine Fälle immer gewinnen, egal wie.“ Typisch Anwalt eben, fügte er hinzu – und nimmt sich selbst damit wohl nicht aus.