Großbritannien steckt wegen einer Steueraffäre der stellvertretenden Premierministerin in einer Regierungskrise mit ungewissem Ausgang. Die Regierung stand auch schon zuvor wegen einer stotternden Wirtschaft, steigender Lebenshaltungskosten und wachsender Unzufriedenheit über hohe Einwanderungszahlen unter Druck. Die Rayner-Affäre löste ein weiteres Beben aus, auf das Premierminister Keir Starmer mit einer großen Personalrochade der Ministerposten reagiert.

Rayners Nachfolger als Vize wird Medienberichten zufolge der bisherige Außenminister David Lammy, der das Justizministerium übernimmt. Neue Außenministerin wird die bisherige Innenministerin Yvette Cooper, deren Posten die bisherige Justizministerin Shabana Mahmood bekommt.

Vizeregierungschefin Angela Rayner hatte am Freitagmittag ihren Rücktritt angekündigt. Für Starmers sozialdemokratische Labour-Partei ist das ein massiver Rückschlag. Die 45-Jährige galt als Galionsfigur des linken Parteiflügels und als Hoffnungsträgerin einer Partei, die in den Umfragen derzeit schwächelt. Zum Verhängnis wurde ihr, dass sie zu wenig Grunderwerbsteuer bezahlt hatte.

Profiteur der Krise ist Rechtspopulist Farage

Wegen der „Nachricht aus Westminister“ zog Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage seine Rede bei der Jahreskonferenz seiner in Umfragen führenden Reform-Partei zeitlich vor. Im Labour-Kabinett säßen nur ausgewiesene Nichtskönner, so der Tenor des Oppositionspolitikers, der seine Zeit nun gekommen sieht. Farage will Premierminister werden, und mit ihm würde Großbritannien ein anderes Land werden. Gewählt wird eigentlich erst 2029, Farage hofft wegen der Krise jetzt auf 2027.

Der Rücktritt der Politikerin ausgerechnet am ersten Tag der Reform-Konferenz passt ins Bild. Farage ließ sich auf dem Messegelände in Birmingham mehrmals feiern. Der Brexit-Vorkämpfer treibt die Regierung schon seit Monaten vor sich her. In laut Farage „100 Umfragen“ sei Reform zuletzt die stärkste Partei gewesen. Im britischen Mehrheitswahlrecht wird die landesweit stärkste Partei jedoch nicht zwangsläufig zur stärksten Fraktion im Parlament.

Großbritannien

:Der Rechtspopulist im Nacken des Premiers

Die britische Regierung bringt Asylbewerber in Hotels unter, nun untersagen Gerichte das in einem Fall in Epping. Und es zeigt sich, wie schwer sich Keir Starmer und seine Minister tun im Umgang mit der Rhetorik von Leuten wie Nigel Farage.

SZ PlusVon Michael NeudeckerPolitikerin mit hoher Glaubwürdigkeit bei Arbeiterklasse

Starmer hat die Partei vom linken Rand unter seinem Vorgänger Jeremy Corbyn weit in die politische Mitte geführt. Rayner galt als Brücke zu einem zutiefst misstrauisch gewordenen linken Parteiflügel.

Sie war in den vergangenen Tagen erheblich unter Druck geraten und hatte zugegeben, sich bei der Frage nach der Höhe der Grunderwerbssteuer für eine Immobilie auf Rat verlassen zu haben, der sich als falsch herausstellte. Sie hatte selbst um eine Untersuchung gebeten, ob sie damit gegen die Verhaltensstandards für Kabinettsmitglieder verstoßen hatte. Diese kam zum Schluss, dass ein Verstoß vorlag.

Rayner gilt als schlagfertige und begabte Politikerin, die keine Auseinandersetzung scheut. Gelegentlich schoss sie übers Ziel hinaus, etwa als sie die politischen Gegner von der Tory-Partei als „Abschaum“ bezeichnete – und sich entschuldigen musste.

Als Ministerin war sie unter anderem für die Themen Wohnen und kommunale Angelegenheiten zuständig. Glaubwürdigkeit in der britischen Arbeiterpartei verlieh ihr vor allem ihr bescheidener Hintergrund als Teenager-Mutter, die in einer Sozialwohnung aufgewachsen war und sich mit viel Fleiß in einer Gewerkschaft nach oben gearbeitet hatte. Auch ihr nordenglischer Dialekt trug zu diesem Ruf bei. Sie ist mit 45 Jahren bereits Großmutter.