Sie hängen in der ganzen Stadt: an Laternen, Zäunen und auf Grünstreifen Zur Wahlzeit verwandeln bunte Plakate jede Stadt in eine riesige Werbefläche. Wahrnehmungspsychologe Axel Buether von der Universität Wuppertal erforscht, wie Menschen visuelle Botschaften verarbeiten. Im Interview erklärt er, warum Wahlplakate auch bei der Kommunalwahl 2025 unverzichtbar sind – und warum eine Partei dieses Jahr überhaupt nicht überzeugt.

Herr Professor Buether, bringen Wahlplakate im digitalen Zeitalter überhaupt noch etwas?

Das ist eine berechtigte Frage. Es ist eine sehr alte Tradition, Wahlplakate vor Wahlkämpfen zu drucken. Wir haben schon am Beginn der Demokratie, sogar schon bei der Revolution 1848/49, die ersten Plakate gesehen – damals waren es eher Fahnen. Aus diesen Fahnen sind dann Plakate für Parteien geworden.

Heute haben sie nach wie vor eine wichtige Funktion als unterstützendes Medium im Wahlkampf. Studien zeigen, dass etwa 90 Prozent der Wählerinnen und Wähler Wahlplakate im öffentlichen Raum wahrnehmen, meistens von ihrer eigenen Partei, aber auch von anderen.

Zahlreiche Wahlplakate auf Wuppertals Straßen – das sagt ihr

Haben die Plakate denn irgendeine Auswirkung auf die Wahlentscheidung?

Nein, der Umentscheidungseffekt liegt wissenschaftlich bei nur einem Prozent oder darunter. Es passiert also äußerst selten, dass jemand ein CDU-Plakat sieht, der vorher Linke wählen wollte, und dann umschwenkt. Das ist aufgrund vieler Erlebnisse im Leben meist schon vorentschieden. Die Wählerinnen und Wähler richten ihre Wahlentscheidung nicht nach dem aus, was sie auf einem Wahlplakat sehen.

Rund um die Kommunalwahl in Wuppertal:

Wozu sind Wahlplakate dann da?

Sie haben einen sehr starken Mobilisierungseffekt. Wahlplakate sind im Grunde Werbung für Parteien – und wie alle Werbung erstmal unerwünscht. Menschen wollen keine Werbung wahrnehmen. Aber sie wirken trotzdem, selbst wenn wir sie nur im Augenwinkel sehen. Die Parteien sagen ihren Anhängern durch die Plakate: Geht wählen, wir sind hier, es sind Wahlen, reißt euch vom Sessel los. Das ist der Sinn dahinter.

Wie funktioniert diese Werbewirkung?

Ähnlich wie bei Bierwerbung. Wenn wir „Beck‘s“ lesen und dann wegschauen, stärkt das bereits die Marke. Der kurze Effekt, im Bruchteil einer Sekunde eine Marke wahrgenommen zu haben, ist schon der größte Wert. Die Marke frischt sich auf, bleibt im Gedächtnis. Wir wissen: Die Partei ist aktiv, sie steht zur Wahl. Deshalb ist auch Wiederholung so wichtig – ich spreche immer wieder die gleiche Botschaft mit leichten Variationen an, damit sich die Wähler das merken.

Was macht ein gutes Wahlplakat aus?

Die Macht von Marken besteht darin, dass sie bekannt sind, sich unterscheiden und für bestimmte Kerneigenschaften wahrgenommen werden. Ein Wahlplakat sollte die Markenidentität stärken. Bei etablierten Parteien sieht man professionell gestaltete Wahlkampagnen mit klarer Markenkommunikation. Im Regelfall nutzt die SPD das traditionelle Rot aus der Arbeiterbewegung, die CDU das Schwarz aus dem deutschen Katholizismus. Das wird bis heute durchgehalten und reichlich kopiert. Jede Abweichung fällt auf.

Manche Parteien arbeiten auffällig häufig mit Humor. Welchen Effekt hat das?

Humor ist schon seit der Antike ein rhetorisches Mittel und bestens geeignet, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Frage ist immer, was eine Partei damit erreichen will: nur die Aufmerksamkeit oder tatsächlich als wählbare Alternative dastehen? Je nach Ziel müssen die Parteien ihre Rhetorik dosieren. Protestparteien versuchen zum Beispiel, ihre potenziellen Wähler mit Zynismus abzuholen. Auch das kann ein Mittel der Mobilisierung sein.

Mit der SPD Wuppertal gehen Sie in diesem Kommunalwahlkampf besonders hart ins Gericht. Warum empfinden Sie die Plakate als misslungen?

Die SPD-Kandidatin (Miriam Scherff, Anm. d. Red.) macht alles, um nicht mehr als SPD-Kandidatin erkannt zu werden. Orange statt dem traditionellen SPD-Rot – aber Orange ist seit den 70er-Jahren CDU-Farbe. Es sieht aus, als schäme sich die Kandidatin für ihre eigene Partei. Das ist fatal, weil die SPD eigentlich eine sehr starke Marke mit treuen Wählern hat.

Die OB-Kandidaten im talzeit-Check:

Beispielsweise bei den Grünen beobachten Sie einen Imagewandel in der Plakatgestaltung. Können Parteien ihre Marke überhaupt ändern?

Die eigene Marke komplett zu ändern, wird nicht funktionieren. Je länger eine Partei existiert, desto stärker wird diese Markenidentität – und desto unmöglicher wird es, sie zu ändern, ohne unglaubwürdig zu wirken. Die CDU kann sich nicht zur Partei der sozialen Gerechtigkeit machen, das würde man ihr nicht abnehmen. Deshalb ist es auch fatal, wenn Parteien die Farbe des Konkurrenten nehmen oder sich von ihrem Markenkern entfernen.

Bei den Grünen ist es so, dass sie sich in ihrer Kommunikation immer mehr dem bürgerlichen Milieu annähern wollen. Das klappt aber nicht von heute auf morgen, sondern das ist ein langfristiger und schrittweise ablaufender Prozess.

Über die Person

Axel Buether ist Professor für „Didaktik der visuellen Kommunikation“ an der Bergischen Universität Wuppertal. Als Wahrnehmungspsychologe erforscht er, wie Menschen visuelle Informationen verarbeiten und welche unbewussten Botschaften durch Farben, Formen und Layouts übertragen werden. Buether hat mehrere Bücher über Farbwirkung und Wahrnehmung veröffentlicht und berät Unternehmen und Institutionen bei der visuellen Gestaltung.