Das farbenfrohe Graffiti an einer Hausfassade in der Oberen Kordel in Wittlich ist zwar groß und auffällig und doch leicht zu übersehen. Um es zu bemerken, muss der Blick nach oben wandern.
Und dann? Einfach weitergehen? Oder lohnt es sich, einen Moment länger hinzusehen und darüber nachzudenken, was es damit auf sich haben könnte?
Über das bunte Graffiti in der Oberen Kordel in Wittlich
Liane Deffert weiß, was dahintersteckt. Die Bildhauerin lebt und arbeitet in diesem Haus. Das Graffiti zeigt laut Deffert tropische Pflanzenmotive. Dazwischen finde sich ein lokales Detail: die berühmte Möhre aus der Wittlicher Säubrennersage. Eine Genehmigung für das Kunstwerk brauchte sie nicht – das Haus steht nicht unter Denkmalschutz.
„Ich wollte es farbig haben“, sagt Deffert. Ein Verwandter habe sie auf die Idee mit dem Graffiti gebracht. Bei ihrer Suche nach einem Graffitikünstler sei sie auf einen Trierer mit dem Künstlernamen Saruk gestoßen. Über ihn hatte unsere Zeitung bereits im Jahr 2022 berichtet. Damals war er Student an der Hochschule Trier. Seinen bürgerlichen Namen möchte er nicht öffentlich machen.
Sie erzählte Saruk von ihren Vorstellungen: von den grünen Pflanzen und der Möhre. Er setzte diese mit viel Spielraum um. „Es sollte etwas Schrilles und Fröhliches werden, das gute Laune macht“, sagt die Anwohnerin. Außerdem solle das Graffiti die Menschen animieren, nicht mit gesenktem Kopf durch die Gegend zu laufen.
Liane Deffert: Künstlerin und Bildhauerin aus Wittlich
Aber wer ist Liane Deffert, die in diesem auffälligen Haus nicht nur wohnt, sondern auch arbeitet und Kunst sichtbar macht? Deffert ist 67 Jahre alt und war von 1986 bis 2022 Kunsterzieherin. Seit 1983 ist sie freischaffende Künstlerin. Als Bildhauerin arbeite sie aktuell mit keramischen Formen, die sie mit in ihrer Umwelt gefundenen rostenden Stahlfragmenten kombiniere.
In ihren aktuellen Werken versuche sie, eine bestimmte Sicht auf die Welt auszudrücken. Im Fokus stehe das Thema Zerstörung: eine Gesellschaft, die zerbreche, kein einheitliches Bild mehr ergebe und aus einzelnen Fragmenten bestehe. Brücken, die einstürzen. Züge, die entgleisen. Menschen, die gezwungen sind, damit zurechtzukommen, und nicht aufgeben. „Das ist nicht unbedingt etwas fürs Wohnzimmer“, sagt sie. Vielmehr seien diese Werke für Ausstellungen gedacht.
Keramik und Rost: Der Weg zum nächsten Kunstwerk
Das gestalterische Arbeiten sei für Deffert spannend, weil sie dabei immer wieder Neues entdecke. Am Anfang stehe oft nur eine vage Vorstellung. Dann beginne ein Prozess des Ausprobierens, Verwerfens und Experimentierens – bis sich schließlich eine passende Form ergebe. Diese soll bewusst leicht verzogen sein, keine exakten Winkel besitzen und dadurch Bewegung ausdrücken.
Zuvor habe sie eine Phase erlebt, in der sie ganz genau wusste, was aus der Keramik entstehen sollte. Doch irgendwann reichte ihr das nicht mehr. Sie suchte nach einer neuen Herausforderung. Also begann Deffert, auf Schrottplätzen und verlassenen Grundstücken nach rostigen Formen wie Eisenplatten zu suchen, die sie „irgendwie gut fand“. Die keramischen Ergänzungen, die sie damit kombiniere, führten oft zu überraschenden Ergebnissen, sogar für sie selbst.
Sie arbeite mit spröden und rauen Materialien – Dingen, die bereits gebraucht wurden und sichtbare Spuren ihrer Geschichte tragen. Durch ihre künstlerische Arbeit erhielten diese Objekte eine neue Funktion und Bedeutung.
Doch wie kommt Deffert auf solche Ideen? „Mich inspiriert, mit offenen Augen durch die gebaute Umwelt zu gehen.“ Für sie seien die Architektur, Städte, Lost Places und interessante Schattenwürfe spannende Inspirationsquellen.
Offenes Atelier in Wittlich: Kunst sehen, Fragen stellen, diskutieren
Aktuell stecke sie mitten in den Vorbereitungen für die Veranstaltung „Offene Ateliers“ des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK). Am Wochenende des 20. und 21. September öffnet Liane Deffert jeweils von 14 bis 18 Uhr ihre Werkstatt in der Oberen Kordel 2 in Wittlich für Besucherinnen und Besucher – in dem Haus mit dem bunten Graffiti. Am Samstag sei gegen 15.30 Uhr eine musikalische Darbietung geplant.
Während dieser Veranstaltung werde sie einige Objekte präsentieren, um einen Einblick in ihre Arbeit zu geben. „Die Gäste dürfen gerne unbequeme Fragen stellen“, sagt Deffert mit einem Lächeln. Es störe sie nicht, wenn jemand sage, dass ihm ihre Kunst nicht gefalle. Im Gegenteil: Der offene Austausch sei ihr wichtig. In der persönlichen Atmosphäre ihrer Werkstatt könne sie Hintergründe erklären und vielleicht auch den ein oder anderen Blick für moderne Kunst öffnen. Zudem könnten ihre Werke käuflich erworben werden.