Der Sturm der Entrüstung wütete in den digitalen Medien derart heftig, dass Stefan Kretzschmar eingriff und bei Instagram um Mäßigung bat: „Liebe Fans. Die Mannschaft braucht euch heute. Bildet eine Einheit mit dem Team. Gebt alles.“

Ihre Mannschaft hatten die Menschen, die es mit den Füchsen halten, dabei gar nicht vergessen, an diesem denkwürdigen Samstagnachmittag in der Berliner Max-Schmeling-Halle. Ihnen ging es in ihrem Protest gegen das Geschehen offenbar um etwas anderes – dass diese Füchse, die sich so schnell und so wenig nachvollziehbar von ihren erfolgreichen Machern trennten, nicht mehr ihre Füchse sind. Dafür sprachen die Plakate mit den Aufschriften „Jaron“ und Kretzsche“ neben grünen Herzen, die hochgehalten wurden. Und noch viel mehr die Pfiffe gegen Bob Hanning, als er in der Pause zum Interview aufs Parkett kam. „Buh“-Rufe musste sich auch Nicolej Krickau, 38, an seinem zweiten Arbeitstag anhören.

„Es ist mir egal“

Dieser Bob Hanning verträgt Gegenwind, viel Gegenwind, oft genug in seinen 30 Jahren im Tophandball wurde daraus Rückenwind. Auch diesmal stellte er sich den Fragen, versteckte sich nicht: „Ich habe die Verantwortung, andere nur Meinungen. Ich habe mich mein ganzes Leben nicht davon beeinflussen lassen, was andere denken.“ Ein Imageschaden für den deutschen Handballmeister? Hanning, 57 Jahre alt, sagt: „Es ist mir egal. Falls ja, kann ich es nicht ändern.“

Für die Fans wird er bis auf Weiteres der Buhmann sein. Der nahbare und treue Jaron Siewert war „einer von ihnen“, Kretzschmar derjenige, der Welthandballer Mathias Gidsel nach Berlin brachte; beide mit hohen Sympathiewerten versehen. Dass das Debüt von Siewerts Nachfolger zur öffentlichen Demontage wurde, werden im Affekt auch viele Hanning auf die Stulle schmieren: 32:39 gegen den SC Magdeburg, sogar 17:29 hatte es gestanden, und die Häme kam gratis – „Ohne Jaron habt ihr keine Chance“, riefen die Magdeburger Fans.

Die Kraft der Männer-Bündnisse

Im ganz normalen Handball-Trubel der nächsten Monate mit Spielen im Drei-Tage-Rhythmus wird bald deutlich werden, ob sich Bob Hannings Prinzip der schöpferischen Zerstörung auch diesmal durchsetzt. Wobei es zu Beginn seiner Karriere in der Bundesliga er war, der gehen musste – im Juni 2005 übergab ihm Präsident Andreas Rudolph die Papiere. Hanning hatte sich zwischen seinem Beruf als Trainer und der Sponsorenakquise am schwierigen Standort Hamburg verheddert. Eine typische Konstellation seines Lebens als Handballmacher trat da schon zum Vorschein: Eine Zeit lang würde es immer gut gehen zwischen Bob Hanning und einem mächtigen Partner neben ihm. Doch nicht lange.

Hanning und das Umfeld – beim Deutschen Handballbund (DHB) oder beim jeweiligen Verein – profitierten von der Kraft der Männer-Bündnisse Hanning/Rudolph, Hanning/Brand, Hanning/Kretzschmar. Da wurde eine Flamme aus einem Funken. Die dann erlosch. Irgendwann. Dazwischen gab es unzählige Fehden mit diesem und jenem – immer wieder Disruption.

Ein Arbeitstier mit höchsten Anforderungen

Hanning war Ende der neunziger Jahre Brands Assistent in der Nationalmannschaft. Später, als Vizepräsident des DHB, half Hanning mit, 2011 die Ära Brand zu beenden. Das war damals inhaltlich zu begründen. Nach 14 Jahren Brand braucht es Veränderung. Doch die B-Note, wie Brand aus dem Amt gedrängt wurde, zeugte von wenig Feingefühl. Bis heute gehen die beiden sich aus dem Weg.

Es ist gewiss nicht einfach, mit diesem Arbeitstier auszukommen. Er stellt höchste Anforderungen an seine Geschäftsstelle, hat viele Presseverantwortliche verschlissen. Bob Hanning lebt seinen Handball 24/7. Die Füchse, das Nachwuchsleistungszentrum, den Partner 1. VfL Potsdam, den er auch trainierte. Das ganze Konstrukt der besten deutschen Nachwuchsarbeit inklusive der Verzahnung mit der Seniorenmannschaft stammt von ihm, wird von ihm täglich vorangebracht. Wem das zu viel ist, soll zu Hause bleiben – oder er wird von Hanning nach Hause geschickt. Nun ist er auch noch Nationaltrainer Italiens. Mit Erfolg.

Im Kleingedruckten der Berliner Chaos-Tage stehen Fakten, die für Hannings Plan sprechen. Er spart sich durch den Trainer-Sportchef-Posten Krickaus ein Gehalt; flugs nannte er das „Magdeburger Modell“, wo ja Bennet Wiegert auch beides inne hat. Das klang schon mal kalkuliert. Vielleicht werde nun frisches Geld für den Kader frei (allerdings erst, sollte es eine finanzielle Einigung mit Siewert und Kretzschmar geben, noch stehen beide rund ein Jahr unter Vertrag).

Auf die „Spiegel“-Geschichte vom Wochenende, wonach Mathias Gidsel eine Ausstiegsklausel zum 30. Juni 2027 hätte und daran mitgewirkt habe, seinen früheren Coach nach Berlin zu holen, antwortete Hanning im Fernsehen: „Die Gesellschafter treffen bei uns die Entscheidungen, nicht die Spieler.“

Einer dieser Spieler, Fabian Wiede, sagte am Samstag zu seinem jetzt frühere Trainer: „Jaron ist einer von uns. Er hat das hier gelebt und geliebt.“ Vielleicht war der Einfluss des 32-Jährigen aufs Gemüt des Meisters größer als vermutet. Und vielleicht ist die Arbeit seines Nachfolgers auch schwieriger als vermutet, aus vielen Ausnahmekönnern schnell wieder eine Mannschaft zu machen. Bob Hanning wird genau hinschauen. Wozu er in der Lage ist, weiß Nicolej Krickau.