Wichtige und große Kunstwerke erkenne man daran, „dass sie durch die Zeitgeschichte hindurch immer wieder Teil eines lebendigen Auseinandersetzungsprozesses“ seien, sagte der Programmgeschäftsführer der Kulturhauptstadt GmbH, Stefan Schmidtkte, im Gespräch mit MDR KULTUR. Diese Auseinandersetzung mit dem Karl-Marx-Monument biete auch das Programm der Kulturhauptstadt.
Wir als Kulturhauptstadt erzählen die Geschichte von vielen ungesehenen Dingen.
Stefan Schmidtkte über das Kulturhauptstadt-Programm
Monument für einen Philosophen
Gleichzeitig wolle der Geschäftsführer nicht vorgeben, wie mit dem Monument umzugehen ist. Das Programm sei lebendig, bestehe aus Film, Musik, Tanz, Bürgerbeteiligung, Zivilgesellschaft. „Wenn die sich damit beschäftigen, ist das okay. Aber wir als Kulturhauptstadt erzählen die Geschichte von vielen ungesehenen Dingen“, so Schmidtke.
Der Karl-Marx-Kopf ist also einer von vielen Köpfen, seine Geschichte von vielen Geschichten in Chemnitz. Zentral durch seine Präsenz in der Stadt, aber nicht zentral in der Erzählung der Kulturhauptstadt über sich selbst.
Marx-Kopf als Lehrer und Barkeeper
Martin König ist einer, der die Geschichte über Marx und Chemnitz auf spielerische Weise weitererzählen will. Er hat seinen Beruf rund um das ikonische Konterfei begründet. Ihm gehört das Bekleidungsgeschäft „Karlskopf“ in Chemnitz.
Der Kopf ist irgendwie cool, einprägsam und Sinnbild der Stadt.
Martin König
T-Shirt-Designer
In Königs Laden gibt es neben Socken und Bauchtaschen vor allem T-Shirts, die den Kopf von Karl Marx ganz unterschiedlich inszeniert zeigen: als Barkeeper, als Lehrer, bei den allermeisten auch mit politischer Botschaft. „Ich habe zum Beispiel ein T-Shirt ‚Der Buntmacher‘. Da ist auch Artikel 1 des Grundgesetzes abgebildet“, so der 35-jährige Chemnitzer. Ein anderes Beispiel sei der „Colour-Karl“ in sechs Farben, der für eine bunte, vielfältige Welt stehe. Die politische Botschaft sei gewollt, macht König deutlich, „weil es eben doch eine bestimmte Art von Menschen anziehen soll und eine andere Art von Menschen eben auch ablehnen soll.“
Chemnitzer Stadtführerin Wagner wirbt für entspannten Umgang
Ramona Wagner arbeitet seit zehn Jahren als Gästeführerin in Chemnitz. Anfang September ist die frühere Ingenieurin gemeinsam mit einer sechsköpfigen Reisegruppe aus Bremen in der Kulturhauptstadt unterwegs. Eine der Hauptsehenswürdigkeiten ist das Karl-Marx-Monument.
Wagner vermittelt den Touristen, warum der Marx-Kopf eigentlich in Chemnitz steht, obwohl der Philosoph selbst nie die Stadt besucht hat. Sie erzählt vom sowjetischen Künstler Lew Kerbel, der das Monument Anfang der 70er-Jahre im Auftrag der DDR realisiert hat. Und, warum die Chemnitzerinnen und Chemnitzer trotz der durchaus politischen Geschichte des Denkmals ein entspanntes Verhältnis zu ihrem „Nischel“ haben. Sie glaube nicht, so Wagner, dass irgendjemand in der Stadt wolle, dass das Monument verschwindet.
Ich glaube es gibt keinen, der möchte, dass er wegkommt.
Ramona Wagner
Stadtführerin
Und doch sei es auch nicht so, dass „wir jetzt ehrfürchtig jede Woche kommen und vielleicht Blumen niederlegen“, sagt die Stadtführerin. Stattdessen werde mit dem „Nischel“ hin und wieder auch spielerisch umgegangen. Das gefalle ihr gut. So wie bei der Eröffnungsfeier zur Kulturhauptstadt. „Es sah einfach gigantisch aus“, schwärmt Wagner.
„Nischel“ als Projektionsfläche für die Kulturhauptstadt
Was deutlich wird, wenn man in der Kulturhauptstadt nach dem Marx-Kopf fragt: Er ist eine Projektionsfläche, bespielbar mit Ideen, Meinungen, Assoziationen. Nicht nur im Programm der Kulturhauptstadt – auch für den T-Shirt-Macher Martin König und alle, die den „Nischel“ betrachten.
Eine Projektionsfläche wird das Monument dann wieder in gut vier Wochen sein. Ende September erleuchtet das Lichtkunstfestival „Light our Vision“ in Chemnitz. Dann sollen ungesehene Potenziale mit Licht visualisiert werden. Wer weiß, welch ungesehenes Potenzial im „Nischel“ steckt.
Redaktionelle Bearbeitung: bh