Berlin – Warum gehen so wenige Syrer zurück in ihr Heimatland, obwohl Diktator Baschar al-Assad im Dezember 2024 gestürzt wurde und ins Exil nach Russland floh?
De facto lebten laut Ausländerzentralregister Ende Juli 955.000 syrische Staatsbürger in Deutschland. Laut dem Bundesinnenministerium waren bis zum 31. August 2025 genau 1867 Personen nach Syrien ausgereist. Die Zahl der eingebürgerten Syrer im gleichen Zeitraum dürfte deutlich höher sein. Zur Einordnung: 2024 erhielten 83.150 Syrer die deutsche Staatsbürgerschaft. Für dieses Jahr liegen die Zahlen noch nicht vor.
Die Gründe, warum die meisten hierbleiben: Viele Regionen in Syrien sind bei Infrastruktur und Sicherheit rückständig. Ganz anders als in Deutschland, einem der wohlhabendsten Länder der Welt.
Er war früher ein islamistischer Terrorist, gibt sich jetzt geläutert: Syrien-Präsident Ahmed al-Scharaa (42)
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„Deutschland zählt zu den stärksten wirtschaftlichen Ländern der Welt“, sagt Faisal Shehadeh (41), Vorsitzender der Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland. „Wenn man hier Kinder in der Schule hat und einen Job, sind acht Monate nicht viel, um eine Rückkehr nach Syrien zu planen.“
Nahost-Experte Naseef Naeem (51) zu BILD: „Die Wirtschaft in Syrien ist auf null. Das Bankensystem ist nicht funktional. Syrer können derzeit nur 60 Dollar pro Woche abheben. Elektronische Bezahlsysteme gibt es nicht.“ Das schrecke Investoren aus dem Ausland ab. Zusätzliches Problem: „In Syrien muss ein funktionierendes Rechtssystem noch aufgebaut werden.“ Grundsätzlich sei die konkrete Sicherheitslage gut. „Aber das abstrakte Sicherheitsgefühl ist schlecht.“ Es gebe Übergriffe auf Minderheiten wie Drusen, Alawiten, Christen oder Kurden. Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben, fühlten sich unsicher beim Gedanken an eine Rückkehr.
Darum kehren die Syrer nicht zurück
Seine düstere Prognose: „Wenn Syrien es in den nächsten Monaten nicht schafft, über den Berg zu kommen, wird es schwierig, die Menschen zurückzubringen.“ Die deutsche Politik müsse Förderprogramme für das Land aufsetzen, „und dabei auf die syrische Expertise in Deutschland zurückgreifen.“
Nahost-Experte Naseef Naeem sagt aber auch: „Natürlich kehren Flüchtlinge schneller aus einem Lager im Libanon in die Heimat zurück als aus Deutschland, wo ihre Lage besser ist.“
Shehadeh erwartet, dass vor allem diejenigen eine Rückkehr überlegen, die keine Arbeit in Deutschland haben, „oder die in Gegenden leben, in denen Ausländer nicht so beliebt sind“. Aber auch für sie gäbe es große Probleme in Syrien. „Häuser sind zerstört, ganze Wohnblöcke fehlen. Gerade in Aleppo oder Homs.“
Auch solche Szenen gibt es in Syrien: Menschen in einer Strandbar nördlich der Küstenstadt Latakia
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BamF) schätzt das ähnlich ein. In einem „Entscheiderbrief“ vom August heißt es: „Insbesondere die politisch instabile Lage sowie die fehlende Infrastruktur in Syrien und die daraus resultierenden Erschwernisse führen zu einer erschwerten Umsetzung der Reintegrationsunterstützung im Zielland.“
CDU: Mehr Syrer sollen Deutschland verlassen
Zwei führende CDU-Experten möchten, dass mehr syrische Staatsbürger in ihre Heimat zurückkehren, um sie wiederaufzubauen – und warnen davor, wegen Sozialleistungen hierzubleiben. Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagt zu BILD: „Der ursprüngliche Fluchtgrund, die Schreckensherrschaft des Assad-Regimes, ist weggefallen.“
Throm weiter: „Es ist deshalb zu erwarten, dass syrische Staatsbürger wieder in ihr Heimatland zurückkehren und sich am Wiederaufbau beteiligen. Dies gilt vor allem für diejenigen, die erst kurz hier sind oder die nach vielen Jahren noch nicht integriert sind, insbesondere arbeiten.“
Syrer sollen in ihre Heimat zurück, sagt Alexander Throm (56), innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
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Innenpolitiker Marc Henrichmann (49, CDU), Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, fordert: „Der wirtschaftliche Anreiz hierzubleiben darf nicht höher sein als das Interesse, am Wiederaufbau des Landes mitzuwirken. Das bedeutet aber auch: Wir müssen helfen, vor Ort zu stabilisieren und beim Wiederaufbau zu helfen und in Sicherheitsfragen zusammenzuarbeiten.“
Henrichmann sieht noch weiteren Handlungsbedarf. „Der Verteil-Mechanismus entscheidet“, sagt er. „Niemand, der nach Europa kommt, darf perspektivisch noch wissen, in welchem Land er landet. Damit die Frage von Sozialleistungen nicht die Motivation ist.“ Die Reform des Bürgergeldes – gerade mit Blick auf gesetzlich anerkannte, aber nicht integrations- und arbeitswillige Geflüchtete – müsse jetzt schnell kommen.
CDU-Innenexperte Marc Henrichmann (49) möchte nicht, dass Syrer wegen Sozialleistungen in Deutschland bleiben
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Naseef Naeem (51) ist Jurist und Nahost-Experte mit Schwerpunkt auf Staats- und Verfassungsfragen. Er wurde 1974 in Syrien geboren und lebt seit 22 Jahren in Deutschland. Seit 2014 leitet er gemeinsam mit dem Orientalisten und Nahost-Experten Daniel Gerlach das Beratungsnetzwerk „zenithCouncil“ zu Fragen von Recht und Staat in der arabischen Welt.
Faisal Shehadeh (41) ist Vorsitzender der Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland. Die Gesellschaft vertritt Mediziner und Studierende mit syrischer Herkunft und hilft ihnen bei der Integration in Deutschland. Shehadeh stammt aus Aleppo, wo er auch studierte.