Um Mitternacht an einem fremden Bahnhof – und alle Anschlusszüge weg. Dutzende Fahrgäste haben die Nacht zum Montag auf der Frankenbahn zwischen Würzburg und Stuttgart in einer zugigen Bahnhofshalle verbringen müssen. „Wir haben uns wie ausgesetzt gefühlt“, sagte Johannes Waller. Unter anderem hätten sich Familien mit Kleinkindern, Senioren und alleinreisende Jugendliche unter den Fahrgästen befunden, berichtete der 26-jährige Student aus Ludwigsburg.

Der Vorfall ist Folge einer der aktuell vielen Baustellen im Schienennetz. Schon in Würzburg war der Zug am Sonntagabend mit leichter Verspätung gestartet. Dass er nicht durchfahren würde, erfuhren viele Fahrgäste offenbar erst kurz vor der Abfahrt. Wegen Bauarbeiten verkehre die Bahn nur bis Lauda. Von dort fahre ein Schienenersatzverkehr bis Neckarsulm. Seit Ende August wird die Strecke saniert. Schotter, Schwellen und Gleise werden ausgetauscht und rutschende Böschungen gesichert. In Neckarsulm wird eine Brücke neu gebaut. Doch offenbar war das nicht in allen Fahrplänen deutlich geworden.

Ein Gelenkbus für 150 Fahrgäste

Vor allem hatte sich der Betreiber Arverio nicht auf das üblicherweise erhöhte Fahrgastaufkommen am Sonntagabend vorbereitet. „Wir waren etwa 150 Fahrgäste und mussten uns in einen einzigen Gelenkbus zwängen“, sagte Waller. Für rund 30 Fahrgäste war die Fahrt schon in Lauda zu Ende. Sie kamen einfach nicht mehr in den Bus, der zudem eine ganze Weile nicht losfahren konnte. „Es wurde ewig diskutiert, wer noch mitfahren darf.“

Ein Vergnügen war die Fahrt nicht. Dicht gedrängt ging es über Landstraßen in Richtung Neckarsulm. „Es war wie in einer Sardinenbüchse“, sagte Waller. Der Zug braucht für den Abschnitt normalerweise eine knappe Stunde. Für den Ersatzbus sind eine Stunde und 50 Minuten kalkuliert. Jetzt kam er erst nach zweieinhalb Stunden ans Ziel, ließ die Fahrgäste aussteigen und brauste davon. Der Anschlusszug war weg – und vielen wurde klar, dass sie nicht mehr Hause kommen würden.

In diesem Moment sei ein Gegenzug eingefahren. „Wir sind alle hin gerannt, um mit dem Zugführer zu reden.“ Dabei stürzte eine ältere Dame. „Wir mussten einen Krankenwagen rufen“, sagte Waller. Der Zugführer wollte oder konnte nicht helfen. Er sei nur zum Fahren da und habe jetzt Dienstschluss. Sein Tipp: Von der Deutschen Bahn komme noch eine Regionalbahn, die immerhin bis Heilbronn fahre.

Der nächste Zug fährt um 4.30 Uhr

Dort war dann allerdings exakt um 23.59 Uhr endgültig Schluss. Die Schaffnerin der Regionalbahn sei zwar hilfsbereit gewesen und habe die Leitstelle angefragt. „Ich habe gedacht, wir kriegen jetzt alle Taxi-Gutscheine“, sagte Waller. Doch dann habe es nur geheißen: Das sei ein Problem von Mitbewerber Arverio. Der nächste Zug in Richtung Stuttgart fahre um 4.30 Uhr.

Manche Fahrgäste verbrachten die Nacht am Heilbronner Bahnhof. Foto: IMAGO/imagebroker

Manche ließen sich aus Stuttgart abholen. Rund 20 Leute hätten aber wohl tatsächlich die Nacht am Heilbronner Bahnhof verbracht, darunter auch zwei ausländische Familien mit Kleinkindern. Sie hätten kein Geld für ein Taxi und fürchteten auch, den Papierkram nicht bewältigen zu können, um die Kosten von Arverio erstattet zu bekommen, erzählten sie Waller.

Ob es Geld zurückgibt, ist ohnehin unklar. Die Nutzung alternativer Verkehrsmittel wie eines Taxis ist nach 24 Uhr möglich, vorausgesetzt sonst fährt nichts mehr. Erstattet werden auf Antrag maximal 120 Euro. Lehnt der Betreiber dies ab, gibt es bei Verspätungen von mehr als 60 Minuten zumindest eine Teilerstattung des Fahrpreises. Für Nutzer des Deutschlandtickets sind das aber nur pauschal nur 1,50 Euro.

Die Fahrgäste rücken zusammen

Arverio, Deutsche Bahn und das Landesverkehrsministerium äußerten sich bisher nicht zu dem Vorfall, der zumindest einen positiven Effekt hatte: Die Fahrgäste verbanden sich in der Not zu einer solidarischen Schicksalsgemeinschaft. Er selbst habe sich mit drei anderen schließlich ein Taxi genommen. Die Kosten von 120 Euro habe man sich geteilt. „Zwei wohnen auch in Ludwigsburg, der Dritte wollte mit der letzten S-Bahn weiter nach Esslingen.“ Die habe der dann aber auch verpasst. „Der hat dann bei mir auf der Couch geschlafen.“ Waller sieht es so: „Wenn einen die Bahn schon im Stich lässt, müssen wenigstens ihre Nutzer zusammenhalten.“