HämophilieHämophilie: Unbehandelt potenziell tödlich. Foto: ©iStock.com/Md Saiful Islam Khan

Den allermeisten Menschen ist es nicht bewusst: Eine blutende Verletzung setzt in unserem Körper eine ganze Kaskade von Maßnahmen in Gang mit dem Ziel, die Blutung stoppen. Selbst kleine Wunden würden sonst nicht aufhören zu bluten. Zunächst ziehen sich die Gefäße zusammen, damit weniger Blut fließen kann (Vasokonstriktion), anschließend bilden Blutplättchen einen ersten „Pfropf“ (primäre Hämostase). Erst dann beginnt die eigentliche Gerinnung, sekundäre Hämostase genannt. Verschiedene Gerinnungsfaktoren – Eiweiße im Blut – sorgen dafür, dass sich die Wunde dauerhaft verschließt. Bei rund 10.000 Menschen in Deutschland funktioniert das nicht so wie es soll; die allermeisten davon sind Männer. Es gibt mehrere Subtypen: Am häufigsten ist Hämophilie A; ihre Ursache findet sich in einem defekten Faktor-VIII-Gen (gesprochen: Faktor acht), so dass kein entsprechendes Protein gebildet werden kann. Sie gilt als die schwere Form der Erkrankung. Bei Hämophile Typ B ist das Faktor IX-Gen (Faktor neun) der Auslöser; die Verläufe sind meist leichterer Natur.

Dank moderner Medikamente haben die Betroffenen mittlerweile die Möglichkeit, ein halbwegs normales Leben zu führen. Das geht aus Daten hervor, die LAWG Deutschland in dem Report „Der Wert medizinischer Innovationen“ zusammengetragen hat. Der Verein, in dem 17 weltweit agierende Pharmaunternehmen organisiert sind, will damit eine Debatte befördern, die den Nutzen von Arzneimittelinnovationen für Mensch und Gesellschaft hervorhebt und von einer reinen Preisdiskussion („Was kostet das Medikament?“) wegkommt.

Hämophilie: Angst und Depressionen als ständige Begleiter

Die Krankheit wirkt weit über das physische hinaus: Ängste vor Blutungen sind ständige Begleiter, die vielen ein normales Leben erschweren. Daten aus den USA deuten darauf hin, dass fast ein Drittel der Menschen mit Hämophilie an Depressionen leiden (gegenüber rund 10 Prozent in der Gesamtbevölkerung). Denn es sind nicht nur Verletzungen, sondern auch so genannte Spontanblutungen in Muskeln, Gelenken oder Gehirn, die oft mit Schmerzen verbunden und sehr gefährlich sein können. Neue Medikamente machen hier einen gewaltigen Unterschied (s. Grafik): Nicht nur ist in den vergangenen Jahren die Zahl der verlorenen Lebensjahre deutlich zurückgegangen. Auch spontane Blutungen können mit den neuen Therapien um rund 95 Prozent reduziert werden.

Seit dem Jahr 2016 gibt es langwirksame Blutgerinnungspräparate, die so genannten EHL-Präparate („extended half-life“), die es den Patient:innen ermöglichen, die Zahl der Injektionen deutlich zu reduzieren. Als Faustregel gilt, dass mit den klassischen Präparaten alle drei Tage gespritzt werden muss – eine Spanne, die je nach Subtyp und Schweregrad nun zwischen einer Woche und vierzehn Tage lang sein kann. Für die Menschen mit Hämophilie bedeutet das mehr Lebensqualität, sie fühlen sich autonomer und selbstbestimmter, werden nicht ständig an ihre Krankheit erinnert.

Gerinnungspräparate sind das Resultat enormer Investitionen. Weltweit haben Pharmaunternehmen seit 1990 über 340 klinische Studien mit 18.000 Patient:innen durchgeführt, um neue Therapieansätze auf Wirksamkeit und Sicherheit zu prüfen, heißt es in dem LAWG-Report. Mit der Einführung der Gentherapie wurde ein weiterer Meilenstein in der Behandlung der Krankheit erreicht. Was nach Science-Fiction klingt, ist heute in den Produktionsanlagen der Hersteller Standard: Ein funktionierendes Gen für den fehlenden Gerinnungsfaktor wird mithilfe eines modifizierten Virus in die Leberzellen eingeschleust. Das Virus übernimmt dabei die Rolle eines Transporters, denn es kann die gewünschte DNA in das Erbgut der Zellen dauerhaft einbauen. Die Strategie ist ein großer Erfolg; im Juni 2025 präsentierte Daten für eine Hämophilie-A-Gentherapie „belegen eine anhaltende Faktor-VIII-Expression und Blutungskontrolle, wobei 81,3 Prozent der Teilnehmer keine Prophylaxe erhielten.“ Soll heißen: Gentherapien stellen „ein blutungsfreies Leben ohne regelmäßige Medikamentengabe in Aussicht“, wie das Ärzteblatt schreibt. Noch ist nicht geklärt, wie lange die Wirkung der Therapie anhält – und ob und wie die Betroffenen ansprechen, ist sehr individuell ausgeprägt.

Gentherapien: Meilenstein, aber noch kein StandardGentherapien: Meilenstein, aber noch kein StandardBluterkrankheit: Moderne Therapien ermöglichen ein fast normales Leben. Foto: ©iStock.com/metamorworks

Noch immer aber werden Gentherapien für Hämophilie-Erkrankte wenig verschrieben – der Zugang der Patient:innen zu diesen Arzneimittelinnovationen ist auch in Deutschland noch bescheiden. Das liegt auch an ungeklärten Finanzierungsfragen. Fakt ist: War die Diagnose Hämophilie vor Jahren noch für die ganze Familie ein schwerer Schock, ermöglichen moderne Therapien heute ein fast normales Leben – mit Sport, Beruf und persönlichen Zielen.

Auch das kann pharmazeutische Forschung.

Der Artikel ist Teil unserer Serie „Wie Innovation Krankheiten besiegt“: https://pharma-fakten.de/schlagworte/schlagwort/wie-innovation-krankheit-besiegt/.