AboMaler Johann Hautle –

Die Bilder dieses 80-jährigen Appenzellers hingen sogar im Louvre

Publiziert: 08.09.2025, 18:36Bauernmaler Johann Hautle sitzt an einem Tisch in seinem Haus in Gonten.

Seine Wohnstube ist auch sein Atelier: Johann Hautle beim Malen daheim in Gonten AI.

Foto: Daniel Ammann

Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.BotTalkIn Kürze:

  • Als einer der letzten Bauernmaler schöpft Johann Hautle Inspiration aus eigenen Erlebnissen.
  • Seine Werke werden weltweit geschätzt und ausgestellt.
  • Auf seinem Hof in Gonten hält er noch vier Kühe und malt täglich.

Wenn Johann Hautle seiner Arbeit nachgeht, scheint es zuweilen, als wäre er aus einem seiner Bilder gefallen. In grauen Hosen, im hellblauen Hemd und in kunstvoll mit Edelweissen verzierten Hosenträgern steht er am Brunnen vor seinem Bauernhaus. Er legt die Pfeife in den Mundwinkel, macht Feuer im Tabak. Dann öffnet er die Stalltür, führt seine Kühe auf die Weide. Lange Schatten fallen auf die Matten, im Alpstein leuchten die Berge im Abendlicht. Die Szene wirkt wie gemalt. Hautle (80) sieht und erlebt sie Tag für Tag und hat doch nie genug davon. «Do gfallts mer eefach», sagt er bloss. «Do bini deheem.»

Zwei Kühe grasen auf einer grünen Wiese in Gonten.

Auf der Chuterenegg weiden die Kühe auf saftigen Weiden – und dienen als Inspiration für die Bilder des Künstlers.

Foto: Daniel Ammann

Mit diesem Flecken Erde ist Johann Hautle wie verwachsen. Die Chuterenegg in Gonten im Kanton Appenzell Innerrhoden hat er kaum je verlassen. Hier findet er die Motive, die er als Künstler verwendet. Hautle ist einer der letzten Bauernmaler. Er arbeitet in der Tradition der Meister des 19. Jahrhunderts wie Franz Anton Haim und Johann Baptist Zeller.

Die Appenzeller und Toggenburger Bauernmalerei ist eine ostschweizerische Volkskunst. Sie hat ihren Ursprung im 16. Jahrhundert. Anfangs wurden Möbel mit Pflanzen, Ornamenten und bäuerlichen Szenen bemalt.

Im 19. Jahrhundert entstand daraus die Senntumsmalerei. Auftraggeber waren Sennen und Bauern, die ihre Welt dargestellt haben wollten. Maler waren oft lokale Handwerker.

Sie arbeiteten auf Holztafeln oder Melkeimerböden und stellten den bäuerlichen Alltag dar. Sie malten Alpaufzüge, Szenen beim Melken und Käsen, die Landschaft.

Wichtige Bauernmaler waren etwa Bartholomäus Lämmler, Franz Anton Haim und Johann Baptist Zeller. Heute gibt es nur noch eine Handvoll Bauernmaler – dazu gehört Johann Hautle aus Gonten AI. Er ist einer der wenigen, die selber Bauern sind.

Mehrere Hundert Bilder hat er in den letzten sechzig Jahren gemalt. Etliche hängen im Museum in Appenzell, viele in Privathaushalten rund um den Globus. Zudem füllen sie in seinem Bauernhaus einen Raum. Hautle war zeitlebens vor allem Landwirt. Auch mit 80 Jahren bewirtschaftet er seinen eigenen Hof. «Dass er das, was er malt, selber lebt, macht seine Bilder authentisch», sagt Rebekka Dörig, Leiterin des Kulturamtes von Appenzell Innerrhoden. Seine Werke hätten etwas Verspieltes und viel Tiefe. Hautle habe sein Handwerk über diese lange Zeit immer weiter verfeinert und ein bedeutendes Werk geschaffen. «Als Bauernmaler steht er heute wohl in einer Reihe mit den alten Meistern.»

Johann Hautle arbeitet jeden Tag im Atelier

An diesem heissen Nachmittag im August sitzt Johann Hautle in seinem «Atelier» – am Tisch in der Wohnstube. In der rechten Hand hält er einen kleinen Pinsel, in der linken einen Lappen. Die Brille weit vorn auf der Nase, hat der Künstler nur noch Augen für sein neustes Gemälde. Mit dem Werkzeug, das für Profis aus den Haaren des sibirischen Feuerwiesels hergestellt wurde und eine feine, elastische Spitze hat, nimmt er von einem Teller Farbe auf. Mit ruhiger Hand führt er den Pinsel übers Bild. Er tupft Euter und Augen der Kühe. Zeichnet hier das Kleid eines Bauern, malt dort den Schweif eines Pferdes, das Dach eines Hauses. Strich um Strich erweckt er seine bäuerliche Welt zum Leben.

Gemälde von Johann Hautle zeigt eine idyllische Alpenlandschaft mit Bergen, Häusern und Weidetieren.

Johann Hautle mit einem seiner vielen Werke. Es zeigt die Meglisalp, wo er viele Sommer als Senn verbrachte.

Foto: Daniel Ammann

Johann Hautle arbeitet jeden Tag im Atelier. Mal ist es eine Stunde, mal sind es vier. «I moole, as Zit dörigoot», sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. «Ond wöll is geen tue.» Diese kreative Arbeit tut ihm gut. Sobald er zum Pinsel greift, verblassen die Mühen des Alters. Er spürt die Schmerzen in den Hüften nicht mehr, vergisst das Hinken, das ihn plagt. «Ich bin zwar achtzig», sagt er. «Aber wenn ich male, fühle ich mich zwanzig Jahre jünger.»

Die Ideen für seine Werke fliegen ihm zu. Er braucht keine Inspiration von früheren Bauernmalern und ihren Werken, die in seiner Stube hängen. Er habe nie bei anderen abgemalt, betont er. Er schöpfe aus seiner Fantasie und der Erinnerung. «Miini Bölde sönd tüüf i meer inne.»

Der Bauernmaler wollte das tun, was seine Vorfahren getan hatten

Aus gutem Grund. Die Welt, die er malt, ist ihm seit der Geburt vertraut. Johann wuchs als eines von vier Kindern auf einem Bauernhof in der Ortschaft Enggenhütten in der Gemeinde Schlatt-Haslen auf – nur wenige Kilometer von seinem heutigen Wohnort entfernt. Seine Jugendzeit war von Einfachheit und Arbeit geprägt. Zur Schule gingen die Kinder nur halbtags. Danach mussten sie auf dem Hof mit anpacken. Mussten heuen, misten, füttern und melken. Das sei üblich gewesen damals. «Wir halfen einander, da war kein Platz für Sonderwünsche», sagt Johann Hautle, ohne zu hadern.

Bauernhof von Johann Hautle in Gonten, umgeben von grünen Hügeln und Bäumen.

Auf der Chuterenegg hat Johann Hautle den allergrössten Teil seines Lebens verbracht.

Foto: Daniel Ammann

Von der harten Arbeit und den Entbehrungen liess er sich nicht abschrecken. Im Gegenteil. Er wählte weder eine Lehre als Handwerker noch eine weiterführende Schule. «Ich hatte einen Traumberuf», erinnert er sich. «Ich wollte das tun, was meine Vorfahren getan hatten.» Mit zwanzig und mit der Hilfe seines Vaters übernahm er den Hof seines Onkels. «Ich wurde einfach Bauer. Und fertig.»

Johann Hautle auf seinem Hof in Gonten

Sein Traumberuf: Johann Hautle auf seinem Bauernhof in Gonten.

Foto: Daniel Ammann

Unverhofft entdeckte er seine zweite grosse Leidenschaft. Schuld daran war sein älterer Bruder Sepp. Er widmete sich in seiner Freizeit der Bauernmalerei. Ihm schaute Johann als Jugendlicher über die Schultern. Zudem fand er Gefallen am Schaffen der alten Meister und ihren Bildern, die bei ihnen zu Hause die Wände zierten.

Mit 18 Jahren setzte sich Johann selbst an den Tisch. Er nahm Pinsel und Farbe zur Hand. «I has eefach tue», sagt er über sein Debüt. «I has nüd gleent. Da ischt i meer inne gse.» Und wie! Bald gehörte das Malen zu seinem Alltag wie das Füttern und Melken seiner Tiere. Er entwickelte seinen eigenen Stil, vereinfachte die Sujets und malte mit Ölfarben auf Holz- und Pavatextafeln.

Nahaufnahme von Johann Hautle, einem Bauernmaler, der ein traditionelles ländliches Gemälde in Gonten malt.

«I moole, as Zit dörigoot»: Johann Hautle beim Malen.

Foto: Daniel Ammann

Er liess sich weder durch Rückschläge noch Kritik entmutigen. Wenn ihm ein Bild nicht nach Wunsch geriet, legte er es zur Seite, nahm es später wieder hervor und stellte es fertig. Und als ihn einmal ein Kollege bei einem Besuch kritisierte, seine Bilder seien keine Kunst und er habe kein Talent, blieb er ruhig und gelassen. «I ha eefach genau so wiitegmoolet.»

Mit Erfolg. Heute ist Johann Hautle ein Meister seines Faches. Seine Werke wurden in bedeutenden Museen wie dem Louvre in Paris ausgestellt. Seine Kundschaft kommt aus der halben Welt – von Bangkok bis Urnäsch. Die meisten schauen persönlich bei ihm vorbei und suchen sich ein Werk aus. Zwanzig bis dreissig Stunden arbeitet Hautle an einem kleineren Bild, manchmal monatelang an einem grösseren. Das hat seinen Preis: Die Gemälde kosten zwischen ein paar Hundert und einigen Tausend Franken. Die Kundinnen und Kunden kämen aus allen Schichten und Altersgruppen, sagt Hautle. «Ich habe schon an einen Ölhändler aus Asien verkauft. Ab und zu sucht sich sogar eine Schülerin oder ein Schüler ein Bild von mir aus.»

Johann Hautle hätte lange Zeit von der Kunst leben können

Die Malerei ist für Johann Hautle nicht nur eine Quelle der Freude und des Glücks, sondern auch ein wichtiger Nebenerwerb. «Ich hätte lange Zeit von der Kunst leben können.» Doch er entschied sich dagegen. Zu sehr hängt er an seinem Beruf. 45 Jahre lang führte Hautle seinen Bauernhof auf der Chuterenegg mit vielen Tieren. Im Sommer zog er zudem als Senn auf die Meglisalp, stellte Käse her und packte im gleichnamigen Gasthaus mit an. «Doo hani no möge, bi nie müed woode.»

Das änderte sich mit dem Alter. Deshalb trat er mit 65 Jahren kürzer. Er verpachtete den grössten Teil seines Landes, blieb aber auf dem Hof wohnen. Ganz als Landwirt aufhören mochte er trotzdem nicht. Heute hält er vier Kühe, zieht die Kälber auf. Zum Leben brauche er diese Arbeit nicht mehr. «Aber das Bauern ist ein schönes Hobby.»

Holzeimer mit bemalter Bauernszene von Johann Hautle, zeigt Kühe und Hirten in einer alpinen Landschaft.

Hautle bemalt auch sogenannte Fahreimer, traditionelle Milchbehälter, mit typischen Appenzeller Motiven.

Foto: Daniel Ammann

Wie lange er das noch pflegen kann, und wie es später auf dem Hof weitergeht, das wird sich weisen. Denn Johann Hautle hat keine Nachkommen. «Eine Familie zu gründen, das hat sich in meinem Leben nicht ergeben», sagt er nur. Trotzdem ist er im Alltag nicht auf sich allein gestellt. Seit Jahren geht ihm eine Bekannte zur Hand. Sie hilft ihm im Haushalt und auf dem Hof. Kauft ein, kocht, versorgt die Kälber. «Ohne ihre Hilfe könnte ich heute kaum mehr hier leben.»

Appenzell Innerrhoden – überall sonst würde es ihm «gottvergessen verleiden»

Dass er einmal wegziehen müsste, das mag sich Johann Hautle gar nicht ausmalen. Auf seiner Scholle hat er so tiefe Wurzeln geschlagen wie die Bäume, die ums Haus stehen. In seinem Leben hat er den Hof höchst selten verlassen. Im Militär war er in Basel einquartiert. Später fuhr er mit einem befreundeten Ehepaar nach Südtirol und war heilfroh, als er nach zwei Tagen wieder zu Hause war. Und vor Jahren, als seine Bilder in Shanghai in China und in Paris ausgestellt waren und der Künstler zu einem Besuch eingeladen wurde, sagte er ohne Zögern ab. «Es wäre mir nicht im Traum eingefallen, dorthin zu reisen», sagt er trocken. «An einem anderen Ort würde es mir gottvergessen verleiden.»

Ein weisses Kätzchen sitzt auf einem Betontrog, während Johann Hautle im Hintergrund steht.

Nebst seinen Kühen sind auf Johann Hautles Bauernhof auch viele namenlose Katzen zu Hause.

Foto: Daniel Ammann

Johann Hautle weiss, wo er hingehört. Auf der Chuterenegg steht er an diesem Abend vor seinem Haus und zieht genüsslich den Rauch aus seiner Pfeife ein. Er schaut über die Weiden, auf denen seine Kühe grasen. «Da ischt schönne, as ime Stuel am Strand zhocke ond uf s Meer usizluege», sagt er schmunzelnd. Dann beobachtet er die jungen Katzen, die auf dem Brunnenrand spielen. Und blickt über die Hügel, auf denen die letzten Sonnenstrahlen tanzen. Es ist ein friedliches, ein malerisches Bild. Wie ein Gemälde.

Bauernmaler und Kunsthandwerker aus der Schweiz

Daniel Röthlisberger realisiert seit mehr als 20 Jahren als Redaktor der «Schweizer Familie» Reportagen, Porträts und Interviews.

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