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Behält Norwegen eine Mitte-Links-Regierung oder gibt es einen deutlichen Rechtsruck? Das Ergebnis hat womöglich Folgen für Energiepreise in Europa.

Oslo – In Oslo stehen sie seit Wochen an jeder dritten Ecke. Einfache Holzverschläge am Shoppingcenter, neben dem Supermarkt, oder vor dem Bahnhof – mit der simplen Botschaft an den Seitenwänden: „Hier kannst du schon vorher abstimmen.“ Die Idee: Wählerinnen und Wähler sollen da abgeholt werden, wo sie gerade sind. Erst einkaufen, dann schnell Kreuzchen machen.

Die Vorab-Wahlkabinen sind in diesem Jahr besonders populär. Über 40 Prozent der Wahlberechtigten haben sie genutzt, um ihre Stimme bei der Parlamentswahl 2025 abzugeben. Viele andere werden am heutigen 8. September in Norwegen zur Wahlurne gehen, traditionell im Kreis der Familie. Wählen ist Event in Norwegen. Der Wahltag fällt hier immer auf einen Montag – auch weil die Norweger am Wochenende gern unterwegs sind, zum Wandern oder Fischen in den Bergen. Und der Alkoholverkauf ist eingeschränkt, wer wählt, soll nüchtern sein.

Wahl in Norwegen: Rechtsruck zeichnet sich ab

Tatsächlich ist eine besonnene Entscheidung in diesem Jahr wohl besonders wichtig, denn die Wahl in Norwegen könnte richtungsweisend sein. Und das nicht nur für das skandinavische Land, sondern für ganz Europa. Denn Norwegen ist seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine zum wichtigsten Energielieferanten geworden, auch für Deutschland. Und der Wahlausgang dürfte Einfluss darauf haben, wie es künftig mit dem Öl- und Gasgeschäft weitergeht.

Die Vorab-Wahlkabinen sind in diesem Jahr in Norwegen besonders populär. Die Vorab-Wahlkabinen sind in diesem Jahr in Norwegen besonders populär. © Peter Sieben

Aktuell zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Mitte-Links-Parteien und dem Lager rechts der Mitte ab. Eher wenig Chancen dürfte die Spitzenkandidatin der konservativen Høyre-Partei, Erna Solberg, haben. Denn in Norwegen ist zuletzt ein deutlicher Rechtsruck zu beobachten, und die als rechtspopulistisch geltende Fortschrittspartei (FRP) liegt mit ihrer Kandidaten Sylvi Listhaug im konservativen Lager deutlich vorne. Vor allem viele junge Männer dürften Umfragen zufolge weit rechts wählen.

Auf der anderen Seite steht Amtsinhaber Jonas Gahr Støre von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Spätestens nach dem Zusammenbruch seiner Mitte-Links-Koalition Anfang des Jahres galt Støres politische Karriere eigentlich als beendet. Weil es in Norwegen keine Neuwahlen, regiert die Arbeiterpartei als Minderheitsregierung weiter – und hatte monatelang katastrophale Umfragewerte. Seit der überaus populäre Ex-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wieder in Norwegens Politik mitmischt und Støre unterstützt, ist der Ministerpräsident allerdings wieder überraschend im Aufwind.

Wichtigster Öl- und Gaslieferant seit Ukraine-Krieg: Wie geht es nach der Wahl in Norwegen weiter?

Die großen Themen im Wahlkampf betreffen vor allem Innenpolitik, es geht um Steuern und das Gesundheitswesen. Auswirkungen auf den Rest Europas wird aber vor allem die Energiepolitik haben, und da gehen Rechts und Links klar auseinander. Norwegen – einst das Armenhaus Europas – ist dank seiner Öl- und Gasexporte heute eines der reichsten Länder der Erde. Zugleich nutzen die Norweger selbst zu über 90 Prozent erneuerbare Energien, auf Oslos Straßen sieht man fast nur Elektroautos.

Zuletzt gab es vorsichtige Bestrebungen, Alternativen für das Öl- und Gasgeschäft zu finden. Die reche Fortschrittspartei mit Listhaug hält dagegen. „Listhaug verfolgt eine regelrechte ‚Drill, Baby, Drill‘-Rhetorik à la Trump“, sagt Politologe und Skandinavienkenner Tobias Etzold im Gespräch mit unserer Redaktion. Das verfange durchaus bei vielen Norwegern – nicht nur bei denen, deren Jobs direkt mit der Öl- und Gasbranche zusammenhängen. Denn: Die Gewinne aus den Fossil-Exporten nähren einen gewaltigen Pensionsfonds, und damit das üppige Sozialsystem des Landes. Derweil steigen die Energiekosten im Land – unerhört für viele Norweger, für die extrem billiger Strom über Jahrzehnte eine Selbstverständlichkeit war.

Auch die Parteien links der Mitte wollen das lukrative Geschäft mit Öl und Gas nicht komplett beenden – im Gegenteil. Zuletzt wurden gar neue Ölfelder in der Barentssee erschlossen. Aber: Aktuell gibt es Pläne für einen riesigen Offshore-Windpark, die progressiveren Parteien setzen auch auf erneuerbare Energien als neues Geschäftsmodell. Zudem setzen sich die Arbeiterpartei und erst recht die Grünen mit der Frage auseinander, wie es mit Norwegens Wirtschaft weitergeht, wenn Öl- und Gasquellen versiegen, und/oder die Nachfrage im Zuge der Dekarbonisierungstendenzen weltweit sinkt. Und die Partei von Ministerpräsident Støre will – anders als die FRP –, dass die großen Ölkonzerne ihre Förderanlagen zunehmend elektrisch betreiben. Das wiederum sorgt für Angst vor noch weiter steigenden Energiepreisen. Nicht nur in Norwegen, auch in ganz Europa könnte das die Preise für Öl und Gas beeinflussen.

Ob Norwegen also langfristig Lieferant von Öl und Gas bleibt oder auf andere Energiequellen setzt und damit auch entsprechende Entwicklungen im Rest Europas beeinflusst, hängt ein Stück weit vom Ausgang der Parlamentswahl ab.