Als die chinesische Volksbefreiungsarmee zum „Tag des Sieges“ ihr modernstes Gerät und perfekt einstudierte Marschformationen über den Platz des Himmlischen Friedens ziehen ließ, zelebrierte Staats- und Parteichef Xi Jinping auf der Ehrentribüne die Freundschaft mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Wenige Tage zuvor hatten sie auf dem Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) in Tianjin den Anspruch untermauert, die Weltordnung neu zu gestalten. Die Hegemonie des US-geführten Westens soll gebrochen werden und der Globale Süden mehr Mitsprache, Entwicklung und Sicherheit erhalten.

Grundlage dieser globalen Ambitionen ist die „grenzenlose Partnerschaft“, die China und Russland wenige Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 besiegelten. Dass es sich dabei um mehr als eine Floskel handelt, zeigen die über vierzig persönlichen Treffen zwischen Xi und Putin seit 2013 – eine rekordverdächtige Zahl in der internationalen Diplomatie. Das Handelsvolumen erreichte 2024 rund 245 Milliarden US-Dollar und liegt damit fast doppelt so hoch wie vor der Corona-Pandemie. Heute ist China Russlands wichtigster Handelspartner. Chinesische Exporte – von Autos bis Elektronik – schließen die Lücken, die westliche Sanktionen gerissen haben. Russland wiederum liefert China billiges Öl. Zugleich nimmt auch die Zahl gemeinsamer Militärmanöver stetig zu.

Zur Vertiefung der Partnerschaft wurden am Rande des SCO-Gipfels mehr als 20 neue Kooperationen vereinbart – von Landwirtschaft bis Künstliche Intelligenz. Symbolträchtig war neben der chinesischen Visafreiheit für russische Staatsbürger vor allem die Ankündigung, die seit Jahren geplante Gaspipeline Power of Siberia 2 endlich voranzutreiben. Gazprom-Chef Alexej Miller sagte Lieferungen von 50 Milliarden Kubikmetern pro Jahr zu – ein Volumen vergleichbar mit Nord Stream 1 und 2.

Auf den ersten Blick scheinen China und Russland es mit ihrer „grenzenlosen“ Partnerschaft ernst zu meinen. Doch schon bei der geplanten Pipeline zeigen sich Bruchlinien. Peking hat das Projekt lange hinausgezögert – aus Sorge vor Abhängigkeit und wegen Streitigkeiten über den Preis. Dass es nun wiederbelebt wird, liegt an Russlands schwacher Verhandlungsposition: Moskau braucht dringend Alternativen zum europäischen Markt und lockt Peking mit hohen Preisnachlässen. Für China ist das Vorhaben nützlich, aber keineswegs überlebenswichtig.

Das ist symptomatisch für den trotz aller Zuwächse der vergangenen Jahre asymmetrischen Handel, der weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Beide Seiten errichten Hürden: Moskau schützt seine heimische Industrie mit Importzöllen auf chinesische Autos, während Peking den russischen Finanzsektor weitgehend abschottet.

Auch auf gesellschaftlicher Ebene bleibt die Partnerschaft oberflächlich. Kulturaustausch, Tourismus oder wissenschaftliche Kooperation sind marginal. Auf beiden Seiten herrscht stattdessen kulturelle Fremdheit und historisch gewachsenes Misstrauen. Die Sicherheitsdienste beäugen Kontakte argwöhnisch und bei zu engen Beziehungen ins Nachbarland ist der Spionageverdacht schnell bei der Hand.

Auch auf gesellschaftlicher Ebene bleibt die Partnerschaft oberflächlich.

Das verbindende Element für Peking und Moskau ist die Ablehnung der US-Hegemonie. China verweist auf das aggressive Auftreten der Trump-Regierung selbst gegenüber amerikanischen Verbündeten – für Peking ein Beleg für die Scheinheiligkeit der angeblich wert- und regelbasierten internationalen Ordnung. Washington nutze seinen globalen Einfluss, um Chinas Aufstieg zu bremsen. Russland wiederum, das sich in einem Kampf mit den USA und ihren Partnern um die Vorherrschaft in Europa wähnt und jede Unterstützung gebrauchen kann, ist für China ein logischer Partner.

Dabei ist die Interessenpartnerschaft Pekings und Moskaus gegen Washington keine Allianz wie die NATO. Es fehlt eine gemeinsame langfristige Vision für die Partnerschaft und eine zukünftige Weltordnung, die über die Gegnerschaft zu den USA hinausgeht. China will die bestehende internationale Ordnung zu seinen Gunsten reformieren, während Russland auf deren Zerstörung setzt.

Die episodischen Annäherungsversuche der Trump-Regierung an Russland wie zuletzt beim Gipfeltreffen in Alaska verfolgt China dennoch gelassen. Man ist sich sicher, statt echter Freundschaft geht es dem Taktiker Putin darum, einen Keil in den Westen zu treiben und gegenüber China Handlungsfreiheit zu demonstrieren. Trump wiederum strebt aus Sicht Pekings nach Rohstoffen und Einflusssphären und ist von der fixen Idee des Friedensnobelpreises getrieben. Doch all das wird nicht ausreichen, um Russland aus Chinas Einflussbereich zu lösen.

Doch hinter der glitzernden Fassade der chinesisch-russischen Eintracht verbergen sich echte Bruchstellen. Ein Führungswechsel in Moskau oder ein Ende des Ukraine-Krieges könnte den Blick der russischen Eliten rasch wieder auf den Westen lenken. Die klare Rollenverteilung – Peking als Koch, Moskau als Kellner – widerspricht zudem Russlands imperialem Selbstverständnis. China wiederum schielt weiterhin auf den weitaus attraktiveren europäischen Markt und auf eine Schwächung des transatlantischen Bündnisses durch eine Annäherung an Europa. Hinzu kommen weitere potenzielle Konfliktherde wie ein wachsender Nationalismus, alte Grenzkonflikte, geopolitische Rivalitäten in Zentralasien oder der Arktis sowie Moskaus immer engere Beziehung zu Nordkorea.

Die Oberflächlichkeit des chinesisch-russischen Bündnisses ist historisch erklärbar. Über Jahrhunderte prägten Grenzkonflikte und chinesische Gebietsverluste an das Zarenreich das Verhältnis beider Staaten. Auch die kommunistische Allianz nach 1949 zerbrach bald an ideologischen Differenzen und offenen Grenzscharmützeln. Nach dem Ende der Sowjetunion kam es zu einer vorsichtigen Normalisierung. Erst seit der Jahrtausendwende und im Kontext der wachsenden Rivalität mit den USA verfolgt China eine aktivere Russlandpolitik.

Am deutlichsten wird die Fragilität der chinesisch-russischen Beziehungen im Ukraine-Krieg. Hinter verschlossenen Türen bewerten chinesische Experten die russische Invasion als strategischen Fehler. Eigentlich wollte Moskau, so die weit verbreitete Einschätzung, durch die kurze „Spezialoperation“ auch die Asymmetrie in der Partnerschaft mit China korrigieren. Nach deren Scheitern ist Russland abhängiger von China denn je.

Hinter verschlossenen Türen bewerten chinesische Experten die russische Invasion als strategischen Fehler.

Für Peking ist das ein Dilemma: Ein russischer Sieg widerspräche Chinas Anspruch, die UN-Charta zu verteidigen und zugleich den Vorteilen, die ein geschwächtes Russland für China bietet. Eine russische Niederlage hingegen könnte Instabilität an der gemeinsamen Grenze, unklare Kontrolle über russische Atomwaffen und Rückzugsräume für grenzüberschreitenden Terrorismus zur Folge haben. Chinas „pro-russische Neutralität“ mit diplomatischem Flankenschutz für Moskau bei gleichzeitiger Lieferung von Dual-Use-Gütern an beide Seiten löst dieses Dilemma nicht, erlaubt aber ein Spiel auf Zeit. Willkommener Nebeneffekt: Die USA sind für die Dauer des Ukraine-Krieges in Europa gebunden und damit fernab des Indo-Pazifiks.

Auch wenn Peking nicht müde wird, sein Interesse an einem baldigen Frieden in der Ukraine zu betonen, rechnet dort kaum jemand damit. Beide Kriegsparteien, so die Einschätzung, glauben weiterhin an einen militärischen Sieg. Zugleich erweist sich Putins Kriegswirtschaft als widerstandsfähig, während die westliche Unterstützung für Kiew zum Verlieren zu viel, zum Siegen jedoch zu wenig ist. Den chaotischen US-Initiativen wird wenig zugetraut. Für Chinas Planung heißt das: mindestens ein bis zwei weitere Jahre Krieg.

Daher warnt China Europa davor, die bilateralen Beziehungen zu „ukrainisieren“. Aus Pekings Sicht darf der Krieg die Zusammenarbeit nicht blockieren. Europa wiederum kritisiert Chinas Unterstützung für Russlands Angriff auf die europäische Friedensordnung als Verletzung eines elementaren Kerninteresses. Peking weist das entschieden zurück: Man sei weiterhin der größte Handelspartner der Ukraine, habe weder die Krim-Annexion noch Russlands weitergehende Gebietsansprüche anerkannt und teile auch nicht das russische Narrativ eines Präventivkriegs gegen eine drohende NATO-Einkreisung. Zwar habe der Westen legitime russische Sicherheitsinteressen verletzt, doch sieht man darin in Peking keine Rechtfertigung für einen Angriffskrieg. Wie sehr man aneinander vorbeiredet, zeigte der ergebnislose EU-China-Gipfel im Juli 2025.

Ein substantieller Beitrag Chinas zu einem Waffenstillstand oder gar einem Friedensschluss ist daher nicht zu erwarten. Peking sieht die Verantwortung bei den Kriegsparteien, den USA und der EU. Auch beim Wiederaufbau und einer möglichen Beteiligung an der Friedenssicherung hält man sich zurück – und verweist auf logistische, finanzielle und nicht zuletzt politische Hürden.

Ein größeres Engagement in der Ukraine schließt China jedoch nicht grundsätzlich aus. Für eine Abkehr von Russland erwartet Peking allerdings ein attraktives Angebot, um im Wettbewerb mit den USA nicht ins Hintertreffen zu geraten. Würde Brüssel auf diesen transaktionalen Ansatz eingehen, müsste es statt moralischer Ermahnungen vertiefte Wirtschaftsbeziehungen, den Abbau von Handelshemmnissen und mehr „strategische Autonomie“ von den USA anbieten. Ein Preis, den derzeit kaum jemand zu zahlen bereit ist.

Die vermeintliche „Achse der Autokraten“ ist in Wahrheit vor allem eine inszenierte „Bromance“ zwischen Xi und Putin. Fehlender gesellschaftlicher Rückhalt und fehlende ideologische Gemeinsamkeiten werden durch einen Überschuss an Symbolpolitik kaschiert. Europa sollte daher nicht der Erzählung einer unerschütterlichen Allianz erliegen, sondern die Komplexität des chinesisch-russischen Verhältnisses erkennen und strategisch für sich nutzen.