Sabine Abel | Bild: BR/Sabine Abel

Leon Engler: Botanik des Wahnsinns


Leon Engler: Botanik des Wahnsinns  | Bild: DuMont Buchverlag

Die Geschichte von Leon Englers Debütoman beginnt mit einem einschneidenden Ereignis. Die Wohnung der Mutter des Ich-Erzählers wurde zwangsgeräumt und die Umzugsfirma hat aus Versehen alle Kartons mit wichtigen Dokumenten und wertvollen Erinnerungsstücken entsorgt und stattdessen die Kartons eingelagert, in denen sich lediglich alte Rechnungen und aussortierter Abfall befanden. Für den Erzähler steht dieses Missgeschick sinnbildlich für die verkorkste Geschichte seiner Familie. Mit uns blickt er zurück auf einen „Stammbaum des Wahnsinns“, wie er es nennt. In seiner Familie gab und gibt es eine Vielzahl psychischer Erkrankungen, die, seit er denken kann, das Familienleben und sein eigenes Leben geprägt haben. Angefangen bei der Großmutter mütterlicherseits, die unter einer bipolaren Störung litt und zwölfmal versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Sein Großvater mütterlicherseits litt unter Depressionen und war mit den Problemen seiner Frau und später seiner Tochter überfordert. Auch die Familiengeschichte seines Vaters ist geprägt von Depressionen und Suchterkrankungen.
Schon früh hat der Erzähler Angst, dass er selbst auch irgendwann unter einer dieser Krankheiten leiden könnte. Deswegen hält ihn auch nichts in München, der Stadt seiner Kindheit. Er zieht in die Welt hinaus, lebt in New York und später in Wien. Als er erkennt, dass Davonlaufen nichts nützt, studiert er Psychologie und hofft so, die Mechanismen seiner Familie zu verstehen und sich genug Rüstzeug zu verschaffen. Und letztendlich landet er dann doch in der Psychiatrie – als Therapeut.

„Der Roman entfaltet sich in kurzen Kapiteln, die zwischen persönlichen Erinnerungen, philosophischen Reflexionen und literarischen Exkursen wechseln. Was heißt es, ein ‚normaler‘ Mensch zu sein? Wie viel Wahnsinn steckt in uns allen? Welche Rolle spielt die Familie, wenn es darum geht, zu welchen Menschen wir werden? Ein großartiges Debüt! Mein absolutes Lieblingsbuch aus dem August!“

Sabine Abel

Caroline Wahl: Die Assistentin


Caroline Wahl: Die Assistentin | Bild: Rohwolt Verlag

Charlotte, die Protagonistin in Caroline Wahls neuem Roman, wollte eigentlich Musikerin werden. Doch ihre Karrierepläne sind aus verschiedenen Gründen wie den Erwartungen ihrer Eltern und dem Druck, einen „vernünftigen“ Job zu finden, ins Wanken geraten.
Sie nimmt eine Stelle als Assistentin eines renommierten Verlegers in München an. Von Anfang an ist ihr Alltag durchgetaktet mit Terminen, Reisen, Telefonaten. Sie führt ein Leben im Schatten eines Mannes, dessen Bedürfnisse stets Vorrang haben. Charlotte organisiert, filtert, beruhigt und verschiebt, bis kaum noch Platz für sie selbst bleibt. Ihre eigene Wohnung, ihre Beziehungen, selbst die Wochenenden scheinen sich nur um den Rhythmus ihres Chefs zu drehen. Nach außen wirkt sie souverän, doch innerlich wächst eine Müdigkeit, die sich nicht mehr übersehen lässt. Als sie schließlich unerwartet ins Stolpern gerät – beruflich wie privat – beginnt sich ihr sorgfältig austariertes Gefüge zu verschieben.
Caroline Wahl erzählt diese Geschichte mit einer klaren, sehr konzentrierten Sprache. Vieles bleibt ungesagt und entfaltet gerade dadurch eine große Wirkung. Der Leser spürt die Monotonie der Arbeitstage ebenso wie die unterschwellige Spannung, die Charlotte begleitet. Die Figuren sind nicht überzeichnet, sondern präzise beobachtet: der fordernde Chef, die Kollegen, die eigene Familie. Bei allem Stress spürt Charlotte, dass es noch ein anderes Leben geben könnte, eines in dem sie nicht nur anderen gefällt und Erwartungen erfüllt, sondern eines, in dem sie wieder sich selbst gefällt. Das Thema von Abhängigkeit und Selbstbehauptung zieht sich leise, aber eindringlich durch den gesamten Text.

„‚Die Assistentin‘ ist ein Roman über das Funktionieren-Müssen, über die Gefahr, sich im Leben anderer zu verlieren, und über die schwierige Suche nach einem eigenen Standpunkt. Themen, die nicht nur vielen jungen Frauen sehr bekannt vorkommen dürften.“

Sabine Abel 

Mathijs Deen: Die Lotsin


Mathijs Deen: Die Lotsin  | Bild: mareverlag

Dieser Krimi ist bereits der vierte aus der Reihe rund um den Ermittler Liewe Cupido, genannt „Der Holländer“, der es den Menschen in seiner Umgebung nie besonders leicht macht. Er ist ein mürrischer Kauz, stur, unnachgiebig, mit ganz eigenen Ermittlungsmethoden.
Diesmal wird Cupido von seinem jungen Kollegen Xander Rimbach zu einem Fall hinzugezogen, der sich als weitaus komplizierter erweist, als anfänglich vermutet.
Die Glaziologin und Kriminalhistorikerin Iona Tauber soll mit einem Forschungsschiff nach Kiel reisen, um sich dort untersuchen zu lassen, nachdem sie auf einer Forschungsstation in Grönland nach einer Feier aus ungeklärten Gründen mitten in der Nacht und ohne Ausrüstung ins Freie gerannt ist und nur in allerletzter Sekunde von einer Kollegin vor dem Erfrieren gerettet werden konnte. Doch auf hoher See, kurz vor Helgoland, verschwindet die Forscherin plötzlich spurlos.
Xander Rimbach von der Bundespolizei See übernimmt die Befragung der Schiffsbesatzung. Von ihr erfährt Rimbach, dass die Frau ihre Kabine kaum verlassen hatte. Sie hat kaum gesprochen und war sehr verschlossen. Was Rimbach sofort spürt, ist, dass die Stimmung an Bord sehr unangenehm ist. Auch Ionas Ehemann befindet sich auf dem Schiff, er ist der erste Offizier. Was ist zwischen ihm und dem Kapitän los? Warum kam der Notruf, den das Schiff nach dem Verschwinden Ionas abgesetzt hat, so spät? War es Selbstmord, oder hat jemand nachgeholfen? Und was hat Iona eigentlich genau auf der Forschungsstation entdeckt? Zusammen mit Cupido muss Rimbach den Fall lösen, und zwar in Windeseile, da der Kapitän auf die Weiterfahrt drängt.

„Der Kriminalfall selbst ist eher ruhig erzählt, überzeugt aber sehr durch die dichte Atmosphäre und die sehr spannende Schreibweise des Autors. Außerdem merkt der Leser auf jeder Seite, dass sich Mathijs Deen sehr gut mit den Themen des Kriminalromans, wie zum Beispiel dem Klimawandel, beschäftigt hat und wie exakt er recherchiert hat. Ein spannender Krimi, nicht nur für Fans von Seefahrerromanen!“

Sabine Abel

Max Goldt: Aber?  


Max Goldt: Aber?  | Bild: dtv

Max Goldt ist sicher einer der beliebtesten deutschsprachigen Kolumnisten und Schriftsteller. Außerdem kennt man ihn als Musiker, Comic-Künstler und Hörspielautor.
In seinem neuen Buch „Aber?“ präsentiert er eine feine Auswahl seiner Kolumnen, in denen er alltägliche Beobachtungen verarbeitet.
So widmet er sich etwa der Frage, warum sich ausgerechnet das Wort „eigentlich“ unlöschbar in unsere Sätze schleicht, und wie solche sprachlichen Kleinigkeiten den Ton ganzer Gespräche verändern können.
In einer anderen Kolumne nimmt er die merkwürdigen Methoden der Werbung unter die Lupe – etwa, wenn in einer Autowerbung die Landschaft wichtiger scheint als das Fahrzeug selbst.
Auch scheinbar banale Alltagssituationen wie das Betreten eines Aufzuges oder die Wahl eines Wasserglases im Restaurant liefern bei Goldt Anlass zu humorvollen, leicht absurden Gedankenspielen.
Aus einer völlig unspektakulären Situation, etwa der Stimme einer Durchsage im Supermarkt, einem stumpfsinnigen Werbesatz oder einem höflichen Blickaustausch im Café, wird so ein skurriler Moment, der seine Leser zwischen Lachen und Schaudern zurücklässt.
Seine Sprache ist elegant und verspielt. Oft versteht der Leser erst ganz am Ende der Sätze, worauf Max Goldt hinauswill.
Die Stimmung schwankt zwischen lakonischer Ironie, Melancholie und dem Staunen über unser alltägliches Leben. Max Goldts genaue Beobachtungen machen dieses Buch so spannend, schlau und witzig.

„Max Goldt ist sicher kein Witzeerzähler, sondern ein kluger und weitsichtiger, oft sehr sarkastisch-boshafter Beobachter. ‚Aber?‘ ist ein wunderbares Buch für Leser und Leserinnen, die sich an Sprachwitz und Scharfsinn erfreuen. Eine echte Empfehlung für alle, die Literatur lieben und mal wieder ein Buch suchen, das sie immer wieder aufschlagen können und bei dem sie immer wieder aufs Neue überrascht werden.“

Sabine Abel