Das umfangreiche Werk von Stephen King zählt zu den verlässlichsten Zulieferern des Kinos. Für fast hundert Filme und Serien steuerte der bald 78-jährige Autor die literarischen Vorlagen bei. Auch in diesem Kinojahr reißt der Strom der King-Verfilmungen nicht ab. Nach dem klassischen Horrorfilm „The Monkey“ tanzte sich Tom Hiddleston mit „The Life of Chuck“ in die Herzen des Publikums. Bevor im November der dystopische Actionthriller „Running Man” und die TV-Serie „Es” starten, kommt nun noch die Verfilmung von „The Long Walk“ in die Kinos.

Das Ende der Sechzigerjahre geschriebene und erst 1979 unter dem Pseudonym Richard Bachman veröffentlichte Werk ist Kings erster Roman, den er bereits in den frühen Semestern seines Studiums zu Papier brachte. Dennoch dauerte es ganze 46 Jahre, bis der Stoff nun tatsächlich auch auf der Leinwand zu sehen ist. An die erbarmungslose Geschichte eines darwinistischen Gewaltmarsches traute sich keiner wirklich heran. Selbst Horrormeister George A. Romero, der eine Verfilmung ins Auge gefasst hatte, warf schon bald wieder das Handtuch.

Nun hat sich Regisseur Francis Lawrence den sperrigen Stoff vorgenommen, der bereits mit „Die Tribute von Panem“ eine seelenverwandte Story äußerst erfolgreich ins Kino gebracht hat. Die Geschichte ist in einer dystopisch verfremdeten Version der USA angesiedelt. Nachdem das Land einen „großen Krieg“ verloren hat, herrschen dort Hunger, Elend und Perspektivlosigkeit. Regiert wird der faschistoide Staat von einem gewissen Major (Star-Wars-Ikone Mark Hamill), der zur Inspiration und Aufmunterung der notleidenden Bevölkerung jedes Jahr einen langen Marsch veranstalten lässt.

Junge Männer können sich freiwillig melden. Als Preis winken nicht nur ein Millionenvermögen, sondern auch die Erfüllung eines beliebigen Wunsches. Der Wettlauf hat keine Ziellinie. Es geht nicht darum, der Erste sondern der Letzte zu sein, der am Ende übrig bleibt. Bewaffnete Soldaten in gepanzerten Fahrzeugen begleiten die jungen Männer. Wer die Mindestgeschwindigkeit von drei Meilen pro Stunde unterschreitet, wird dreimal verwarnt. Jede Verwarnung wird nach 30 Minuten Fußweg im vorgeschriebenen Tempo wieder annulliert. Wer das nicht schafft oder gar vor Schwäche stehen bleibt, wird von den Soldaten an Ort und Stelle erschossen.

Für fast hundert Filme und Serien steuerte Stephen King die literarischen Vorlagen bei. (Archivbild). Foto: Chris Pizzello/Invision/AP/dpa

In dem mehrtägigen, unbarmherzigen Rennen gibt es am Ende nur einen Überlebenden und Sieger. Vor diesem düsteren und morbiden Wettkampf-Szenario untersuchen Film wie Roman die individuellen Motive der einzelnen Teilnehmer, die hier mit einer klar kalkulierbaren, niedrigen Überlebenschance antreten, sowie die Gruppendynamik, die sich innerhalb eines solch radikal-darwinistischen Regelwerks entwickelt.

Der junge Ray Garraty (Cooper Hoffman) wird von seiner Mutter (Judy Greer) zum Startpunkt gebracht, die vergeblich versucht, ihren Sohn von seinem Plan abzubringen. Seit dem Tod des Vaters lebt die Familie in prekären Verhältnissen. Aber es ist nicht nur die finanzielle Not, die Ray zur Teilnahme am Marsch bewegt. Er hat eigene geheime Beweggründe und hofft, als Sieger den Mord an seinem Vater rächen zu können. Schon bald freundet er sich mit Peter McVries (David Jonsson) an, der als Waisenkind auf der Straße aufgewachsen ist und mit dem Preisgeld anderen Straßenkindern helfen will. Den beiden schließen sich der schmächtige, aber zähe Hank Olson (Ben Wang) und der strenggläubige Arthur Baker (Tut Nyuot) an.

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Während die ersten schwächelnden Teilnehmer gnadenlos von den Begleitsoldaten erschossen werden und andere Teilnehmer ihre Konkurrenten mobben, entsteht zwischen den „vier Musketieren“ ein enger, solidarischer Zusammenhalt. Mit dem lauernden Tod im Nacken intensiviert sich zwischen Ray und Peter vor allem durch ihre Gespräche ein tiefes Freundschaftsgefühl. Das steht in einem starken Kontrast zu der kompetitiven, lebensgefährlichen Situation, in der sich die jungen Männer bewegen. Und so findet sich im Herzen dieses nihilistischen Settings ein optimistischer, humanistischer Kern, der sich mit aller Kraft gegen die gewaltsamen, totalitären Systeme stemmt.

Eine metaphorische Versuchsanordnung

Diese Gegensätze arbeitet Lawrence, wie schon in „Die Tribute von Panem“, kraftvoll heraus. Aber anders als in „Panem“, wo ein großer, differenzierter Zukunftskosmos erschaffen wurde, bleibt das Gesellschaftsszenario in „The Long Walk“ rudimentär. Film wie Roman verstehen sich als metaphorische Versuchsanordnung, die eine eigene erzählerische Dynamik entwickelt, aber auch Grundfragen des menschlichen Seins erörtert. Die Hintergründe des totalitären Systems werden nicht ausgeleuchtet, dessen gewaltsame Auswirkungen auf das Individuum aber umso stärker herausgestellt.

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Dazu gehört auch, dass die Morde der Soldaten an den erschöpften Marschierern aus nächster Nähe mit krassen Schockeffekten gezeigt werden. Kings Roman wurde bei seiner Veröffentlichung 1979 auch als Analogie zum Vietnamkrieg gesehen, in dem junge Rekruten in eine ähnlich erbarmungslose Situation hineingeworfen wurden.

In seiner Filmadaption hebt Regisseur Lawrence wiederum metaphorisch die Nähe zur US-amerikanischen Gegenwart hervor, die von einer zunehmenden ökonomischen Verzweiflung unterer Einkommensschichten und einer wachsenden autokratischen Gewaltstruktur geprägt ist. Diese Herangehensweise beinhaltet auch eine überraschende Schlusswendung, die deutlich von der Vorlage abweicht, aber zeitgemäßer und pointierter wirkt als das Romanende. (Aachen: Cineplex, Alsdorf: Cineplex, Düren: Lumen, Heinsberg: Roxy)

„The Long Walk“, Regie: Francis Lawrence, mit Cooper Hoffman, David Jonsson, Ben Wang, 108 Minuten, FSK: ab 16.