Mehrere bewaffnete Drohnen sind in den polnischen Luftraum eingedrungen – entsprechend scharf ist die Kritik an Russland. Verteidigungsminister Pistorius spricht von einer gezielten Aktion. Auch die NATO will reagieren.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat das Eindringen russischer Militärdrohnen in Polen als beispiellose Verletzung des Luftraums bezeichnet. Deutschland unterstütze alle Schritte, die die Sicherheit Polens und Europas gewährleisteten, sagte der SPD-Politiker nach einem Auftritt im Bundestag vor Journalistinnen und Journalisten.
Es gebe keinen Anlass zu vermuten, dass es sich um Kurskorrekturfehler handele, betonte der Verteidigungsminister. „Diese Drohnen sind ganz offenkundig gezielt auf diesen Kurs gebracht worden. Um in die Ukraine zu fliegen, hätten sie diesen Weg nicht fliegen müssen“, sagte Pistorius. „Sie waren offenkundig, so die Ansagen aus Polen, auch entsprechend munitioniert. Es hätte also auch jederzeit etwas passieren können.“
Merz: „Gefährdung von Menschenleben“
Die Provokation habe sich nicht nur gegen Polen, sondern gegen die gesamte NATO und die europäische Sicherheitsordnung gerichtet. Es gehe Russland eindeutig darum, „unsere Geschlossenheit“ auf den Prüfstand zu stellen, sagte der Minister weiter. Dieser Plan gehe aber nicht auf. „Wir setzen auf Stärke und Geschlossenheit, aber wir lassen uns eben nicht provozieren.“ Bei dem Vorfall habe es sich „nicht um eine Petitesse“ gehandelt, betonte Pistorius weiter. Die NATO werde nun reagieren – „klar, aber auch sehr besonnen und nicht eskalierend“.
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verurteilte den Vorfall scharf: „Russland hat Menschenleben in einem Staat gefährdet, der der NATO und der EU angehört“, sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius. „Dieses rücksichtslose Vorgehen reiht sich ein in eine lange Kette von Provokationen im Ostseeraum und an der Ostflanke der NATO. Die Bundesregierung verurteilt dieses aggressive russische Vorgehen auf das Schärfste.“
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts sagte, „dass Polen natürlich die volle Solidarität der Bundesregierung angesichts der russischen Verletzungen des polnischen Luftraums genießt“. Sie fügte hinzu, „dass wir uns natürlich nicht einschüchtern lassen und gemeinsam entschlossen handeln“.
Artikel 4 des NATO-Vertrags
Nach der Verletzung seines Luftraums durch russische Drohnen hat Polen bei der NATO Konsultationen gemäß Artikel 4 des Nordatlantikvertrags beantragt. Gemäß Artikel 4 kann jeder Mitgliedsstaat im Fall einer Bedrohung seiner „territorialen Integrität, politischen Unabhängigkeit oder Sicherheit“ die Einberufung einer Sitzung des Nordatlantikrates in Brüssel verlangen. Auf der Sitzung des NATO-Rats muss das Thema besprochen werden – das kann zu gemeinsamen Beschlüssen oder Maßnahmen führen, muss aber nicht.
Der Artikel wurde seit Gründung des Bündnisses 1949 sieben Mal in Anspruch genommen – zuletzt am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Der mögliche Anwendungsbereich von Artikel 4 ist weniger klar als das in Artikel 5 des Bündnisvertrags fixierte Beistandsversprechen für den Fall eines „bewaffneten Angriffs“ auf ein oder mehrere NATO-Länder.
Beratungen der NATO-Staaten
Vertreter der NATO-Staaten berieten am Nachmittag auf Antrag Polens im Hauptquartier des Verteidigungsbündnisses in Brüssel über die Ereignisse. Die Sitzung lief unter Artikel 4 des NATO-Vertrags. Dieser sieht Beratungen mit den Verbündeten vor, wenn sich ein NATO-Staat von außen bedroht sieht.
Ein abschließendes Urteil wollte das westliche Verteidigungsbündnis im Anschluss allerdings noch nicht abgeben. Die Prüfung sei noch im Gange, sagte Generalsekretär Mark Rutte in Brüssel. Er nannte das Vorgehen Russlands allerdings absolut rücksichtslos – ganz gleich, ob die Luftraumverletzung absichtlich erfolgt sei oder nicht.
Großbritannien stellt aber bereits eine Verstärkung der NATO-Luftverteidigung über Polen in Aussicht. Er habe die britischen Streitkräfte angewiesen, entsprechende Optionen zu prüfen, sagt Verteidigungsminister John Healey nach einem Treffen mit Vertretern aus Frankreich, Deutschland, Italien, Polen und der Ukraine.
Trump will mit Polens Präsident telefonieren
US-Präsident Donald Trump will nach dem Vorfall mit dem polnischen Präsidenten Karol Nawrocki telefonieren. Dies teilt ein Vertreter des Weißen Hauses mit. Trump und das Weiße Haus verfolgten die Berichte aus Polen, hieß es weiter.
Als Reaktion auf den Abschuss russischer Drohnen sicherte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Polen die volle Solidarität der Staatengemeinschaft zu. Sie drängte auf weitere Sanktionen gegen Russland, um den Druck auf den Kreml und Präsident Wladimir Putin weiter zu erhöhen. Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas wertete das Eindringen der russischen Drohnen in den polnischen Luftraum als Absicht, was zeige, dass „Russlands Krieg eskaliert, er endet nicht“, mahnte sie beim Kurznachrichtendienst X.
Viele Drohnen kamen aus Belarus
In der Nacht auf Mittwoch waren während eines massiven russischen Angriffs auf die Ukraine mehrere Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen und abgeschossen worden. Nach Angaben von Regierungschef Donald Tusk handelte es sich um russische Drohnen.
Tusk sagte, es seien mindestens 19 Verletzungen des polnischen Luftraums in der Zeit zwischen 23.30 Uhr und 6.30 Uhr festgestellt worden. Viele der unbemannten Flugobjekte kamen demnach direkt aus dem Nachbarland Belarus. Das autoritär regierte Belarus ist ein enger Verbündeter Russlands im Krieg gegen die Ukraine.
Bisher keine Berichte über Verletzte
Nach Angaben des Innenministeriums in Warschau wurden bislang sieben Drohnen oder Trümmerteile von Drohnen gefunden. Fünf unbemannte Flugobjekte seien in der ostpolnischen Woiwodschaft Lublin gefunden worden, sagte eine Sprecherin. Eine Drohne sei über der Woiwodschaft Lodz in Zentralpolen abgestürzt, eine weitere über der nordöstlichen Woiwodschaft Masuren-Ermland. Bisher gibt es keine Berichte über Verletzte.
Im ostpolnischen Dorf Wyriki wurde das Dach eines Wohnhauses von Trümmern einer abgeschossenen Drohne getroffen, meldete die polnische Nachrichtenagentur PAP. Verletzt wurde niemand. Wyriki liegt in der Woiwodschaft Lublin und ist etwa 15 Kilometer von der Grenze zu Belarus und um die 35 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Der Generalstab rief die Bevölkerung auf, sich gefundenen Trümmerteilen nicht zu nähern, sondern den Notruf zu wählen und die Polizei über den Fund zu informieren.
Auch deutsche Patriot-Systeme aktiviert
Polen ließ in der Nacht Kampfjets der eigenen Luftwaffe und die im Land stationierten Maschinen von NATO-Partnern aufsteigen. An dem Abwehreinsatz gegen die Luftraumverletzung waren laut NATO-Generalsekretär Rutte neben polnischen F-16-Kampfjets auch niederländische F-35, italienische Flugzeuge sowie deutsche Patriot-Flugabwehrsysteme beteiligt.
Das Verteidigungsministerium in Berlin erklärte, die zwei deutschen Feuereinheiten des Luftverteidigungssystems Patriot am polnischen Flugplatz Rzeszow hätten in der Nacht „sofort die Alarmbereitschaft erhöht“.
Russland gibt sich gesprächsbereit
Das russische Verteidigungsministerium wies die Vorwürfe zurück. „Es waren keine Objekte zur Zerstörung auf dem Territorium Polens eingeplant“, teilte das Ministerium bei Telegram mit. „Die maximale Flugreichweite der bei dem Angriff eingesetzten russischen Drohnen, die angeblich die Grenze zu Polen überquert haben sollen, beträgt nicht mehr als 700 Kilometer“, hieß es weiter. Dennoch sei man bereit, zu diesem Thema mit dem polnischen Verteidigungsministerium Beratungen zu führen.
Aus Belarus hieß es, das eigene Militär habe ebenfalls mehrere Drohnen abgeschossen, die durch elektronische Störmaßnahmen vom Kurs abgekommen seien. Das teilte der belarusische Generalstabschef Generalmajor Pawel Murawejko mit. Woher diese Drohnen stammen sollten, ließ er offen. Belarus habe sowohl Litauen und Polen über den Anflug von Drohnen informiert. Von polnischer oder litauischer Seite sind die Angaben bisher nicht bestätigt.