Vor dem Treffen zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Spitzen der Autoindustrie an diesem Freitag mehren sich europaweit Forderungen nach einer Abschaffung des Verbrennerverbots. „Die Technologie, vollelektrisch zu fahren, ist sicher verfügbar, wir haben aber nicht die Konsumenten mitgenommen“, sagte Martin Fischer, der Geschäftsführer des französischen Autozulieferers Forvia , im Gespräch mit der F.A.Z. „Deshalb ist wichtig, dass Europa sich öffnet und Hybridautos, Plug-in-Hybridautos und Range Extender auch über 2035 hinaus zulässt.“ Zuvor hatten vor allem deutsche Industrievertreter wie VDA-Chefin Hildegard Müller oder Bosch -Chef Stefan Hartung und Politiker wie CSU-Chef Markus Söder auf eine Aufweichung der EU-Verordnung gedrängt, von 2035 an nur noch den Verkauf von Neuwagen zuzulassen, die kein CO2 ausstoßen.
„Wenn man sich anschaut, was erfolgreiche Märkte wie China auszeichnet, ist das ein guter Einklang zwischen Technologieverfügbarkeit, Regulierung und Konsumenteninteressen“, so Fischer weiter. In Europa stehe die Regulierung dagegen „noch nicht ganz“ in Einklang mit der Akzeptanz der Elektromobilität. Obendrein sei zu diskutieren, ob das Verbrennerverbot im Jahr 2035 wirklich das beste ökologische Ergebnis liefere. Die Industrie stehe dahinter, die CO2-Werte zu senken. Man müsse aber die komplette Bilanz und nicht bloß die Emissionen vom Tank zum Rad betrachten, mahnte der Forvia-Chef. Der Autozulieferer war 2024 nach Umsatz der fünftgrößte Europas und der zehntgrößte der Welt. Der gebürtige Deutsche und vorherige ZF-Vorstand Fischer führt den mehr als 150.000 Mitarbeiter zählenden Konzern, dessen größter Geschäftsbereich Autositze sind, seit März.
Neben der Abschaffung des Verbrennerverbots will der Forvia-Chef am Freitag noch eine zweite, von französischer Seite schon lange erhobene Forderung an die EU-Kommissionspräsidentin richten: Local-Content-Vorgaben einzuführen, also ein Mindestmaß an europäischer Wertschöpfung für Europas Autoindustrie verpflichtend machen. „Wir stehen unter erheblichem Wettbewerbsdruck“, hob Fischer hervor. Die Gefahr sei real, von Importen aus Asien und insbesondere China „überrannt“ zu werden. „Als globaler Lieferant kennen wir die Kostenstrukturen in China“, sagte er. Je nach Produkt lägen die dortigen Herstellungskosten für die sehr lokal aufgestellten Forvia-Ableger zwischen 15 bis 30 Prozent unter denen in Europa. Es sei daher „ein durchaus berechtigtes politisches Interesse, hier auf Made in Europe für den europäischen Markt zu drängen“, zumal China und die USA auch solche Schutzmaßnahmen ergriffen haben.
Von China lernen
Für die Großen wie Forvia stelle der scharfe Wettbewerbsdruck „kein Problem“ dar, betonte Fischer. „Wir können unsere Sitze in China, wir können unsere Sitze auch in Europa fertigen.“ Für kleine Zulieferer sei die Lage hingegen sehr problematisch. „Ich halte Local-Content-Vorgaben für sinnvoll, damit wir eine Stabilisierung unserer Lieferantenbasis in Europa gewährleisten können“, entgegnete der Manager auf die Frage, ob die Schutzmaßnahmen nicht zu neuen Handelsspannungen führten. „Wenn zu viele Mittelständler, die nicht die Möglichkeit haben, aus China oder Indien zu liefern, ihre Daseinsberechtigung hier in Europa verlieren, dann kann das zu Zuständen führen, die nicht gut kontrollierbar sind“, so Fischer. Das sei sowohl eine Gefahr für große Zulieferer als auch für die Autohersteller.
Der globale Automarkt sei hart umkämpft, unterstrich Fischer. Die aufstrebenden chinesischen Hersteller schüfen für Forvia als Zulieferer mit technisch führenden Produkten gleichwohl große Wachstumschancen. „Wir wachsen besonders stark in China“, erklärte er. Mehr als 20 Prozent des letztjährigen Konzernumsatzes entfielen auf das Reich der Mitte, die Hälfte davon auf Geschäfte mit heimischen Herstellern. Künftig dürfte es noch mehr sein. So seien im ersten Halbjahr gar 30 Prozent des Auftragseingangs auf China entfallen und davon mehr als zwei Drittel auf Geschäfte mit chinesischen Herstellern. Man sei also „robust gegen Verschiebungen“, die man zwischen den verschiedenen Kunden in den verschiedenen Regionen der Welt sehe.
Fischer nannte es im Lichte von Chinas Aufstieg „zwangsläufig“, dass Europas Autoindustrie ihre Arbeitsweise ändert. Das gelte insbesondere für die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Zulieferern. Entwicklungsprozesse müssten beschleunigt werden, ohne dabei auf die gewohnte Qualität zu verzichten. Hier gebe es bei Forvia schon Fälle, wo man von China gelernt habe. „Wenn Sie herkömmliche Scheinwerfer entwickelt haben, dann waren das Prozesse, die durchaus zwei Jahre dauern konnten. Wir haben jetzt einen Entwicklungsprozess qualifiziert, der uns Scheinwerfer in Qualität innerhalb von nur neun Monaten entwickeln lässt“, so Fischer.
Man betreibe ein „sehr intensives Portfoliomanagement“
Die neuen Realitäten auf dem Automarkt setzten alle Akteure unter Druck, wettbewerbsfähiger zu werden, mahnte der Forvia-Chef. Er rechnet deshalb auch mit einer weiteren Konsolidierung in der europäischen Zuliefererindustrie. Aus Fischers Sicht hat im vergangenen halben Jahr bis Dreivierteljahr die Einsicht zugenommen, dass die Zusammenlegung von Geschäftseinheiten sinnvoll sein könnte, um Marktstärke herzustellen. Forvia selbst hat mit dem 2022 erfolgten Kauf des Lippstädter Lichttechnikspezialisten Hella die Konsolidierung schon vorangetrieben. Die Franzosen gewannen damit an Größe, halsten sich aber just zum Ende der Niedrigzinsphase auch einen hohen Schuldenberg auf. Für den heutigen Forvia-Chef ist das ein Hauptgrund dafür, dass der Konzern an der Börse nach wie vor nur mit kaum mehr als zwei Milliarden Euro bewertet wird – weshalb der Schuldenabbau neben der Forcierung von Innovationen und der Verschlankung von Konzernstrukturen zu seinen Prioritäten gehört.
„Indem wir jetzt in den nächsten Jahren die Schulden abbauen werden, wird sich das auch positiv auf den Börsenpreis auswirken“, zeigte sich Fischer überzeugt. Das soll auch durch die Veräußerung einiger nichtstrategischer Vermögenswerte geschehen. Man betreibe ein „sehr intensives Portfoliomanagement“ und wolle sich künftig auf Aktivitäten fokussieren, in denen man dauerhaft die Marktposition eins, zwei oder mindestens drei belege. Zu den laufenden Verkaufsgesprächen hält sich der Forvia-Chef bedeckt, Details will er im Februar bekannt geben. Klar sei: „Investoren wollen etwas klarer investieren und nicht notwendigerweise in ein Automobilzuliefererkonglomerat.“