Mit der zügigen Ernennung Sébastien Lecornus zum neuen Premierminister hat Präsident Emmanuel Macron das ihm Mögliche getan, um eine weitere Zuspitzung der politischen Krise in Frankreich zu verhindern. Kurzfristig hat er so auch Sorgen besänftigt, die Krise könne auf die Finanzmärkte übergreifen. Die internationalen Investoren hat indes schon der Sturz François Bayrous am Montag wenig beeindruckt. Die Risikoaufschläge auf französische Staatsanleihen sind konstant geblieben, die Zinsen für zehnjährige Staatspapiere liegen mit rund 3,5 Prozent immer noch deutlich unter jenen für amerikanische oder britische Anleihen.

Ökonomen erklären die Diskrepanz damit, dass Frankreich und das noch deutlich höher verschuldete Italien vom Rest der Eurozone abgeschirmt werden, deren Verschuldung im Schnitt immer noch spürbar geringer ist als die britische und die amerikanische – und deren Bonität bis auf Weiteres von Deutschland garantiert wird. In dieser Lesart steht die Währungsunion besser da als die Vereinigten Staaten und Britannien.

Frankreichs Verschuldung droht ungebremst weiter zu steigen

Aber stimmt das? Die Konsolidierung der französischen Staatsfinanzen steht unverändert in den Sternen. Trotz Lecornus rascher Berufung ist ein mittelfristig solider Haushalt nicht gewährleistet. Die Schuldenquote, die schon jetzt bei 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt, droht ungebremst weiter zu steigen. Der Abstand zu Amerika, wo die Quote derzeit etwa 122 Prozent beträgt, schwindet. Und Britannien ist, trotz der höheren Anleiherenditen, mit „nur“ 104 Prozent des BIP spürbar geringer verschuldet.

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Das Muster, dass die Anleihezinsen einzelner Eurostaaten nicht die tatsächliche Lage ihrer Staatsfinanzen widerspiegeln, ist aus der Anfangsphase der Eurokrise bekannt. Die internationalen Investoren interessierten sich lange nicht für die griechischen Staatsfinanzen. Als sich das dortige Defizit aber 2009 durch Statistikkorrekturen auf einmal verdreifachte, explodierten auch die Anleihezinsen; es dauerte nicht lange, bis die Eurozone als ganze in eine existenzielle Krise geriet.

Heute bilden die Märkte die von Frankreich und Italien ausgehenden Risiken wieder nur unvollkommen ab. Das ist politisch gewollt. Seit der Eurokrise wurden in die Währungsunion neue Sicherungen eingebaut. Der Krisenfonds ESM könnte einem strauchelnden Eurostaat mit Krediten helfen. Vor allem agiert die Europäische Zentralbank (EZB) seit Mario Draghis „Whatever-it-takes“-Rede von 2012 als Krisenmanager. Mit dem – bisher nicht eingesetzten – Anleihenaufkaufprogramm TPI (Trans­mission Protection Instrument) verspricht die EZB, zu starke Zinsdifferenzen durch Anleihekäufe einzudämmen. Einen Anreiz zur Konsolidierung setzt sie so nicht, abgesehen davon, dass Gelddrucken nicht zu ihrem Mandat gehört.

Die Bonität Deutschlands wird sich nicht verbessern

Für den Euroraum wäre es nicht trivial, schlitterte nach Italien auch Frankreich in eine Staatsverschuldung jenseits der 120 Prozent des BIP. Die zweit- und die drittgrößte Volkswirtschaft der Währungsunion wären dann – wie auch die Eurozone insgesamt – komplett abhängig von der Bonität Deutschlands. Die wird sich nicht verbessern. Die schwarz-roten Schuldenpläne werden die deutsche Schuldenquote mittelfristig von derzeit gut 60 Prozent auf mindestens 80 Prozent des BIP steigern. Die Durchschnittsschulden der Währungsunion, derzeit knapp 90 Prozent, werden entsprechend steigen. Das Bild einer stabilen Eurozone entspricht dann nicht mehr der Realität.

Das wiegt umso schwerer, als die EU vor allem für ihre Verteidigung mehr Geld ausgeben muss. Ähnlich wie die Mitgliedstaaten verweigert aber auch die EU-Kommission jede Diskussion darüber, welche Ausgaben dafür auf den Prüfstand gehören. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die prekäre Haushaltslage vieler Mitgliedstaaten in ihrer Rede zur Lage der Union am Mittwoch noch nicht einmal abstrakt erwähnt, obwohl deren Prüfung zu den Aufgaben ihrer Behörde gehört.

Von der Leyen verspricht vielmehr für alles und jedes neue Programme und mehr Geld aus EU-Töpfen. Finanzieren will sie diese ebenfalls über (neue) Schulden. Die Kommissionschefin ignoriert oder verdrängt, dass nicht nur die Zinsen auf die Schulden für den Corona-Aufbaufonds bereits erheblich gestiegen sind, sondern dass die Bonität der EU direkt von der schlechter werdenden Kreditwürdigkeit der Mitgliedstaaten abhängt. Einen Blankoscheck zum Schuldenmachen hat die EU weniger denn je.

Die Verwerfungen in Frankreich und anderswo zeigen, dass Haushaltskonsolidierung und Sozialreformen immer schwieriger durchzusetzen sind als neue Schulden. Wäre die EZB aber am Ende zur monetären Staatsfinanzierung gezwungen, mündete das fast sicher in Inflation. Deren politische Konsequenzen wären sicher noch schlimmer als jene von Ausgabenkürzungen.