Caritas und Evangelische Gesellschaft warnen in Stuttgart angesichts der Haushaltsberatungen vor Kürzungen bei den Sozialhilfen und fordern mehr sozialen Wohnungsbau.

Der nationale Aktionsplan des Bundesbauministerium hat das Ziel, die Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 zu überwinden. Ganze fünf Jahre sind das noch. Bei der Stuttgarter Kundgebung zum Internationalen Tag der Wohnungslosen am Donnerstag wurde deutlich, dass keine der Rednerinnen noch an die Umsetzung dieses Ziels glauben mag. Der Blick geht vielmehr voller Besorgnis zu den anstehenden Haushaltsberatungen in Bund und auch in Stuttgart. Dass bei den angekündigten Kürzungen auch die Hilfen im Sozialbereich massiv gekürzt werden, ist die große Sorge aller. Alexandra Stork (Vorständin der Caritas) und Sabine Henniger (Vorständin der Evangelischen Gesellschaft)waren sich bei der Kundgebung vor dem Stuttgarter Rathaus einig, dass das unter allen Umständen vermieden werden müsse.

Sabine Henniger (links) und Alexandra Stork fordern: Keine Kürzung bei den Ärmsten. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Henniger forderte stattdessen einen Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, den Schutz von Mietern vor finanzieller Überforderung und steuerliche Vorteile für Vermieter, wenn sie Wohnraum günstig auf den Markt bringen. Stork verwies auf die 5000 bis 6000 Menschen, „die wir durch unsere Hilfeleistungen in Stuttgart erreichen“. Hinter den Zahlen stünden Menschen – Männer, Frauen, Kinder, alte Menschen und immer mehr Pflegebedürftige. Die niederschwelligen Angebote in der ambulanten, teilambulanten und stationären Hilfe „dürfen wir nicht vernachlässigen“. Gerade die niederschwelligen Hilfen seien es, die Menschen erreichen.

Teilhabe ist überlebenswichtig

Die beiden Frauen sprechen für ein Aktionsbündnis verschiedener Organisationen, Initiativen und Engagierter, das noch bis zum Sonntag verstärkt auf das Thema Wohnungslosigkeit aufmerksam machen will. Darunter sind die Caritas, die Evangelische Gesellschaft, die Vesperkirche, Trottwar, die Straßenuniversität, die Stiphtung Christoph Sonntag, die Neue Arbeit und auch der Login-Bus. Letzterer bietet Wohnungslosen beispielsweise Zugang zum Internet und damit auch zu gesellschaftlicher Teilhabe.

Wie wichtig die ist, verdeutlicht Daniel Knaus vom Verein Trottwar. Jeder Kauf einer Obdachlosenzeitung biete die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme. Als kleinen demokratischen Ort, wo Werte eine Rolle spielen, bezeichnete Vesperkirchenpfarrerin Gabriele Ehrmann das jährliche Angebot in ihrer Kirche. Ein Viertel ihrer Gäste kommen laut einer aktuellen Umfrage aus Sozialhotels, Obdachlosen- oder Notunterkünften. Die Zahl der ausgegebenen Essen sei 2025 um zwölf Prozent gestiegen. Zahlen, die ein Indikator für die sich verschärfende Lage sind. Alle waren sich einig, dass die Angst ihrer Klientel, von den anstehenden Kürzungen betroffen zu sein und sie am eigenen Leib zu spüren, deutlich zugenommen habe.

Konkurrenz unter den Hilfesuchenden

Miriam Schiefelbein-Beck, die Leiterin des Bereichs Armut, Wohnungsnot und Schulden bei der Caritas, beobachtet in diese Zusammenhang eine zunehmende Konkurrenz der Hilfesuchenden untereinander. Ernüchternd klingt ihre Aussage, dass „wir für unsere Menschen eigentlich keinen Wohnraum in Stuttgart finden“. Auch ihr Wunsch lautet: mehr sozialer Wohnungsbau. Wie notwendig der ist, illustriert die Aussage eines wohnungslosen Menschen, befragt nach seinen alltäglichen Herausforderungen auf der Straße: „Mir tun immer die Füße weh. Den ganzen Tag laufe ich rum für Essen, Klo oder medizinische Hilfe. Und nicht mal nachts kann ich die Schuhe ausziehen, weil sie sonst jemand klaut.“

Begegnung schafft Verständnis

Wie wichtig Begegnungen auf Augenhöhe sind, macht eine weitere Stimme deutlich. „Wir hören, wie sie über uns schimpfen, wenn die vorbeigehen. Manche fotografieren uns wie in der Wilhelma. Mehr Respekt würde helfen, selbst wieder jemandem zu vertrauen“, hat ein Mann Daniel Knaus auf die Frage nach seinen Wünschen an Gesellschaft und Politik geantwortet. Die vielen Ehrenamtlichen, die sich etwa als Freiwillige bei der Caritas-Freiwilligenvermittlung Caleidoskop oder bei der Straßenuniversität engagieren, zeigen, dass es viele Angebote und Möglichkeiten gibt, die Hemmschwelle zu überwinden, einander zu begegnen.

Aktion
Am Sonntag, 14. Oktober, geht die Aktionswoche in der Leonhardskirche weiter. Die Predigt dort, hält um 11 Uhr Christoph Sonntag.

Streetcamp
Es schließt sich ab 12 Uhr das Streetcamp-Fest 4.0 an. Vor der Leonhardskirche gibt es dann Live-Musik, Kleidung, Essen und kostenlose Haarschnitte. Veranstalter ist die Stiphtung Christoph Sonntag in Zusammenarbeit mit der Vesperkirche.