Es ist ein Fall, der hoffentlich niemals eintritt, den aber Experten des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesverteidigungsministeriums durchaus für denkbar halten: dass nämlich Russland in zwei, drei Jahren in der Lage und auch willens sein könnte, einen NATO-Staat anzugreifen. Denkbares Ziel: Litauen. In einem solchen Fall würde Deutschland nicht zum Kampf-, aber zum Aufmarschgebiet. Innerhalb kürzester Zeit müssten Hunderttausende NATO-Soldaten per Straße, Schiene und in der Luft einmal quer durch unser Land an die Ostgrenze des Bündnisgebiets verlegt werden, um die russische Armee zu stoppen. Genau dieses Szenario wird vom 25. bis 27. September in Hamburg geübt.
„Red Storm Bravo“ – so heißt das Großmanöver, an dem 500 Soldaten und eine große Zahl an Helfern und Mitarbeitern von Polizei, Feuerwehr und THW beteiligt sind, außerdem Hamburger Behörden und Unternehmen. Die Übung findet in verschiedenen Hamburger Stadtteilen statt. Das Übungsszenario geht davon aus, dass im Hafen bereits große NATO-Truppenkontingente eingetroffen sind, und nun besteht die Herausforderung darin, sie über Straßen und Autobahnen auf den Weg in Richtung Nordosten zu bringen.
Falls Russland das Baltikum angreift, wird Deutschland zum Aufmarschgebiet der NATO
„Sollte Russland beabsichtigen, die NATO zu testen, wird Deutschland zur Drehscheibe für die Verlegung von Truppen und Material an die Ostflanke des Bündnisgebiets“, erläutert der Kommandeur des Landeskommandos Hamburg, Kapitän zur See Kurt Leonards, die Grundidee von „Red Storm Bravo“. „Der militärische ,Operationsplan Deutschland‘ regelt, was dann zu tun ist. Deshalb üben wir verschiedene Szenarien.“
Kapitän zur See Kurt Leonards, neuer Kommandeur des Landeskommandos Hamburg: „Wenn es uns nicht gelingt, eine glaubwürdige Abschreckung hinzubekommen, dann gibt es wirklich Grund zur Sorge.“ Olaf Wunder
Kapitän zur See Kurt Leonards, neuer Kommandeur des Landeskommandos Hamburg: „Wenn es uns nicht gelingt, eine glaubwürdige Abschreckung hinzubekommen, dann gibt es wirklich Grund zur Sorge.“
Während sich „Red Storm Alpha“ im Jahr 2024 auf den Schutz verteidigungswichtiger Infrastruktur im Hamburger Hafen konzentrierte, steht bei „Red Storm Bravo“ die zivil-militärische Zusammenarbeit im Fokus. Ziel der Übung ist es, das Landeskommando Hamburg noch besser auf seine Aufgabe im Bündnisfall vorzubereiten: zum einen die militärische Führung, zum anderen die Koordination und Zusammenarbeit mit den zivilen Institutionen für das Funktionieren der „Drehscheibe Deutschland“ hier im Bundesland zu übernehmen.
An „Red Storm Bravo“ nehmen 500 Soldaten und zahlreiche zivile Akteure teil
Insgesamt werden rund 500 Soldatinnen und Soldaten mit zahlreichen Fahrzeugen und Hubschraubern an „Red Storm Bravo“ teilnehmen. Dazu kommen die Teilnehmer der beteiligten zivilen Institutionen und Unternehmen sowie deren Fahrzeuge und Ausrüstung. Um Beeinträchtigungen für Verkehr und Wirtschaft zu verringern, finden die Truppenbewegungen auf den Straßen in der Nacht statt. Zu rechnen ist unter anderem tagsüber mit Fluglärm durch Hubschrauber sowie einer nächtlichen Kolonnenfahrt im Stadtgebiet.
Zur Koordination der Übung wird eine Operationszentrale in der Reichspräsident-Ebert-Kaserne in Iserbrook eingerichtet und besonders gesichert. Zum Übungsszenario gehören zudem Störfälle wie beispielsweise zahlreiche Verwundete, die die Teilnehmenden vor zusätzliche Herausforderungen stellen werden.
Die Linke ruft zum Protest auf: „Keine Kriegsspiele in Hamburg“
Verschiedene Gruppen protestieren gegen die Übung. Das Bündnis „Gemeinsam gegen ,Red Storm Bravo’“, zu dem auch die linke Bürgerschaftsfraktion gehört, ruft zur Demonstration gegen das Manöver auf. Ein Protestzug wird am Freitag, 26. September, ab 18 Uhr vom Rathausmarkt über den St. Annenplatz zu den Landungsbrücken ziehen. Tenor: „Keine Kriegsspiele in Hamburg“. Kritisiert wird, dass neben logistischen Abläufen zur Truppenverlegung auch die Repression zivilen Widerstands und die Umsetzung des Arbeitssicherstellungsgesetzes gehöre, mit dem Beschäftigte im Kriegsfall zur Zwangsarbeit herangezogen werden könnten.