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Vor den Kommunalwahlen in NRW stellt sich eine Frage ganz besonders: Wie stark wird die AfD im Ruhrgebiet? Landesweit liegen die Rechtsaußen bei 14 Prozent.
Gelsenkirchen/Bergkamen – Wie stark wird die AfD? Diese Frage bewegt viele Menschen, wenn an diesem Sonntag im bevölkerungsreichsten Bundesland Kommunalwahlen stattfinden. Vor allem, aber nicht nur, geht es dabei ums Ruhrgebiet. In Gelsenkirchen beispielsweise erreichte die in Teilen als rechtsextremistisch eingestufte AfD bei der Bundestagswahl 24,7 Prozent der Zweitstimmen und landete damit knapp vor der SPD auf Platz eins. Deshalb gibt es für den Sonntag eine zweite Frage: Boxt sich die SPD durch oder geht sie k.o.?
Kampfbereit: Beim Wahlkampf-Termin in Gelsenkirchen zog sich SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf rote Boxhandschuhe an Mit dabei war die örtliche Kandidatin Hannah Huesmann Trulsen. © Robert Szkudlarek/Szkudlarek Robert
Tim Klüssendorf ist erst seit diesem Jahr Generalsekretär der SPD, doch die Bedeutung von Bildern im Wahlkampf kennt der 34-Jährige. Vergangene Woche unterstützte er die NRW-SPD in Gelsenkirchen und zog sich dafür rote Boxhandschuhe an. Zusammen mit der örtlichen SPD-Kandidatin Hannah Huesmann Trulsen besuchte er im Stadtgarten Gelsenkirchen ein Jugendhilfeprojekt, bei dem es auch ums Thai-Boxen geht. Das sah nicht nur sportlich aus, sondern transportierte auch die Botschaft: Wir kümmern uns.
Kommunalwahl in NRW: „Gelsenkirchen darf nicht blau werden“
„Gelsenkirchen darf nicht blau werden“, gab der Generalsekretär die Parole für die Kommunalwahl in NRW aus. Dass die AfD in den Umfragen in Nordrhein-Westfalen so stark ist – landesweit liegt sie bei 14 Prozent – hat aus Sicht des Sozialdemokraten viele Gründe. So hätten die Menschen im „Pott“, wie der gebürtige Lübecker das Ruhrgebiet korrekt abkürzte, wegen des Strukturwandels Veränderungen durchmachen müssen. Das habe viele verunsichert. Welche Arbeit habe ich in Zukunft? Welche Sicherheit gibt mir dieser Staat? Wie kann ich in Zukunft gut leben? Diese Fragen würden die Menschen beschäftigen. Hinzu kämen die internationalen Unsicherheiten. Deshalb gebe es von vielen den Ruf: Es muss jetzt etwas passieren. „Da sind einfache Lösun㈠gen populär, von uns gibt es komplexe Antworten“, erklärte Klüssendorf sich den Farbwechsel von rot zu blau.
Unterwegs von Tür zu Tür: SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf machte in Gelsenkirchen klassischen Wahlkampf, um gegen die AfD zu punkten. © Robert Szkudlarek/Szkudlarek Robert
Ein Beispiel für einfache AfD-Antworten lieferte im Gelsenkirchener Wahlkampf die Kommunalpolitikerin Enxhi Seli-Zacharias, die zugleich die Rechtsaußen im NRW-Landtag vertritt. Sie postete auf X: „Der Islam gehört nicht zu Gelsenkirchen! Wählt Unterwerfung oder die Freiheit. Ihr habt die Wahl!“
Wie kann die SPD dagegen halten? „Wir müssen es besser schaffen, die Leute zu erreichen“, sagte der Generalsekretär. In deren Sprache müsse klargemacht werden, dass „wir die guten Lösungen“ haben, und die anderen eben keine. Er räumte ein, dass nach der Ampel-Regierung Vertrauen Stück für Stück zurückgeholt werden müsse.
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Bundesweit dümpelt die SPD bei 13 bis 15 Prozent. Deshalb arbeiten sich Teile der SPD trotz bestehender Koalition in Berlin an der Union ab. „Schluss mit dem Gerede über einen Sozialstaat, den wir uns nicht mehr leisten können. Was wir uns nicht leisten können, sind verschuldete und marode Kommunen, sind Kinder in Armut und sind immer mehr Multimillionäre und Multimillionärinnen“, richtete kürzlich Nina Gaedike klare Worte insbesondere in Richtung CDU und Kanzler Friedrich Merz. Gaedike ist Vorsitzende der Jusos in NRW. Der SPD-Nachwuchs traf sich zur Landeskonferenz in Gelsenkirchen. Nicht zufällig, wie die Jusos betonten. Den „immergleichen rassistischen Antworten“ der AfD auf die strukturellen Probleme im Ruhrgebiet setze man, laut Jusos-Pressemitteilung „einen klaren Blick auf die Lebensrealität vor Ort entgegen“.
Klarer Blick auf die Lebensrealität? Bei der Bundestagswahl hat in manchen Wahlbezirken in Nordrhein-Westfalens Industrieregion fast jeder Zweite sein Kreuz nicht bei der SPD, sondern bei der AfD gemacht. Zum Beispiel in Bergkamen, im östlichen Ruhrgebiet. Sozialdemokraten vor Ort zeigten sich damals am Tag nach der Wahl erschüttert vom Ergebnis der AfD.
Tristesse in Bergkamen: Diese Trümmerlandschaft samt Hochhaus prägt die Stadtmitte der ehemaligen Bergbaustadt. Bei der Bundestagswahl hat fast jeder Zweite hier sein Kreuz bei der AfD gemacht. © Robert Szkudlarek/Szkudlarek Robert
Eine Vertreterin aus dem Rathaus mit SPD-Parteibuch vermisste aus Sicht der SPD das „klassische Wählerpotenzial der Bergleute“, die sich für die Gesellschaft engagiert und zusammengestanden haben. Bergkamen war früher eine bedeutende Bergbaustadt. In den 1980/90er Jahren galt die Stadt aufgrund der hohen Fördermenge als größte Bergbaustadt Europas. Doch heute liegt der Arbeitslosenanteil um die zehn Prozent. Die Stadt gehört zu den einkommensschwächsten Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. In der Tabelle des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte rangierte Bergkamen unter allen Kommunen in NRW 2022 auf Platz 388. Letzter war – richtig geraten – auf Platz 396 Gelsenkirchen.
AfD punktet bei Migration und Sicherheit
Warum ist die AfD hier so stark? „Überbetonung des Themas Migration“, hört man aus der SPD. Allerdings gibt es Genossen, die einräumen, dass an den Schulen in NRW ein brennendes Thema für viele Menschen sicht- und erlebbar wird: mangelnde Bildungsgerechtigkeit. Zudem geht es um Sicherheit. Außen- und innenpolitisch. Eine Frau in Bergkamen erzählte, dass sie Merz nicht gewählt habe – aus Angst vor Krieg. Auch mit dem Ukraine-Thema kann die AfD also punkten.
Wir müssen es besser schaffen, die Leute zu erreichen.
Eine andere Bürgerin berichtete, dass sie sich nachts nicht mehr auf die Straße traue. Bergkamen habe sich verändert. Was sie auch störte, ist, dass viele der Empfänger von staatlichen Leistungen genau wüssten, wie sie wo Geld herbekommen. Die SPD hat in ihrer früheren Herzkammer, dem Ruhrgebiet, neben der Sicherheit offenbar auch das Thema soziale Gerechtigkeit verschlafen.
In NRW hört man auf der Straße Sätze, die man im Osten Deutschlands noch viel häufiger hört: „Die AfD ist demokratisch gewählt. Die sitzen im Bundestag, da kann man die doch nicht komplett rauslassen.“ In Sachsen-Anhalt sah kürzlich eine Umfrage die AfD bei 39 Prozent. Von solchen Werten ist die AfD in NRW noch einiges entfernt. Aber am Sonntag dürften viele Ratsmandate hinzukommen. Martin Vincentz, Sprecher der AfD-NRW, strebt am 14. September jedenfalls eine Verdreifachung gegenüber der Kommunalwahl 2020 an. Das wären 15 Prozent landesweit.
AfD nicht überall dabei
Bei der Kommunalwahl in NRW an diesem Sonntag tritt die AfD nur in 23 Prozent der kreisangehörigen Gemeinden mit einem Kandidaten für das Bürgermeisteramt an. Die jüngste der fünf im Landtag vertretenen Parteien konnte nur in 86 der insgesamt 373 kreisangehörigen Gemeinden einen Kandidaten finden. Das geht aus Daten der Landeswahlleiterin hervor. Die CDU, mit mehr als 111 000 Mitgliedern die größte NRW-Partei, bietet Bürgermeister-Kandidaten in rund 85 Prozent dieser Gemeinden auf. Mit 317 Bewerbern liegt sie deutlich vor der SPD (242), den Grünen (125) und der FDP (106).
Zur Wahl der Gemeinderäte kann die AfD in mehr als 60 Prozent der kreisangehörigen Gemeinden antreten. Auch hier liegt sie mit ihren 235 Kandidaten allerdings deutlich hinter den anderen Mitbewerbern: Die CDU schafft hier mit 373 Anwärtern die 100-Prozent-Abdeckung – dicht gefolgt von SPD (370), Grünen (355) und FDP (324).
Ein lückenloses Kandidaten-Tableau hat die CDU auch mit ihren Bewerbern für 23 Räte und Oberbürgermeister-Posten (OB) in den kreisfreien Städten. 23 OB-Kandidaten kann neben der CDU nur noch die SPD aufbieten. FDP und AfD treten mit jeweils 20 OB-Aspiranten an, die Grünen mit 19. Für einen Landratsposten werfen 28 Kandidaten der CDU ihren Hut in den Ring, 27 der SPD, 19 der Grünen, 16 der AfD und 14 der FDP.