Im Zelt ist es laut, das Bier fließt in Strömen und für Dirndl und Lederhosen ist es eigentlich schon zu kalt. Kein Wunder, dass einem am Tag nach einem Wiesn-Besuch oftmals die Stimme versagt. Den Rednern und Moderatoren der diesjährigen Wiesnbierprobe dürften aber schon vor Anstich die Stimmbänder schmerzen. Denn beim Verkosten der frisch gebrauten Oktoberfestbiere am Donnerstagabend herrscht lärmendes Chaos.
Die ganze „Wiesnfamilie“, wie die Gästeschar aus Stadtpolitikern, Wiesnwirten und Brauereivertretern an diesem Abend immer wieder bezeichnet wird, hat sich zum Trinken und Tratschen in Kufflers neuem Haxnbauer im Tal versammelt. Die Vorfreude ist groß, dementsprechend auch die Unruhe. Noch gut eine Woche, bis es losgeht, da gibt es viel zu besprechen.
So müssen die Redner trotz Mikrofons ihre Ansprachen von der Bühne herunterschreien. Augustiner-Chef Martin Leibhard bezeichnet das Oktoberfest aus aktuellem Anlass als „die IAA des Bieres“ und freut sich, an diesem Abend die „Königsklasse unter den Bieren“ verkosten zu dürfen. Der neue Wirtschaftsreferent Christian Scharpf (SPD) läuft sich mit Terminen wie diesem für seine erste Amtszeit als Wiesnchef warm.
Wegen einer Parallelveranstaltung der IAA kann Scharpf allerdings nicht lange bleiben. „Anfängerfehler“, scherzt er ins Mikrofon und übergibt es an Anja Berger (Grüne). Sie überlegt, was sie in den vergangenen fünf Jahren als Wiesn-Stadträtin gelernt hat. Dass man Wiesnbier niemals als „lecker“ bezeichnen dürfe, gehöre zum Beispiel dazu. Heute würde sie „guad“ sagen. So eine Bierprobe sei eben immer auch Wortschatzarbeit.
Eine Hilfestellung, welche Vokabeln sich schicken und welche nicht, kommt von den Braumeistern der sechs Wiesnbier-Brauereien: Andreas Brunner (Augustiner), Max Mirlach (Hacker-Pschorr), Rolf Dummert (Hofbräu), Bernd Kräußel (Löwenbräu), Markus Hübner (Paulaner) und Thomas Kreutz (Spaten). Sie alle geben auf der Bühne Tipps, woran man ihre Biere erkennen könne. Am „blumigen“ Aroma, am „feinporigen“ Schaum oder an der „ausbalancierten Hopfenbittere“ zum Beispiel.
Andreas Brunner von Augustiner macht die Geruchsprobe. (Foto: Johannes Simon)
Das klingt mehr nach Fachsimpelei als nach Praxistipp, denn nach der Vorstellungsrunde sitzt man ebenso ratlos vor seinen sechs unbeschrifteten Bierkrüglein wie davor. Zum zweiten Mal findet die Bierprobe in Form einer Blindverkostung statt. Doch dieses Mal geben sich vermeintliche Experten nicht mehr ganz so großspurig, nachdem im letzten Jahr zum Teil nicht einmal die Brauer selbst ihr eigenes Bier wiedererkannt hatten. Man einigt sich auf Kommentare wie „schwierig dieses Jahr“, „alle nah beieinander“ oder auf das unverfänglichste Fazit: „Alle gut.“
Als wäre das Blamage-Potenzial bei einer Blindverkostung nicht schon groß genug, führt Gastgeber Andreas Maisberger vom Verein der Münchener Brauereien durch eine Art Pub-Quiz mit Fragen rund ums Oktoberfest und dessen Bier. Dabei lernen die Gäste zum Beispiel, wie viele Plätze es auf der Wiesn insgesamt gibt (Maisberger zufolge rund 114 000), wie das erste Münchner Kindl hieß (das war die Pumuckl-Erfinderin Ellis Kaut), oder auf welches Jahr das Münchner Reinheitsgebot zurückgeht (1487).
Fünf Verkoster können alle sechs Biere richtig zuordnen
Nach mehreren Stunden Rätselspaß sind alle Antworten über eine Handy-App abgeschickt, alle Brotzeitplatten, Haxn und Apfelkücherl verspeist, und die Musik spielt ein letztes Mal auf. Danach will Maisberger, schon heiser vom Moderieren, den offiziellen Teil wohl zügig zu Ende bringen. Er setzt fast zum Verabschieden an, um dann doch noch schnell die mit Spannung erwartete Auflösung der Blindverkostung hinterher zu schieben. Zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend wird es still im Saal.
Immerhin fünf Verkoster konnten alle sechs Biere richtig zuordnen, darunter auch das amtierende Münchner Kindl Franziska Inselkammer. Am häufigsten wurde das Wiesnbier von Hacker-Pschorr erkannt, was an dessen dunkler Farbe liegen dürfte, gefolgt von Augustiner und Löwenbräu. Mit einer schnellen Gratulationsrunde geht die Bierprobe zu Ende, die sich wie eine Mischung aus Spieleabend und Klassentreffen angefühlt hat. Dann bricht die Wiesnfamilie auch schon auf – es bleiben schließlich keine zehn Tage mehr, bis die Stimme wieder funktionieren muss.