Er will die ewige Liebe, er will den Fun, und er will auch wieder Millionenstreams: Ed Sheeran, abgebildet in freudiger Erwartung seines neuen Albums „Play“. © Petros Studio
Die ewige Liebe. Drunter macht es Ed Sheeran nicht mehr, das ist die erste große Botschaft seines neuen, achten Albums Play, die er im Song The Vow an eine Angebetete, schätzungsweise die eigene Frau, formuliert. Die zweite: Weil es gefühlsmäßig nicht so gut lief bei ihm in den letzten Jahren – geschäftsmäßig natürlich schon –, ist nun, im Spätsommer des Spitzenjahres 2025, die Zeit gekommen, um endlich mal richtig Fun zu haben.
Ganz im Zeichen dieser drei gefährlichsten Buchstaben der Popbranche stand die Marketingkampagne, mit der Sheeran an Play heranführte. Schon im vergangenen März stampfte er im Küstenstädtchen Ipswich im US-Bundesstaat Massachusetts einen Pub aus dem Boden, um dort seinen neuen Song Old Phone zu promoten und ein zugehöriges Video zu drehen. Gezapft wurde Guinness. Im Mai folgte ein ähnliches Event im britischen Ipswich, wo Sheeran inzwischen 1,4 Prozent des ansässigen Fußballvereins gehören (aktuell 20. Platz in der zweiten englischen Liga). Auch in Nashville wurde Sheeran spontan zum Kneipenmusiker, sang auf dem Tresen einer Bar und trug dabei einen pinken Cowboyhut. Zuletzt war Düsseldorf dran, wo bei einem weiteren Pop-up-Event die ersten 50 Kaltgetränke auf den Deckel des Musikers gingen.
Gute Vibes also rund um Play, dessen Albumtitel laut Sheeran aber nicht nur für einen spielerischen Umgang mit der Gegenwart stehen soll, sondern auch für die gleichnamige Taste an einer Stereoanlage oder den gleichnamigen Button in der App eines Streamingdienstes. Weitere Platten mit ähnlichen Titeln sollen geplant sein – ob sich darunter auch von Sheeran-Gegnern ersehnte Titel wie Pause, Mute oder Eject befinden werden, bleibt abzuwarten. Der Fokus auf große Liebe und großen Spaß bedeutet für Play nun jedenfalls eine Rückkehr zum Großpop, den Sheeran zuletzt vernachlässigt hat: Seine letzten beiden Alben – (Subtract) und Autumn Variations (beide 2023), maßgeblich produziert von Aaron Dessner (The National), klangen eher ruhig und introvertiert.
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Nun gibt es wieder tanzbare Tracks, für die sich Sheeran etwas Besonderes überlegt hat. In Songs wie Symmetry, Don’t Look Down sowie Sapphire und Azizam baut er Einflüsse aus indischer und persischer Musik ein. Daraus entsteht ein angenehmer Flow, aber es ist auch ein kluger Schachzug: Sheeran erweitert seine Klangsprache und zollt Kulturkreisen Tribut, die längst Teil seiner globalen Fanschar sind. Fest im Pop verankert sind seine neuen Stücke trotzdem, niemand wird sich davon an die Indien-Trips der Beatles oder ähnliche Experimente erinnert fühlen. Sheeran bleibt eingängig und chartkompatibel, das verrät schon der Blick auf seine diesmaligen Kooperationspartner. Der Indie-Darling Dessner ist raus, Songwriter, die sonst für Ariana Grande, Pink, Robbie Williams, The Weeknd oder Britney Spears schreiben, haben wieder übernommen.
Was nicht bedeuten soll, dass Sheeran das Schmachten verlernt hätte. „I don’t need a camera when you’re in my eyes“, singt er einmal auf Play, an anderer Stelle auch: „Give me all your fears, give me all your dreams.“ Die Musik dazu ist dann mehr Kerzenschein als Discokugel, Streicher, sanfte Klavierakkorde und zarte Gitarrenanschläge erklingen dazu. Wobei Sanftheit und Zartheit schwierige Sheeran-Felder bleiben. Ruhige Momente sind bei ihm selten kontemplativ, auf Play markieren sie meistens nur das Geplänkel vor dem nächsten großen Wumms.
Alles ist immer offensichtlich
Umso genauer sollte man zuhören, wenn Sheeran doch einmal beim vermeintlich Kleinen, scheinbar Beiläufigen verweilt. Opening ist ein musikalisch zurückgenommener, unaufgeregt autobiografischer Song. Naiv wirkt es zunächst, wie der Musiker durch ein Fotoalbum voller Kindheitsanekdoten blättert, erstaunlich offen aber auch, wenn er von früheren Beziehungen singt, ohne sich in dafür üblichen Metaphern zu verlieren: „I have loved and lost and feared and prayed.“ Womöglich angeregt von diesen Erinnerungen verfällt Sheeran sogar wieder in jenen atemlosen Sprechgesang, der den Beginn seiner Laufbahn geprägt hatte.
Einer ähnlichen Dynamik folgt das bereits erwähnte Old Phone. Vordergründig betrachtet erzählt Sheeran darin zu Schunkelmusik die banale Geschichte eines alten, wiedergefundenen Handys. Tatsächlich leistet der Song aber Trauerarbeit, denn mit dem Handy findet der Musiker auch Nachrichten seines vor drei Jahren gestorbenen Freundes Jamal Edwards, der als einer der Entdecker und frühesten Förderer von Sheeran galt. In solchen Momenten scheint man nah dran zu sein am Menschen Sheeran. Aber auch Songs wie Opening oder Old Phone kommen ohne Ambivalenzen aus, ihre Befindlichkeiten sind immer offensichtlich.
© ZEIT ONLINE
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Das ist nicht grundsätzlich schlimm, 95 Prozent aller Popsongs funktionieren so. Sheeran merkt man jedoch mehr als jedem anderen Popstar der Gegenwart an, wie kalkuliert er auf Effekte und Gefühle abzielt, wie zweckmäßig seine Musik ist, selbst wenn er auf scheinbar spontane Aktionen in den Ipswichs dieser Welt setzt, den Fun beschwört und die ewige Liebe obendrein. Nichts scheint dem Zufall überlassen, jede Wendung, jede Steigerung in jedem Refrain wirkt so, als stammten sie aus dem Popbaukasten für Wendungen und Steigerungen im Refrain. Play ist deshalb beeindruckend in seiner Treffsicherheit – den bisher 150 Millionen verkauften Tonträgern von Ed Sheeran wird es sicher eine weitere große Zahl hinzufügen. Es ist aber auch beeindruckend in seiner Langeweile.
„Play“ von Ed Sheeran ist bei Atlantic/Warner erschienen.