Jürgen Winkels betreibt Street Photography in Stuttgart. Er erklärt seine Faszination und verrät die besten Spots der Stadt.
Jürgen Winkels schleicht um die Skulptur vor der Universitätsbibliothek in Stuttgart herum. Aus jeder Perspektive betrachtet er die metallischen Streben, die wie ein Rahmen wirken. Durch den Sucher beobachtet er einen Radfahrer, der gleich vorbeifährt und drückt im richtigen Moment ab. Auf dem Bild: Ein fremder Mensch, eingerahmt von altem Metall.
Für Winkels ist das mehr als ein schneller Schnappschuss – er nennt es Street Photography. „Das ist Kunst“, sagt er. In Stuttgart gebe es viele Plätze, die sich gut dafür eignen würden, Alltagsszenen einzufangen. Dabei sei es im Kessel immer wieder vorgekommen, dass sich Menschen beschwert haben, die er fotografiert habe. In anderen Städten passiere das seltener.
Der Stadtpark vor der Universitätsbibliothek gehört zu Jürgen Winkels Lieblingsplätzen zum Fotografieren. Foto: Frederik Herrmann
Winkels, der eigentlich als Unternehmensberater arbeitet, fotografiert, seit er sich mit neunzehn Jahren seine erste Kamera gekauft hat. Seit 2016 bietet er auch Workshops an und hat das Stuttgart Street Collective gegründet – eine Gruppe begeisterter Fotografinnen und Fotografen, die sich der Street Photography verschrieben haben.
Streetphotography zeigt das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen
Street Photography, auch Straßenfotografie genannt, ist ein Genre der Fotografie, das den Alltag zeigt: Menschen im Park, in der Stadt, in ihrem gewohnten Umfeld, in ihrer Freizeit, auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause. Winkels sucht das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen. Er will nicht bewerten, sondern sichtbar machen, was oft übersehen wird. Oft hat er eine Idee von einem Bild, die versucht er dann umzusetzen. Das sei dann fotografisches Handwerk.
Dafür geht er gerne nah an Menschen heran. „Man merkt sehr schnell, wer fotografiert werden will und wer nicht“, erzählt er. Gelegentlich wird er auch angesprochen. Nicht alle reagieren begeistert, wenn sie bemerken, dass sie fotografiert werden. „Bei achtzig Prozent der Fälle passiert nichts, bei den restlichen zwanzig merke ich an ihrer Reaktion, dass sie nicht fotografiert werden wollen“, sagt er. Zeige er dann die Bilder, seien die meisten aber einverstanden.
„In Köln sind die Menschen entspannter, in Stuttgart zurückhaltender“
Dabei reagieren die Menschen in jeder Stadt unterschiedlich auf seine Leidenschaft. In Köln seien die Menschen entspannter. „Dort kannst du eigentlich jedem eine Kamera vor das Gesicht halten, damit hat niemand ein Problem.“ In der Domstadt gebe es eine größere Subkultur. „Viele Menschen wollen sich dort bewusst zeigen“, sagt Winkler.
Anders in Stuttgart: Hier seien die Menschen zurückhaltender, teils sehr verschlossen, wenn es ums Fotografieren gehe. In Paris wiederum hätten sich bisher die meisten Menschen beschwert, wenn er sie auf der Straße fotografierte. In London, der Hauptstadt der Street Phtotograpy, habe sich noch nie jemand beklagt.
Dabei bewegt sich Winkels in einer Grauzone. Im öffentlichen Raum zu fotografieren, ist erlaubt. Problematisch wird es bei der Veröffentlichung von Bildern, auf denen Menschen klar erkennbar sind. Ohne Einwilligung ist das in der Regel verboten.
Winkels hält sich nicht immer strikt daran. Er habe bereits Bilder veröffentlicht, auf denen Personen erkennbar sind, eine Reaktion darauf habe es jedoch noch nie gegeben. „Ich achte immer darauf, dass niemand in einem schlechten Licht erscheint“, betont er. Ebenso wichtig sei für ihn die Kunstfreiheit. Street Photography versteht er als ein Mittel, sichtbar zu machen, wie Menschen sich im öffentlichen Raum bewegen.
Auch die Freitreppe am Kubus eignet sich hervorragend für Streetphotography, sagt Jürgen Winkler. Foto: Frederik Herrmann Schlossplatz, Börsenplatz und Staatsgalerie – hier bietet sich Street Photography besonders gut an
Einige Orte in Stuttgart bieten sich dafür besonders gut an. Ihre Architektur mache es Einsteigern einfach, das Genre kennenzulernen. Aber auch erfahrene Fotografen können sich hier kreativ ausleben, wie Winkels sagt.
- Park an der Universität: Ein Mikrokosmos mitten in der Stadt, voller Leben und Kontraste zu den teils maroden Gebäuden.
- Kleiner Schlossplatz: Besonders die lange Treppe zur Königstraße ist ein Hotspot. „Ein Nadelöhr“, sagt Winkels. Täglich ziehen hier viele Menschen vorbei.
- Börsenplatz: Große Gebäude, eine beeindruckende Architektur und ein großer Platz mit vielen Menschen. Gute Voraussetzungen für Street Photography.
- Staatsgalerie Stuttgart: An den Wänden, Treppen und Fensterfronten der Staatsgalerie wurde mit bunten Farben gearbeitet, zudem wirft das Gebäude bei Sonnenschein starke Schatten – ein ideales Umfeld für kreative Street Photography.
Am Ende ist Street Photography für Winkels jedoch weniger eine Frage des Ortes als eine Frage der Haltung. „Es ist der Blick, mit dem wir als Fotografen auf die Welt schauen“, sagt er. Street Photography könne er daher überall machen, auch in Stuttgart.