Es ist die große Liebe, Honeymoon in seiner schönsten Form. Dann aber zieht das junge Paar zusammen – und nichts ist mehr, wie es war. Sie streiten und versöhnen sich wieder. Er findet Sex mit ihr plötzlich langweilig. Stattdessen wartet er, bis sie ins Bett geht und vergewaltigt sie dann mitten in der Nacht – „als ich voller Vertrauen neben ihm schlief“, wie die junge Frau bitter konstatiert. Sie beendete die Beziehung mit dem Mann – seine Gewalt wird aber weitergehen – und andere Frauen treffen.

Es ist kein schönes Thema, das die Theatergruppe Silent Ladies aufgegriffen hat für ein ungewöhnliches Projekt, das nun am Stuttgarter Studio Theater Premiere hatte. „Walking again in Fear“ nennt sich ein „Audiowalk“, also ein Spaziergang, bei dem das Publikum mit Kopfhörern auf den Ohren durch Stuttgart läuft und zunächst nebenher interessiert auf die vielen Häuser und in die Wohnungen in der Alexander- und Danneckerstraße schaut. Doch zunehmend schleicht sich die Gewissheit ein: Auch hinter diesen Fenstern, in den kleinen Hochhausappartements und in den luxuriösen Altbauten wird es hin und wieder zu Gewalt gegen Frauen kommen.

Von „Beziehungstat“ mag man nichts mehr hören

Die Liste der Fälle, die bei dem Audiowalk immer wieder eingestreut werden, ist lang, sehr lang. Laut Statistik wird jeden Tag eine Frau in Deutschland „aus Liebe“ ermordet. Oft sind es die Expartner, die die „Beziehungstat“ im „ehelichen Bereich“ begehen, wie es dann verharmlosend vermeldet wird. Es seien Männer, die die Trennung nicht verkraftet hätten, sagt eine Stimme durch den Kopfhörer und stellt die vermutlich wichtigste Frage in diesem Kontext: „Wie fragil ist diese Männlichkeit eigentlich, dass sie beim kleinsten Widerwort schon abgehen?“

Doch es geht nicht um die offenbar brüchige Identität mancher Männer bei diesem einstündigen Rundgang, sondern um das, was zwar irgendwie bekannt ist, aber trotzdem nicht ernsthaft angegangen wird: Strukturelle Gewalt gegen Frauen. Gerichte wie auch Polizisten, die oft unsensibel und nicht geschult seien, würden nach wie vor „patriarchale Mythen“ stützen, heißt es. Meist herrsche auch eher Solidarität mit den Männern, während die Opfer in der Beweispflicht sind. Frauen, die Gewalt und Übergriffe anzeigen, würden dagegen schnell als nicht zurechnungsfähig dargestellt, Mütter als überfordert erklärt.

Warum gibt es keine „Opfervermutung“?

Das wandelnde Publikum macht immer wieder Halt auf Plätzen oder in Grünanlagen, wo vier Darstellerinnen wortlos die körperliche Gewalt gestisch übersetzen. Zwei von ihnen, Luise Leschik und Dawn Patricia Robinson haben den Audiowalk auch konzipiert. In ihren knappen lila Höschen und den Turnschuhen könnten die beiden, Martina Gunkel und Mira Sanjana Sharma selbst Opfer werden in dem Park neben dem Spielplatz.

Immer wieder klingen Fragen an: Warum gilt für Täter die Unschuldsvermutung, aber gibt es keine „Opfervermutung“? Und was wäre, wenn Frauen militant würden und Männern Angst machten? „Die Scham muss die Seite wechseln“, heißt es. Und: „Wer sich nicht aktiv gegen diese Kultur einsetzt, wird zum Teil dieses Problems.“ So aber bleibt die junge Frau allein zurück, die auf einer Party zu viel getrunken hat und am nächsten Morgen in ihrem blutigen Bett aufwacht. Der vermeintliche Freund hat ihren Zustand ausgenutzt. Ist sie jetzt daran schuld?

Im Park wird es bedrohlich

Im Park stellen sich die vier Darstellerinnen den Zuschauern in den Weg. Sie haben jetzt Masken übergezogen und schauen aus wie Männer, die einem hier in der Sicherheit der Dämmerung alles antun könnten. Und plötzlich schleicht sich Angst ein. Vor allem schaut man Männer mit anderen Augen an und stellt jeden, der einem auf dem Rückweg begegnet, unter Generalverdacht, schließlich könnten sie alle vergewaltigen. Denn wie hieß es einmal? Oft seien die Täter Männer, „die eigentlich total nette Kerle sind.“

Vorstellungen am 25., 28. und 29. November. Tickets unter www.studiotheater.de