Den Bundestagsabgeordneten der Union dürfte am Mittwoch dieser Woche ein Stein vom Herzen gefallen sein. Denn allen war klar: Nach der an ihnen gescheiterten Richterwahl am Tag vor der parlamentarischen Sommerpause, hätten sie nahezu jeden SPD-Vorschlag zähneknirschend akzeptieren müssen, um die Koalition nicht zu gefährden. Doch den Sozialdemokraten lag offensichtlich nicht daran, die missliche Situation ihres Partners auszunutzen.

In Freiburg geboren

In einem gemeinsamen Schreiben der Parlamentarischen Geschäftsführer an beide Fraktionen wurde Sigrid Emmenegger vorgeschlagen. Eine 48-jährige Juristin, die seit 2021 Richterin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig tätig ist. Ihre Wurzeln hat sie in Baden-Württemberg. Sie wurde in Freiburg geboren und hat dort studiert. Auch ihre neue Wirkungsstätte, wenn sie denn gewählt wird, wäre ihr bereits vertraut. Von 2009 bis 2013 hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gearbeitet.

Beispielsweise mit Bau- und Bodenrecht beschäftigt

Als politische Juristin, die sich auf öffentlich äußert, ist Sigrid Emmenegger bislang nicht aufgefallen. Als Verwaltungsrichterin hat sie sich in den vergangenen Jahren zum Beispiel mit dem Bau- und Bodenrecht sowie dem Ausbau von Energieleitungen und Rechtsstreitigkeiten beim Wasserstoff-Import beschäftigt. Das ist weit weg von jenen Themen, mit denen sich die vorherige SPD-Kandidatin für das Richteramt beruflich beschäftigt und von sich reden macht.

Brosius-Gersdorf zog zurück

Professorin Frauke Brosius-Gersdorf wurde vor allem dadurch bekannt, dass sie einen anderen rechtlichen Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen vorschlug. Sie wollte den Paragrafen 2018 entschärfen – das machte sie in Teilen der Union, die von ihren liberalen Positionen nichts hielten, unwählbar. Am 6. August zog sie ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurück. An diesem Tag war das erste Aufatmen bei CDU und CSU zu vernehmen.

Rundweg positive Reaktionen

Die vergeigte Richterwahl lag wie ein Schatten über der parlamentarischen Sommerpause in Berlin, galt sie doch als Zeichen, dass Schwarz-Rot schon zu Beginn ihres Regierungsbündnisses in ein ähnliches Fahrwasser wie die Ampel-Koalition zum Schluss kam. Aus dieser Lage wollten sich die Koalitionspartner wieder herausarbeiten und das scheint ihnen – zumindest beim Thema Richterwahl – geglückt zu sein. Reaktionen aus der Union auf Emmenegger sind rundweg positiv.

„Große juristische Erfahrung“

Emmenegger bringe „große juristische Erfahrung mit“, teilte Maria-Lena Weiss, CDU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen, am Freitag mit. „Das ist eine sehr gute Grundlage für eine Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht“, sagte Weiss, die selbst Juristin ist und viele Jahre lang als Rechtsanwältin tätig war – im Energierecht und Wirtschaftsrecht.

Dass die SPD-Kandidatin politisch schwer einzuordnen ist, stört die 44-Jährige nicht. „Für das Amt am Bundesverfassungsgericht muss die juristische Kompetenz im Vordergrund stehen.“ Eine politische Rolle sei dafür „weder Voraussetzung noch Hindernis, darf aber auch nicht völlig ausgeblendet werden“. „Entscheidend ist, dass die Richterinnen und Richter nicht mit polarisierenden Haltungen verbunden werden“, sagte Weiss.

Jens Spahn hat Vorbehalte unterschätzt

Auch darin liegt ein Grund, warum sich manche CDU/CSU-Abgeordnete bei der vergangenen Richterwahl dagegen gestäubt hatten, Brosius-Gersdorf zu wählen, selbst wenn sie keinen Zweifel an ihrer juristischen Kompetenz hatten. Diesen Widerwillen hatte Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) unterschätzt. Die SPD reagierte entsprechend verschnupft – und machte ihre Zweifel an der Verlässlichkeit und Loyalität des Koalitionspartners deutlich.  Manche Unionsabgeordnete befürchteten deshalb, der nächste SPD-Richtervorschlag könnte für sie noch weniger akzeptabel sein. Doch so ist es nicht gekommen.

Emmenegger zeige „persönliche Stärke“

„Es ist ein gutes Signal, dass sich Union und SPD auf eine gemeinsame Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht verständigt haben“, sagte der CDU-Politiker Wolfgang Dahler, der seit diesem Jahr als Nachfolger von Josef Rief den Wahlkreis Biberach im Bundestag vertritt. Dahler, auch er Jurist, ist davon überzeugt, dass Emmenegger nicht nur fachlich, sondern auch als Person für die neue Aufgabe geeignet ist. „Sie zeigt nach der Absetzung der Richterwahl im Juli und harten politischen Auseinandersetzungen mit ihrer Bereitschaft zur Kandidatur auch persönliche Stärke“, findet der Unionspolitiker. Deshalb sei er zuversichtlich, dass sie die im Wahlverfahren vorgegebenen Mehrheiten erreiche.

Auch Axel Müller, CDU-Abgeordneter für den Wahlkreis Ravensburg, wirkt von dem neuen Vorschlag überzeugt – auch weil er davon ausgeht, dass die SPD-Kandidatin Rechtsprechung repräsentieren könne  „ohne dabei wissenschaftliche Expertise vermissen zu lassen“. Da biete sie für ihn sogar mehr als Brosius-Gersdorf.

Braucht die Stimmen der Opposition

Doch noch ist die Richterwahl am 26. September nicht in trockenen Tüchern – neben Emmenegger stehen an diesem auch die beiden Kandidaten Ann-Katrin Kaufhold (ebenfalls von der SPD vorgeschlagen) und Günter Spinner (Unionskandidat) zur Wahl. Um die notwendige Zweidrittelmehrheit zu erreichen, braucht die Koalition die Stimmen der Opposition – und zwar von den Grünen und der Linkspartei, wenn sie nicht auf die AfD angewiesen sein will.

„Nicht die Idee der CDU/CSU“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Steffen Bilger (CDU), betont in diesem Zusammenhang, dass die Kandidatur Spinners „nicht die Idee der CDU/CSU war“, sondern auf einen Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts zurückgehe. „Es gibt keinen Grund, diesen Vorschlag nicht zu unterstützen. Daher gehe ich davon aus, dass für ihn eine Zweidrittelmehrheit auch ohne Stimmen der AfD erreichbar ist“, sagte er.