London. Die Parlaments-Session nach der Sommerpause begann für die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves mit einer schlechten Nachricht. Die Kosten der Staatsanleihen, der sogenannten Gilts, lagen Anfang September auf dem höchsten Stand seit 1998. Die Zinsen für Anleihen mit einer Laufzeit von 30 Jahren waren auf mehr als 5,6 Prozent geklettert, mehr als in jedem anderen Land der G7.
Für Reeves ist das ein größeres Problem, denn es verkleinert ihren Handlungsspielraum, wenn sie Ende November ihren Haushaltsplan vorstellt: Je mehr Geld sie ausgeben muss, um die Schulden zu bedienen, desto weniger hat sie für andere staatliche Ausgabeposten übrig. Nächstes Jahr könnten die Zinszahlungen auf Staatsanleihen auf 111 Milliarden Pfund ansteigen – etwa doppelt so viel wie der gesamte Verteidigungsetat. In Wirtschaftskreisen befürchtet man, dass die Finanzministerin die Steuern weiter anheben wird, um die nötigen Mittel in die Staatskasse zu spülen.
Was die Kosten der Staatsverschuldung anbelangt, gilt Großbritannien vielen anderen Industrieländern als Warnung. Das „Wall Street Journal“ bezeichnete das Land kürzlich als „canary in the coalmine“ – also als Vorläufer einer Entwicklung, die auch auf andere zukommen könnte. Denn der Trend ist in vielen europäischen Volkswirtschaften ähnlich: Nach Jahren der tiefen Zinsen und hohen Verschuldung stellen die steigenden Zinssätze plötzlich ein handfestes Problem dar.
Die Märkte zweifeln
Hohe Zinsen auf Staatsanleihen sind in der Regel ein Zeichen, dass die Märkte die Staatsfinanzen für nicht nachhaltig halten. Dass Großbritannien davon so stark betroffen ist, überrascht zunächst – denn die Staatsverschuldung ist mit 96 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht exorbitant. Sie liegt zwar über jener der Eurozone insgesamt (88 Prozent), aber deutlich unter Ländern wie Frankreich (114 Prozent), Belgien (107 Prozent) oder Spanien (103 Prozent).
Dass Großbritannien dennoch so hohe Zinsen auf Anleihen zahlen muss, kann laut Experten verschiedene Gründe haben. Ein Faktor ist die Inflation. Lange Zeit lag die allgemeine Teuerung in Großbritannien deutlich über jener in vergleichbaren Ländern – 2022 war sie mal auf zwölf Prozent gestiegen; noch heute ist sie mit rund vier Prozent doppelt so hoch wie in der Eurozone. Das hat die Notenbank Bank of England dazu veranlasst, den Leitzins nur langsam zu senken: Er liegt heute bei vier Prozent. Das treibt auch die Kosten der Staatsschulden in die Höhe.
Truss wirkt nach
Ein weiterer Faktor sind laut Ökonomen die Turbulenzen der vergangenen Jahre. Im Herbst 2022 präsentierte die damalige Premierministerin, Liz Truss, ihr mittlerweile berüchtigtes „Mini-Budget“, das saftige Steuersenkungen für Großverdiener ankündigte. Es folgte ein heftiger Backlash in den Finanzmärkten, die Zinsen für Gilts stiegen rapide an. Als sich das Debakel zu einer Wirtschaftskrise auszuweiten drohte, brach Truss die Übung ab; sie trat zurück, das Mini-Budget war Geschichte. Aber die Episode hat die Märkte vorsichtig werden lassen. Laut der „Financial Times“ steht Großbritannien seither auf der „naughty step“, also auf der „stillen Treppe“, wie ein unartiges Kind.
Andere wiederum verweisen auf die Steuererhöhungen und die zusätzliche Verschuldung, die Rachel Reeves letztes Jahr veranlasst hat. Diese haben das Vertrauen der Wirtschaftswelt in das britische Fiskalmanagement unterhöhlt. Für Reeves kommt das Problem hinzu, dass die britische Wirtschaft kaum wächst. Am Freitag wurden neue Statistiken publiziert, laut denen das Wachstum im Juli komplett zum Stillstand kam. „Unsere Wirtschaft ist zwar nicht kaputt“, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums, „aber es fühlt sich so an, als stecke sie fest.“
Vor Steuererhöhung
Entscheidend wird der Haushaltsplan Ende November sein. Experten gehen davon aus, dass die Schatzkanzlerin die Steuern weiter anheben wird, um die Staatsfinanzen auf eine nachhaltige Basis zu stellen. Labour hatte während des Wahlkampfs zwar versprochen, die Einkommensteuern nicht heraufzusetzen. Aber viele Wirtschaftsvertreter halten dies angesichts der ökonomischen Realitäten nicht mehr für praktikabel. Kürzlich forderte die Vorsitzende des einflussreichen Industrieverbands Confederation of British Industry, Rain Newton-Smith, dieses Versprechen aufzugeben und die Steuern zu erhöhen. „Langfristige strategische Steuerreformen“ seien jetzt nötig, sagte sie.
»Unsere Wirtschaft ist nicht kaputt, aber es fühlt sich so an, als stecke sie fest. «
Sprecher des Finanzministeriums