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Die Franzosen feiern: Als erster NATO-Partner kauft Dänemark die Luftabwehr SAMP/T. Der größte Waffendeal des kleinen Landes verursacht Stirnrunzeln.
Kopenhagen – „Wenn Russland täglich 500 bis 800 Drohnen startet, ist der Einsatz solcher Raketen gegen sie einfach keine Lösung“, schreibt Wolodymyr Selenskyj. Auf X hatte der ukrainische Präsident kritisiert, dass die Luftabwehr der NATO unzureichend sei gegen den Drohnen-Terror Wladimir Putins. Der Verlauf des Ukraine-Krieges lege nahe, dass Luftabwehrraketen allein keine Lösung mehr böten – allerdings geht Dänemark einen ersten Schritt, den Himmel über der NATO zu schließen – und macht sich gleichzeitig stark gegen die Dominanz US-amerikanischer Waffen.
Absage an USA? „Die Entscheidung fiel, nachdem Donald Trump mit der Annexion Grönlands gedroht hatte“
„Die Entscheidung fiel, nachdem Donald Trump mit der Annexion Grönlands gedroht hatte“, schreibt das Magazin Politico über den Kauf des französisch-italienischen Luftabwehrsystem SAMP/T statt des in der NATO überwiegend genutzten Patriot-Luftabwehrsystems. Allerdings deuten das dänische Medien anders: Lieferzeit, Wirtschaftlichkeit und betriebliche Erwägungen hätten Dänemark zur Wahl eines europäischen Systems bewogen, schreibt die dänische Zeitung Berlingske. Allerdings scheint sich Dänemark mit dem Kauf auch schwer zu tun. 58 Milliarden Kronen (rund acht Milliarden Euro) investiert der kleine NATO-Partner „für den größten Waffenkauf in der dänischen Geschichte“, so die Berlingske-Autoren Mads Hørkilde und Andreas Lindqvist – die ob dieser Tatsache gleich hart ins Gericht gehen mit der Entscheidung für die acht bodengestützten Einheiten mittlerer und hoher Reichweite.
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„Ein System, das noch nicht vollständig entwickelt ist. Ein System, das von mehreren unserer Verbündeten abgelehnt wurde. Und nicht zuletzt ein System, das die Bank von Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen deutlich sprengt“, so Hørkilde und Lindqvist. Gegen die Beliebtheit der Patriots konnten die Franzosen bisher wenig ausrichten; primär haben die verschiedenen Nato-Partner den Kauf des Patriot-Luftabwehrsystems mit dessen Interoperabilität innerhalb der Verteidigungsallianz begründet. Und die Waffe hat in der Ukraine die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt – anders als ihr französisches Pendant. Die bodengestützte französisch-italienische SAMP/T-Luftabwehrrakete (Sol-Air Moyenne-Portée/Terrestre – Boden-Luft Mittelstrecke/Landbasiert) hatte in der Ukraine für Ärger gesorgt.
Dänen folgen Trump-Ratschlag: Die Nato solle sich künftig stärker in Eigenregie um ihre Sicherheit kümmern
Darüber hinaus sollen die zu verschießenden Aster-Rakten zwischenzeitlich bedenklich knapp geworden sein, wie ntv unter Bezug auf einen Bericht des Wall Street Journal (WSJ) berichtet hat. „Der Hersteller spricht hingegen von ‚übertroffenen Erwartungen‘. Eine verbesserte Version sei ein ‚Gamechanger‘“, schreibt Robin Grützmacher. Der Autor von ntv bezieht sich damit auf eine Erklärung des Hersteller-Konsortiums Eurosam, neben dem die Hersteller MBDA, Thales und Leonardo für die Waffe verantwortlich sind. Auch das WSJ hat im März berichtet, dass das in die Ukraine gelieferte System Schwierigkeiten mit dem Abfangen ballistischer Raketen habe, was auf Softwareprobleme zurückzuführen sei, wie gegenüber dem Blatt nach eigenen Worten „mit der Angelegenheit vertraute Personen“ behauptet haben sollen.
„Es handelt sich nicht um eine Abwahl von Patriot, sondern um eine Ergänzung dessen, was am besten ist.“
Meta-Defense hat berichtet, dass das System laut Werksangaben eine Abfangrate von mehr als 80 Prozent garantieren sollte und, wie das Magazin schreibt, „wahrscheinlich sogar noch höher, insbesondere bei manövrierenden und ballistischen Luftzielen. Dies ermöglichte den Einsatz nach dem Prinzip ,Shoot-See-Shoot‘, bei dem pro Ziel nur eine Rakete abgefeuert wird.“
Laut der Tageszeitung Berlingske wollen die Dänen ihre Entscheidung als echte Europäer getroffen haben: Die Wahl sei auf das französische Produkt gefallen, unter Berücksichtigung militärisch-operativer und wirtschaftlicher Faktoren; auch die wirtschaftliche Stärke Europas sei ein Grund gewesen. „Laut Per Pugholm, Direktor der Material- und Beschaffungsagentur (FMI) des dänischen Verteidigungsministeriums, sei die Liefergeschwindigkeit ,der entscheidende Parameter‘ gewesen“, schreibt Berlingske unter Berufung auf die Presseagentur Ritzau News. Auch israelische und südkoreanische Systeme sollen bei den dänischen Militärs durchgefallen sein.
Allerdings lassen die Dänen durchblicken, dass die Franzosen letztendlich doch vom Verhalten Donald Trumps profitiert hätten: Trumps Auftreten gegenüber der NATO im Allgemeinen und gegenüber den Dänen wegen der Grönland-Frage im Besonderen. Der Deal mit Frankreich ist zweifelsfrei das Ergebnis von Trumps Ermahnungen, die NATO solle sich künftig stärker in Eigenregie um ihre Sicherheit kümmern. Aus Frankreich stammen lediglich die Langstreckensysteme, die von 2028 oder 2029 an ausgeliefert werden sollen, während die Mittelstreckensysteme für Entfernungen von bis zu 50 Kilometern offenbar von einem norwegischen, deutschen oder französischen Hersteller beschafft würden, so Berlingske. Offenbar steht noch aus, wer den Zuschlag erhalten werde. Infrage kämen demnach die in Norwegen produzierten NASAMS, das deutsche IRIS-T und das französische VL MICA.
NATO-Problem: „,One size fits all‘-Lösung zur Abwehr von Russlands diversen Langstreckenwaffen“ illusorisch
Was für die Franzosen einen Festtag bedeuten wird, erweist der nordatlantischen Verteidigungsallianz vielleicht sogar einen Bärendienst. Der Flickenteppich der verschiedenen nationalen Systeme wird bunter dadurch, dass Dänemark mit den zu SAMP/T gehörenden Aster-Raketen entgegen allen anderen NATO-Partnern seinen eigenen Weg geht, während Polen beispielsweise auf Patriots setzt. Russland ist Klassenbester in Billig, deshalb seien Patriot, SAMP/T und ähnliche Systeme an einem Krieg der Kamikaze-Drohnen vorbei produziert worden, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Beitrag auf X klargestellt hat. Seiner Erfahrung nach helfe lediglich ein gleichermaßen ganzheitlicher wie finanzierbarer Ansatz: „Luftabwehr, mobile Feuergruppen, Abfangdrohnen, Flugzeuge, Hubschrauber und mehrere Ebenen elektronischer Kriegsführung“, wie er schreibt.
Mehr als ein Paradepferd? Das französisch-italienische Luftabwehr-System SAMP-T während der International Paris Air Show vor zwei Jahren. Die Ukraine nutzt das System und scheint unzufrieden zu sein; jetzt haben die Dänen als erster NATO-Partner groß zugeschlagen. © Ludovic Marin / POOL / AFP
Das sind operative Fähigkeiten, wie sie keine Armee der Welt außer den beiden gerade kriegführenden beherrsche. Seinen Worten zufolge sei Russland für die NATO lediglich mit dem Know-how der Ukraine zu bezwingen. Allerdings: Eine „,one size fits all‘-Lösung zur Abwehr von Russlands diversen Langstreckenwaffen“ sei illusorisch, schreibt Lydia Wachs vom deutschen Thinktank „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP). Auch sie fordert eine „integrierte Luftverteidigungsarchitektur“, also eine strategisch ausgearbeitete Verknüpfung verschiedener Wirkmittel, die Sicherheit schafft über Land, über der See, in der Luft sowie im Cyber- und Weltraum. Ein Schritt zu meiner Gemeinsamkeit könnte in der European Sky Shield Initiative (ESSI) liegen – eine strategisch ausgerichtete europäische Einkaufsgemeinschaft für Abwehrsysteme kurzer, mittlerer und langer Reichweiten.
Allerdings fehlt Frankreich in diesem von Deutschland initiierten Verbund – weil die Gemeinschaft von Deutschland vorangetrieben wird, um beispielsweise den von Rheinmetall gebauten Skyranger 30 für kurze Reichweiten zu verkaufen und für mittlere Reichweiten vor allem das von Diehl hergestellte IRIS-T SLM; größere Reichweiten solle die Patriot verteidigen und überlange Reichweiten die israelische Arrow 3. Frankreich ginge in dieser Einkaufsgemeinschaft leer aus. „Dies zeigt, wie schwierig es ist, nationale Industrieinteressen zu überwinden, während die Militärbudgets in ganz Europa steigen. Besonders Paris war von der Ankündigung von Sky Shield überrascht und verschob einen deutsch-französischen Gipfel – auch um seine Verärgerung zu signalisieren“, schrieb die Financial Times (FT) Mitte 2023.
Zu dieser Zeit war bereits deutlich geworden, dass der Ukraine-Krieg die Defizite der europäischen Luftverteidigung schonungslos offen gelegt hatte – und die Politik pochte auf die Deutungshoheit, wie dem wieder beizukommen sei, wie die FT-Autoren Leila Abboud, Laura Pitel und Henry Foy andeuteten. Ihnen gegenüber bestritt ein französischer Offizieller, dass die Verstimmung über die Wahl der deutschen, der US-amerikanischen und der israelischen Systeme keineswegs durch „Wettbewerbsbedenken motiviert gewesen sei“, wie sie schrieben. Wie Berlingske aus einer Pressekonferenz des dänischen Verteidigungsministers zitiert, sei die dänische Kaufentscheidung auch aus rein militärisch-pragmatischen Erwägungen getroffen worden, wie Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen gesagt habe: „Es handelt sich nicht um eine Abwahl von Patriot, sondern um eine Ergänzung dessen, was am besten ist.“ (Quellen: Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlingske, Financial Times, Politico, Wall Street Journal, ntv, Meta-Defense, Ritzau News, X) (hz)