Die britische Bahn steht vor einem einschneidenden Kurswechsel: Bis Ende 2027 will die regierende Labour-Partei alle Eisenbahnbetreiber des Landes verstaatlichen. Die South West Railway war in diesem Frühjahr die erste, nun sollen alle weiteren folgen. 30 Jahre der Zersplitterung gingen damit zu Ende, erklärte die britische Verkehrsministerin Heidi Alexander im Vorfeld. Es gehe ihrer Regierung um eine Neuausrichtung – „weg vom privaten Profit und hin zum öffentlichen Wohl“.

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Die britische Verkehrsministerin Heidi Alexander.

Die Kehrtwende ist das Ende eines konsequenten Privatisierungsdrangs der früher regierenden Konservativen Partei. Die begann unter ihrer damaligen Vorsitzenden, der Premierministerin Margaret Thatcher, bereits in den Achtzigerjahren, schrittweise alle wichtigen staatlichen Betriebe in den Wettbewerb zu schicken – mit unterschiedlichen Erfolgsquoten. Thatchers Nachfolger John Major übernahm diese Aufgabe von 1994 an für die bis dahin staatliche Eisenbahn. Doch das verlief nicht ohne Probleme.

Pannen und Unfälle nach Privatisierung

Major ließ die Staatsbahn in rund 100 privatwirtschaftliche Gesellschaften zerschlagen. In diesem Zusammenhang kam es zur Trennung von Netz und Schiene, wie sie derzeit auch in Deutschland diskutiert wird. Die gesamte Bahninfrastruktur wurde der Gesellschaft Railtrack zugeschlagen, ebenfalls ein neues Privatunternehmen.

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Der auf Gewinnmaximierung ausgelegte Betrieb des Schienennetzes erwies sich jedoch schnell als verheerend: Railtrack vernachlässigte aus Kostengründen die Instandhaltung der Anlagen. Infolgedessen kam es zu etlichen Pannen und Unfällen, die der britischen Bahn zu ihrem bis heute anhaltenden fragwürdigen Ruf verhalfen. 2002 meldete Railtrack Insolvenz an. Ein Jahr später übernahm die öffentlich-rechtliche Gesellschaft National Rail das Netz. Man lernte aus den Fehlern der Vergangenheit: National Rail war ausdrücklich nicht auf Gewinn ausgelegt.

Die erste wieder verstaatliche Bahn: Die South Western Railway, hier 2023 während eines Streiks im Bahnhof Waterloo in London.

Auch die Betreiber der Züge gerieten zunehmend in die Kritik: Der britische Zugverkehr ist auch heute – ähnlich wie der deutsche – geprägt von Ausfällen, Verspätungen, überfüllten und in die Jahre gekommenen Waggons und von regelmäßigen Streiks. Zudem gelten die Preise als noch höher als bei der Deutschen Bahn – zumal es in Großbritannien kein Äquivalent zum Deutschland-Ticket gibt.

Pünktlicher als die Deutsche Bahn

Allerdings schneidet selbst die Deutsche Bahn im direkten Vergleich mit den britischen Betreibern schlechter ab, wie im Februar eine Untersuchung der Financial Times ergeben hatte: Demnach kamen im Vergleichszeitraum Februar 2024 bis Januar 2025 rund 72 Prozent der deutschen Fernzüge mit bis zu zehn Minuten Verspätung am Ziel an. In Großbritannien waren dies 78 Prozent. Auch bei den Regionalzügen lagen die britischen Betreiber mit 84 Prozent vorn (Deutschland 80 Prozent).

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Engt man die Pünktlichkeit ein, fällt die Deutsche Bahn noch weiter ab: Nur 37 Prozent der deutschen Fernzüge kamen der Datenanalyse zufolge im Vergleichszeitraum mit weniger als 60 Sekunden Verspätung am Ziel an. Die britischen Betreiber erreichten im Durchschnitt eine Quote von 69 Prozent. Selbst der unpünktlichste Anbieter, Avanti West Coast, lag mit 41 Prozent immer noch über der Quote der Deutschen Bahn.

Die jüngste Verstaatlichung der britischen Bahn ist indes nicht die erste: Bereits am 1. Januar 1948 ließ Labour schon einmal die damals vier Bahngesellschaften von England, Schottland und Wales zusammenlegen und stellte sie unter der Marke British Railways unter Aufsicht der Regierung. Grund waren damals vor allem Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges: Die Bahnanlagen waren derart beschädigt und durch fehlende Ersatzteile zerschlissen, dass die privat geführten Gesellschaften die Sanierung nicht allein hätten stemmen können.