Kunst über Naturgewalten: Julius von Bismarck, der Ur-Ur-Ur-Großneffe des deutschen Kanzlers Bismarck, zeigt „Normale Katastrophen“ im Kunsthaus Wien.
Stürme, Blitze, monströse Wellen, Feuersbrünste – es gibt keine Naturgewalt, die Julius von Bismarck nicht in ein Kunstwerk verwandelt. Das wäre wenig aufsehenerregend, wenn es im Medium der Malerei geschähe. Der 1983 in Deutschland Geborene allerdings wählt einen weit aufwendigeren Weg, wie es jetzt die große Personale im Kunsthaus Wien eindrücklich zeigt. Denn Bismarck ist zugleich Künstler und Forscher, Vorbereitungen können bei ihm Jahre dauern und sind aktiver Teil seiner Werke. So suchte er für seine Blitz-Fotografien zunächst ein besonders anfälliges Gewitter-Gebiet. Er fand es in Venezuela.
Viele Reisen in Forschungslabors und Gewitterzonen später entwickelte er elegante, schmale „Blitzraketen“, die jetzt im Kunsthaus Wien artig nebeneinander stehen. Aus Aluminium mit versilberten Erdungskabeln aus geflochtenem Kevlar und Kupfer während eines Unwetters in die Wolken geschossen, könne die Ladung von der Erde näher ans Gewitter transportiert werden, erklärt Bismarck beim Rundgang: „Es erzeugt eine Art Berg.“ Eigentlich seien diese Objekte auch gar keine Kunst, sondern ein Mittel, um die Blitze zu zähmen, betont er. Dank integrierten Peilsenders und Fallschirms sind sie wiederverwendbar. Auch Gespräche mit Indigenen gehörten zur Vorbereitung: Sie sehen die Blitze als Wesen, mit denen man kommunizieren kann. Am Ende kamen genau drei Fotografien bei dem Projekt heraus.
„Zarte Schönheit“ von Waldbränden
Längst nicht so zeitraubend, dafür umso gefährlicher war der Weg zu dem extremen Zeitlupenvideo einer gigantischen Welle. Dafür reiste er nach Irland und telefonierte alle Häfen durch. Endlich fand er einen wagemutigen Fischer, der mit ihm in die tosende See stach. Sie wollten schon fast aufgeben, erzählt er, dann schaffte er mit der Hochgeschwindigkeitskamera die Videoaufnahme von etwas mehr als einer Sekunde. In der extremen Verlangsamung erscheint die Welle jetzt wie eine bedrohlich-schöne Felswand, massiv und undurchdringlich. Die Feuer-Fotografien im oberen Stockwerk entstanden in Los Angeles während des verheerenden Brands Anfang 2025. „Ich wollte der medialen Berichterstattung ein anderes Bild dieser Katastrophe entgegenstellen“, sagt Bismarck. Er zeigt, was nach dem Feuer übrig bleibt. In einer anderen Serie möchte er uns die „zarte Schönheit“ von Waldbränden zeigen.
Aber ist diese Ästhetisierung einer Katastrophe nicht höchst problematisch, da seine Bilder durch Schönheit betören, statt den Krisenmodus zu betonen? „Ja, aber ich liebe Probleme“, so Bismarck lapidar. Mit dem Ausstellungstitel „Normale Katastrophen“ gibt er allerdings einen Hinweis: Erlebte Katastrophen führen oft zu einer Müdigkeit als Selbstschutz, der uns den Schrecken als normal empfinden lässt. Die Kunst kann einen anderen Weg vorschlagen: Wir werden berührt, ohne uns überfordert zu fühlen. „Jedes Bild hat eine Wirkung“, ist sich Bismarck sicher, „es beeinflusst unsere Wahrnehmung, wie die romantische Malerei – bis heute.“ Auch unser Denken und Verstehen von Natur sei tief von Bildern geprägt. Das beginne beim Begriff der Landschaft – einer Malerei-Kategorie, die zu Postkartenansichten führt, während gleichzeitig die Natur durch Massentourismus bis Klimawandel bedroht ist.
„Angriff auf das Landschaftsbild“
Bismarck möchte diese Prozesse bewusst machen und neue Bilder schaffen, möchte die Klischees zerstören und uns sensibilisieren. Dafür peitschte er bis zur Erschöpfung auf das Meer ein. Kulturhistorisch ist es eine Anspielung auf eine Anekdote aus vorchristlicher Zeit, als König Xerxes das Meer mit 300 Peitschenhieben bestrafen ließ. Bismarck sieht darin aber vor allem einen „Angriff auf das Landschaftsbild“. Bei ihm ist Natur keine Kulisse, kein Sinnbild eines Gefühlszustands, sondern lebendig. Ein physischer Gegenspieler, der kaum zu kontrollieren ist.
Nicht alle seine Werke basieren auf der Ästhetik des Schreckens, aber folgen durchaus seinem Motto, dass alle Bilder Konstruktionen von historischen Narrativen seien. So ließ er eine riesige, zuvor am Strand mit Wellenlinien bemalte Leinwand im Meer schwimmen – in der Bismarcksee, einem kleinen Randmeer im Pazifischen Ozean. Es liegt in einer Gegend, die im späten 19. Jahrhundert Teil einer deutschen Kolonie war und nach dem ersten Kanzler des Deutschen Reichs benannt worden ist – dem Ur-Ur-Ur-Großonkel des Künstlers. Statt von den Gräueltaten der Kolonialherren zu berichten, lieferten damals Druckgrafiken heile Bildwelten, wovon sein neues „Landschaftsbild“ erzählt – und zugleich, wie er einmal sagte, die ewigen Fragen nach seinem Namen abhandelt.
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