Rekord auf der Leopoldstraße. Da gelingt den Aktivisten die längste Protestaktion gegen die IAA, mehr als acht Stunden. Das Problem ist, dass es kaum jemand mitbekommen dürfte, wenn nachts zwei Dutzend Klimaaktivisten unweit des Siegestors auf die Fahrbahn sitzen. Die Leopoldstraße ist dieser Tage eine Art Sackgasse, die sich anschließende Ludwigstraße ist für die Autoausstellung gesperrt, die Störer stören kaum. Die Polizei lässt sie sitzen. Um Viertel nach vier am Samstag stehen sie auf, es ist kalt.

Das Nachtsitzen wirkt symptomatisch für den Protest gegen die IAA in diesem Jahr. Er stört nicht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, vor allem rüttelt er nicht auf. Das liegt zum einen an abgenutzten Aktionsformen: Das Blockieren von Straßen ist man nach Jahren des Blockierens von Straßen gewohnt. Ausnahme war am Donnerstag die Blockade der Autobahn 9: Die Polizei zeigte, dass sie auch einen Einsatzwagen mit Kran hat, um Leute von einer Schilderbrücke zu holen. Gestört hat die Aktion nur die Menschen, die im Stau standen. Was aber bringt’s dem Klima? Die Kleberei hat in den vergangenen Jahren viel Ärger verursacht, die Klimapolitik hat sie nicht vorangebracht.

Mit einem Kran holt die Polizei Klimaaktivisten von einer Schilderbrücke auf der A9.Mit einem Kran holt die Polizei Klimaaktivisten von einer Schilderbrücke auf der A9. (Foto: Sven Hoppe)Andere Aktivisten klebten sich auf der Autobahn fest.Andere Aktivisten klebten sich auf der Autobahn fest. (Foto: Bernd Kastner)

Dass die diversen Aktionen in der zurückliegenden Woche die Adressaten in Politik und Konzernen wohl kaum jucken, liegt vor allem an der Zahl der Teilnehmenden. Es sind wenige. Ins Klimacamp im Luitpoldpark kommen statt der erwarteten 500 vielleicht halb so viele, schätzt ein Sprecher. Zu den Demos am Samstag sind zusammen 5000 Teilnehmende angemeldet, es kommen aber wohl nicht mal ein Drittel. Martin Geilhufe, Landesbeauftragter des Bund Naturschutz (BN), lobt die kleine Schar der Demonstrierenden für ihr „Zeichen des Durchhaltens“.

Dabei beginnt die von BN, Verkehrsclub Deutschland und Green City organisierte Fahrraddemo mit lautem Hupen und Tuten. Die Polizei lässt ein Auto abschleppen, das im temporären Halteverbot steht, und der Wagen wehrt sich mittels Alarmanlage. Vergeblich. Die Polizei braucht den Platz am Luitpoldpark für ihre vielen blau-weißen Autos. Im Park findet das Klimacamp statt, gleich beginnt die Demo. Gegen die IAA, für eine wirkungsvolle Klimapolitik.

Zu den Demos am Samstag sind zusammen 5000 Teilnehmende angemeldet, es waren dann wohl nicht einmal ein Drittel.Zu den Demos am Samstag sind zusammen 5000 Teilnehmende angemeldet, es waren dann wohl nicht einmal ein Drittel. (Foto: Johannes Simon/Johannes Simon)Die Protestradler gehörten eher der Generation Silber an, was die Kreativität aber nicht schmälerte.Die Protestradler gehörten eher der Generation Silber an, was die Kreativität aber nicht schmälerte. (Foto: Johannes Simon)

Während das IAA-Publikum eher jünger ist, sind die Protest-Radler eher Generation silber. Auf Uwe Kranenpohls Stirn perlt der Schweiß. Von drei Autos sei er auf dem Weg hierher geschnitten worden. Man müsse mit der Stadtgesellschaft verhandeln, sagt er, wo man dem Autoverkehr etwas wegnehme: Wo einen Parkstreifen, wo eine Fahrspur, eines von beidem sei nötig, um das Radeln sicherer zu machen. Ob er selbst Auto fährt? „Ja, ich fahre auch Auto, natürlich. Es gibt Dinge, die man nicht anders machen kann.“ Carsharing nutze er, sehr praktisch.

Ein Mann trägt ein grünes Shirt mit Sonnenblume. Ist das nicht das Symbol der Grünen? Wo sind sie denn, immerhin ist Klimademo? Nur die Grüne Jugend steht auf der Liste der Unterstützer, die Mutterpartei tut sich schwer mit der IAA. Man will sie zwar nicht in der Innenstadt haben, aber auch nicht ganz dagegen sein, also hält sich die Partei fern vom Protest der Klimabewegung. So radeln die Klimabewegten ohne Grüne kilometerweit über den Mittleren Ring in die City. Es ist die wohl größte Verkehrsstörung während der IAA. „Wir brauchen eine echte Mobilitätswende“, ruft Katharina Horn vom BN, es ist die altbekannte Kernforderung. Ihr Kollege Thorsten Kellermann sagt, dass man mit der Technologie von gestern nicht die Zukunft gestalten könne, und dass auch ein Elektroauto brauche, was so knapp sei in der Stadt: Platz.

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Auf dem Karolinenplatz, zwischen zwei Open Spaces der IAA, appelliert BN-Mann Geilhufe an die Politik, das vor Jahren Vereinbarte nicht zu kippen: Von 2035 an sollen europaweit keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden. Und noch ein Ziel benennt er: „Das Auto muss aus den Innenstädten verbannt werden.“ Neben dem Obelisken hat der BN sein Smoothie-Radl aufgestellt: Hier lässt sich mit Pedaltritten ein Mixer antreiben, der Wasser und Früchte zu einem trinkbaren, gesund wirkenden Brei mischt. Felix Tymcik, Fliegermütze auf dem Kopf, ist mit seinem Flugfahrrad angekommen. Er hat ihm Flügel aus Bambus verliehen, erst am Morgen sei er fertig geworden mit dem Basteln. Ob man Bairisch könne, fragte er, um den Slogan auf den Flügeln zu verstehen: „Koa IAA ned.“ Übersetzt in hochdeutsche Aktivistensprache: No IAA! „Drohnenlesbar“ seien seine geflügelten Worte, sagt er, und dass er sein Mitradeln als Reminiszenz an Karl Valentin verstehe.

An die Radldemo schließt sich eine Laufdemo an. Das Publikum ist deutlich jünger, bisweilen radikal. In die Grünen-Lücke tritt die Linkspartei, mit mehreren Stadträten und einem großen Transparent: „Das Klima retten, statt den Kapitalismus.“ Attac wiederum fordert: „Autosaurus ins Museum.“ Würden die Veranstalter das befolgen, hätten sie keinen Lautsprecherwagen. Das ist ein Mercedes-Pritschenwagen mit Oldtimer-Kennzeichen, dank seiner ist die Demo gen Schwabing nicht nur zu hören, sondern auch zu riechen. Er stinkt aus dem Auspuff, und wie.

Vom Karolinenplatz schließt sich eine Laufdemo an die Radldemo an -mit deutlich jüngeren Teilnehmenden und teils radikaleren Botschaften.Vom Karolinenplatz schließt sich eine Laufdemo an die Radldemo an -mit deutlich jüngeren Teilnehmenden und teils radikaleren Botschaften. (Foto: Johannes Simon)

Vor dem Siegestor klettert Jana Häfner auf die Ladefläche und richtet sich auch an IAA-Gäste: „Dieser Protest richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Besuchenden oder Mitarbeitenden der IAA. Er richtet sich gegen diejenigen hinter der Messe“, ruft sie und meint die Autokonzerne, die sich mit dieser Show ein grünes Image geben wollten. Immer wieder skandieren die Aktivisten: „Ganz München hasst die IAA!“ Ganz München? Abgesehen vielleicht von den Hunderttausenden, die auch in diesem Jahr die „Open Spaces“ besuchen.

Im Luitpoldpark endet die Demo. Feierabend, Zeit fürs gemeinsame Abendessen. Da fällt in einem der Zelte eine unscheinbare Ausstellung auf. Sie besteht nur aus zwei Exponaten auf einem Biertisch. Zu sehen sind zwei gefährdete Gegenstände: Eine Schneekette, oder wie Artenforscher sagen: „Catena nivaria“. Mangels Winter fast verschwunden, steht da, „letzte Sichtungen: Sporadisch in Wintersportregionen“ und „gelegentlich im Kofferraum älterer Fahrzeuge“. Daneben ein Insektenschwamm, einst unentbehrlich, um die Insektenleichen von Windschutzscheibe und Scheinwerfern zu entfernen. Und heute? „Mit dem massiven Rückgang der Insekten durch Lebensraumvernichtung, Pestizide und Klimawandel verlor der Insektenschwamm seine Lebensgrundlage. Er gilt als ausgestorben.“ Die Klimaaktivisten können also auch feine Ironie.

Insgesamt aber wirken die diversen Aktionen die Woche über, ob angemeldet oder nicht, eher wie kuriose Farbtupfer auf dem IAA-Lack. Ein paar Aktivisten vom Antikapitalistischen Klimatreffen rollen während des Messe-Aufbaus ein Transparent vor dem Porschestand aus, lassen einen Rauchtopf qualmen, und weg sind sie. Später färben sie das Wasser im Brunnen vor der Uni grün. Zum Start der IAA springen Leute von Extinction Rebellion in den Messesee und stellen sich tot. Auf der Maximilianstraße rollen sie einen mobilen Zebrastreifen aus und werben mittels „Street Performance“ für eine andere Stadtentwicklung. Attac legt ein großes Banner auf den Boden des Marienplatzes („Wohnraum statt Hubraum“) und plakatiert Fake-Werbeplakate auf Tram-Wartehäuschen.

Die Protestaktionen gegen die IAA bleiben eher kuriose Farbtupfer - so wie zum Start der Ausstellung, als Aktivisten in den Messesee springen und sich tot stellen.Die Protestaktionen gegen die IAA bleiben eher kuriose Farbtupfer – so wie zum Start der Ausstellung, als Aktivisten in den Messesee springen und sich tot stellen. (Foto: Sven Simon/Imago)

Am Freitagnachmittag laden junge Aktivisten zu einem „ungehorsamen Straßenfest“, am Mittleren Ring, auf einer Verkehrsinsel zwischen BMW-Welt und -Museum. Auch die Polizei fühlt sich eingeladen. Sie schickt mindestens fünf Pressesprecher und bildet mit sehr vielen Kräften eine Art Wagenburg um die Aktivisten. Ein Übergriff auf die Bayerischen Motorenwerke wäre für die bayerische Polizei eine Blamage. Allein, einer Frau gelingt es inmitten der unzähligen Uniformierten, der Polizei aufs Dach zu steigen, genauer: einem der blau-weißen Busse.

Und die Polizei? Bleibt gelassen. Es fällt auf, dass sie all die Proteste zwar massiv begleitet, 8000 Beamte seien im Einsatz, heißt es, aber anders als bei früheren IAA gibt es keinen Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray. Das könnte an den moderaten Aktionen liegen, oder an einer moderateren Polizei. Oder an beidem. Am Sonntagmittag heißt es aus dem Präsidium in einer vorläufigen Bilanz der IAA-Woche: alles ziemlich ruhig geblieben. Die Aktivistin auf dem Polizeidach darf oben bleiben, bis sie freiwillig herabsteigt.

Dieter Martin ist vor BMW auch wieder dabei, er ist Rentner und aus dem hessischen Odenwald angereist. Gerade hat er versucht, sich auf die Straße zu setzen, die Polizei hat ihn und die anderen weggetragen. Er beklagt, dass „die Luft raus“ sei, viele Menschen wollten nichts mehr von Klimaschutz hören. Am Tag davor hat Martin sich auf die A9 gesetzt. Was hilft es dem Klima? Es sei halt ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen, sagt er, aber ja, er sei auch zwiegespalten. „Ist es das Richtige?“

Ein Aktivisten-Sprecher vor der BMW-Welt sagt, dass sie gerne ein bisschen ungehorsamer gewesen wären bei ihrem „ungehorsamen Straßenfest“. Aber bei so viel Polizei, das sei „total frustrierend“. Am Sonntag, zum Abschluss, setzen sich ein paar Aktivisten auf die Brienner Straße und halten ein Transparent hoch: „Das war die letzte IAA.“ Vermutlich irren sie sich. Die Autoshows für 2027, 2029 und 2031 sind bereits gebucht.