Im Februar unterzeichnete Putin persönlich ein Dekret, das eine Wiederbelebung des zu Sowjetzeiten gegründeten Musikwettbewerbs Intervision vorsieht – als Gegenstück zum europäischen Song Contest. Vizeregierungschef Dmitri Tschernyschenko fungiert als Cheforganisator des Wettbewerbs, der dem Dekret zufolge die „Entwicklung internationaler kultureller und humanitärer Zusammenarbeit“ zum Ziel haben soll.

Die Intervision-Idee entstamme Putins Wunsch, ein „kulturelles Gegengewicht“ zum Eurovision Song Contest zu schaffen, der liberale und westliche Werte repräsentiere, so die Kulturwissenschaftlerin Barbara Barreiro Leon von der Universität Aberdeen in Schottland gegenüber dem „Guardian“. Im Speziellen das gelebte Bekenntnis zu Vielfalt und Queerness waren Russland – wo die LGTBQ-Bewegung als extremistische Organisation eingestuft ist – immer ein Dorn im Auge.

Publikum und Bühne bei einer Veransstalung 2024 in der Live Arena nahe Moskau

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Die Arena in der Nähe von Moskau wird oft für Konzerte genutzt und fasst 11.000 Zuschauerinnen und Zuschauer

Lawrow verspricht Show „ohne Perversionen“

Die eigene Veranstaltung biete nun allen Ländern die Chance, „ohne jede Zensur“ ihre besten musikalischen Traditionen vorzustellen, versprach Russlands Außenminister Sergej Lawrow bei einem Treffen mit Botschaftern Anfang des Jahres. „Ich garantiere, dass es dort keine Perversionen und Verhöhnung der menschlichen Natur geben wird“, so Lawrow weiter.

Quasi programmatisch wurde wohl auch der russische Kandidat ausgewählt. Der ultranationalistische Sänger Jaroslaw Dronow alias Shaman wurde in seiner Heimat vor allem durch das nationalistische Lied „Ja Russki“ („Ich bin Russe“) bekannt, das wenige Monate nach Kriegsbeginn veröffentlicht und in Russland schnell populär wurde. Shaman ist klarer Befürworter der Invasion und hat sich als Putin-Anhänger geäußert. Häufig tritt er bei den vom Kreml organisierten Konzerten wie zum Jahrestag der Annexion der Krim auf.

Russischer Sänger Yaroslav Dronov Shaman mit Band vor Intervision-Logo

IMAGO/Russian Look/Komsomolskaya Pravda

Putin-Fan Shaman vertritt Russland

„Befreundete Nationen“ von Kuba bis Indien

Nach welchen Kriterien Länder und Kandidatinnen bzw. Kandidaten ausgewählt wurden oder ihre Teilnahme anmelden konnten, kommunizierten die Veranstalter nicht näher, „befreundete Nationen“ seien jedenfalls eingeladen, hieß es. Laut Regularium kann die Vertretung eines Landes „eine Rundfunkanstalt, eine öffentliche Institution, ein Privatunternehmen oder eine Privatperson sein“.

Aktuell stehen 17 Länder auf der Website, darunter – wenig überraschend – fast ausschließlich Russland-Verbündete oder zumindest Russland neutral gegenüberstehende Länder. Dazu gehören Kasachstan, Venezuela, Indien, China, Kuba und Katar.

Ganz vorne mit dabei ist auch Weißrussland, das seit 2021 von der EBU vom Song Contest ausgeschlossen wurde, weil der Sender BTRC die grundlegenden Werte in Bezug auf freie Meinungsäußerung nicht mehr vertrete, so die EBU. Die Intervision-Show wird in Weißrussland nun im Hauptabendprogramm live übertragen.

Das einzige Land, das sowohl beim Song Contest als auch in der russischen Show vertreten sein wird, ist Serbien. Durch welchen Modus oder welche Organisation der Kandidat Slobodan Trkulja ausgewählt wurde, ist nicht bekannt. Als serbischer Juror fungiert der in St. Petersburg lebende Musikproduzent Mirko Radenovic.

Kandidat aus den USA am Start

Unklar ist, ob das Treffen von US-Präsident Donald Trump und Putin im August den Status der beiden Länder auf befreundet genug für eine Einladung geändert hat, jedenfalls wurde kurz danach die Teilnahme der USA am Intervision-Bewerb bestätigt. Antreten soll Brandon Howard (genannt B Howard), der bisher international weniger mit seiner Musik Schlagzeilen gemacht hat, als mit Spekulationen darüber, ob er nicht möglicherweise ein Sohn von Michael Jackson sei.

Die Intervision-Veranstalter schwärmen in höchsten Tönen über seine „emotionale Kraft“ und „unverwechselbare Stimme“, der Künstler selbst verschweigt die Teilnahme bisher auf seinen Social-Media-Konten. Auch ob der Antritt der USA in irgendeiner Form staatlich unterstützt wird oder eine private Initiative ist, ist unklar.

Brandon Howard im Jahr 2022

APA/AFP/Getty Images/Arnold Turner (Archivbild)

Brandon Howard tritt in Moskau an. Ob das als offizieller Antritt der USA zu werten ist, ist unklar.

Bemühter Imitationsversuch

In der Organisation bemühen sich die Intervisions-Veranstalter offenkundig, Ähnlichkeiten mit dem Eurovision-Spektakel zu suggerieren. Laut Instagram-Präsenz wurde ein „Volunteer Corps“ aufgebaut – also freiwillige Helferinnen und Helfer rund um die Austragung. Rund zehn Tage vor dem Bewerb werden die Delegationen in Moskau erwartet, wo ein Rahmenprogramm organisiert wird und die Proben in der Halle starten.

Eine zeitgleiche TV-Übertragung, wie beim Song Contest ist nicht geplant, weil sie nicht nur an den extremen Zeitverschiebungen zwischen den Kontinenten scheitert, sondern auch daran, dass nur wenige Rundfunkanstalten involviert sind. Auch auf ein Televoting verzichtet man – wohl aus ähnlichen Gründen – ebenfalls. Stattdessen sollen Jurorinnen und Juroren aus den Teilnehmerländern entscheiden, wer den Crystal Cup, eine gläserne Trophäe, mit nach Hause nehmen darf. Ob das Siegerland im nächsten Jahr auch für die Austragung zuständig sein wird, lässt man offen: Die Entscheidung darüber obliege den Veranstaltern, heißt es.