Samuel Dobernecker, Kreiskantor des Kirchenkreises Köln-Süd, hat keine Angst, dass KI ihn in absehbarer Zeit ersetzten könnte. Er nimmt die Sache eher „sportlich“ und hatte für sein „Orgelkonzert mit Wort und Idee“ in der Reformationskirche nicht nur den provokanten Titel „Künstlerische Intelligenz“ gewählt, sondern auch ein faszinierendes Konzertprogramm zusammengestellt, bei dem das Publikum zwischen den Originalwerken von Bach, Pachelbel, Schumann und Robin sowie einer Improvisation des Organisten Kompositionen zweier Musikgeneratoren zu hören bekam. Zwischen den Musikblöcken gab Dr. Frank Vogelsang, Leiter der Evangelischen Akademie im Rheinland, drei thematische Impulse. Die Stücke wurden nicht in der im Programmheft aufgeführten Reihenfolge gespielt, sodass das Zuhören zu einer vergnüglichen Spurensuche wurde – auf der Suche nach musikalischer Originalität.

Dr. Frank Vogelsang erinnerte zunächst an die „unheimliche“ Dimension der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“, die den sekundenschnellen Zugriff auf Millionen von Büchern ermöglicht. Mit „Jupiter“ sei in Jülich gerade erst die größte Rechenanlage Europas in Betrieb genommen worden. Doch was ist überhaupt KI? Vogelsang nannte drei Komponenten, die für die Entwicklung sogenannter Large Language Systems maßgeblich sind: Zunächst leistungsfähige Computer, die Verfügbarkeit von großen Datenmengen und neuronale Netze. Vogelsang erklärte, dass diese der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden seien und auf Mustererkennung basiere. Auch Bilder seien Muster. Dann machte der studierte Elektroingenieur und Leiter der Evangelischen Akademie im Rheinland zwei philosophische Anmerkungen: Zunächst stellte er die Frage: „Kann die KI irgendwann den Menschen ablösen?“ und äußerte seine Skepsis. Die die KI-Forschung seit ihren Anfängen begleitende Angst vor einer „feindlichen Übernahme“ sei wohl „ein Sache, die eher in unserer Kultur steckt“.

„KI vs. KI“
Johannes (r.) und Leander – das Team für Licht und Technik.Johannes (r.) und Leander – das Team für Licht und Technik.

Die Musik im ersten Teil „KI vs. KI“ stammte von AIVA (Artificial Intelligence Virtual Artist), einer KI-gesteuerten (seit 2016 offiziell anerkannten) Musikkomponistin, die Deep-Learning-Algorithmen nutzt, um klassische Werke nach Mustern abzusuchen, auf deren Basis sie „neue“ Werke erzeugt. Die Prompts (Instruktionen) lauteten: „Dreistimmige Orgelfuge im Stil von Pachelbel“ und „Orgelstück im Stil von Bachs Toccata und Fuge D-Moll“.

An den Anfang seiner zweiten Intervention stellte Frank Vogelsang jene Fragen, die dem Konzept des Abends zugrunde lagen: „Wie steht es um die Fähigkeit der KI, Musik zu komponieren?“, „Ist die Musik der KI wirklich Musik?“ Und weitergefragt: „Ist menschliche Genialität vielleicht auf KI übertragbar?“ Diese Fragen sind vielleicht deshalb so drängend, weil sie den tief in der europäischen Kultur verankerten Geniebegriff infrage stellen. Die Idee der „Maschinenmusik“ ist dabei keineswegs neu. Bereits Lorenz Christoph Mizler (1711 – 1778), ein Zeitgenosse und Schüler Johann Sebastian Bachs, versuchte sich an der Konstruktion einer „Generalbassmaschine“, die die Kompositionsregeln mathematisch erfassen und lehren sollte.

„Menschen reagieren auf das, was sie bewegt“
Dr. Frank Vogelsang, Direktor der Ev. Akademie im Rheinland, begleitete das Konzert mit Denkanstößen zum Thema Künstliche Intelligenz.Dr. Frank Vogelsang, Direktor der Ev. Akademie im Rheinland, begleitete das Konzert mit Denkanstößen zum Thema Künstliche Intelligenz.

Vogelsang betonte, dass Musikstile immer Zeugen ihrer jeweiligen Zeit seien. „Menschen reagieren auf das, was sie bewegt“, erklärte er. Als Beispiele nannte er Bachs Weihnachtsoratorium, das die höfische Musik seiner Zeit widerspiegelt oder auf Ludwig van Beethovens „Eroica“, die ein musikalisches Echo auf die Inthronisation Napoleons war. „Die KI hat keinen Weltbegriff!“, stellte Frank Vogelsang fest und ergänzte: „Die Welt der KI endet am Ende ihrer Datensätze.“

Auf der philosophischen Suche nach den Quellen von Liebe, Hingabe und tiefem Erleben wird man zwangsweise auf eine menschliche Grunderfahrung stoßen, die einer künstlichen Intelligenz unzugänglich bleiben muss: die Sterblichkeit. Frank Vogelsang fragte: „Liegt in der menschlichen Endlichkeit, in der Begrenztheit menschlichen Lebens nicht ein Vorteil gegenüber der KI?“

Im zweiten Teil „KI vs. KI“ kam der „Musiktransformer“ zum Einsatz, ein KI-System der Google Magenta Research Group, das anhand von 200 Stunden Klaviermusik trainiert wurde. Daher kann diese KI nicht nur bloße Notenfolgen, sondern auch die Eigenheiten von Ausdruck und Timing nachbilden. Da jedoch ausgehaltene Töne auf Klavier und Orgel gegensätzliche Effekte erzielen, müssen die Stücke dennoch durch den Interpreten gestaltet werden.

KI-generierte Musik für den Gottesdienst?

Die dritte Intervention berührte das Verhältnis von Theologie und Technologie, indem sie zur Diskussion stellte, ob KI-generierte Musik auch für den Gottesdienst geeignet sei. Künstliche Intelligenz, so Vogelsang, habe keine Transzendenz und könne sich daher auch nicht auf Gott beziehen. Sein Plädoyer lautete: „Die Entscheidung liegt bei der Gemeinde!“ Auch nicht-sakrale Musik finde ja mittlerweile Eingang in den Gottesdienst. Allerdings gab er zu bedenken, dass Singen und Musizieren im kirchlichen Kontext auch Gemeinschaft stiften und stellte fest: „Religion ist eine Sache, der man gemeinsam Ausdruck gibt.“ Wie wichtig menschliche Kommunikation, Zuwendung, Ermutigung und Ermahnung für ein lebendiges Glaubensleben sind, machte Frank Vogelsang anhand der Briefe des Apostels Paulus deutlich.

Wer ein eindeutiges Votum für oder gegen KI im Gottesdienst und in der Kirchenmusik erwartet hatte, kam an diesem  – musikalisch und intellektuell anregenden – Abend nicht auf seine Kosten. „Was religiös ist, entscheiden letztlich wir“, resümierte Frank Vogelsang. So gingen die Besuchenden mit der Erkenntnis nach Hause, dass Musik zwar viel mit Mathematik und damit auch mit reproduzierbaren Mustern zu tun hat, doch das, was uns als Hörende berührt, (zum Glück) ähnlich schwer greifbar ist wie Gott selbst.

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Text: Priska Mielke
Foto(s): Priska Mielke