Duschen, ins Kino gehen, Fahrradfahren – was für viele Menschen normaler Alltag ist, stellt Jasper Dombrowski vor Herausforderungen. Der 30-Jährige wurde mit einer Zerebralparese geboren: Seine motorischen Fähigkeiten sind stark eingeschränkt. Damit er sein Leben dennoch so selbstbestimmt wie möglich gestalten kann, unterstützen ihn aktuell acht sogenannte persönliche Assistenzen.

Eine seiner Assistentinnen ist Hannah Bär. An einem Vormittag im September öffnet sie die Tür zu Jasper Dombrowskis Wohnung in Mariendorf. Bärs Aufgabe: Sie unterstützt Dombrowski bei alltäglichen Aufgaben, begleitet ihn in den Park, fährt mit ihm S-Bahn oder hilft ihm beim Kochen. Dafür ist sie bei Dombrowski direkt angestellt, im sogenannten ArbeitgeberInnenmodell.

Genau dieses Modell ist nun aber in Gefahr: Seit Anfang des Jahres verdienen direkt beschäftigte Assistenzen rund 340 Euro weniger als jene, die bei einem Assistenzdienst angestellt sind. Ab 2026 wird der Lohnunterschied noch größer.

Persönliche Assistenz

Eine persönliche Assistenz ist eines von verschiedenen Betreuungsmodellen, mit denen Menschen mit Behinderung im Alltag unterstützt werden. Beim ArbeitgeberInnenmodell entscheiden sie selbst, bei welchen Aufgaben sie von wem, wann, wo und in welcher Form unterstützt werden. Bezahlt werden die Assistenzen über ein persönliches Budget. Dieses wird, je nach Grad der Behinderung und Art der Unterstützung, von verschiedenen Trägern finanziert: etwa der Pflegekasse oder auch dem Jobcenter. Weitere Infos zu diesem und weiteren Modellen finden Sie unter persoenliche-assistenz-berlin.de

Grund ist, dass die Senatsverwaltung einen Tarifvertrag nicht anerkennt, den die Arbeitsgemeinschaft der behinderten Arbeitgeber*innen mit Persönlicher Assistenz (AAPA) und Verdi ausgehandelt haben. Anders ist es beim Tarifvertrag der Assistenzdienste, der voll finanziert wird.

Bezahlt werden die Assistenzen über das sogenannte persönliche Budget, das das Land Menschen mit Behinderungen zur Verfügung stellt. Der Vorteil aus Sicht der Arbeitgeber:innen? „Ich kann mir die Leute aussuchen“, sagt Jasper Dombrowski. Um zu sprechen, tippt der 30-Jährige mit der Nase auf ein Tablet, das seine Sätze vorliest.

Anders als bei Assistenzdiensten, kann Dombrowski selbst entscheiden, wer wann etwa mit ihm auf ein Konzert geht oder ihn bei bestimmten Dingen im Haushalt unterstützt. Er kann auch bestimmen, wer überhaupt bei ihm arbeitet. „Ich hätte keine Wahlfreiheit und Selbstbestimmung mehr, um zum Beispiel spontan am Abend noch irgendwo hinzugehen“, sagt Dombrowski. Stattdessen wäre er von den Dienstplänen der Assistenzdienste abhängig, die er nicht mitbestimmen kann.

Ich hätte keine Wahlfreiheit und Selbstbestimmung mehr, um zum Beispiel spontan am Abend noch irgendwo hin zu gehen.

Jasper Dombrowksi, Arbeitgeber von acht persönlichen Assistenzen

Das Problem sei, dass immer mehr Assistent:innen zu den Diensten abwandern würden, sagt Hannah Bär, die für Verdi auch in der Tarifkommission sitzt. „Wir finden, dass gleiche Arbeit auch gleich bezahlt werden muss“, sagt Bär. Für sie hat das ArbeitgeberInnenmodell auch weitere Vorzüge: „Wir können direkter planen, auch mal untereinander spontan tauschen und sind ein stabiles Team“, sagt Bär. Dafür müsse aber auch immer jemand einspringen, wenn jemand etwa krank wird und ausfällt.

Assistenzen könnten zu ambulanten Diensten abwandern

„Jasper führt hier ein kleines Unternehmen“, sagt Bär. „Das ist schon viel Arbeit“, sagt Dombrowski und meint die Organisation seines Teams. Daneben hat er auch seinen regulären Job: Dombrowski ist Grafikdesigner und arbeitet unter anderem für die Berliner Behindertenzeitung.

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Dadurch, dass kein Dienst das Team organisieren muss, spare der Senat beim ArbeitgeberInnenmodell sogar Geld, sagt Hannah Bär. „Wenn jetzt alle 150 Berliner Arbeitgeber:innen zu Assistenzdiensten wechseln müssten, würde das auf jeden Fall teurer.“

Das räumt auch die Senatsverwaltung ein: „Bei den ambulanten Diensten, also im sogenannten Sachleistungsmodell, entstehen Kosten wie für Büromiete, Verwaltungspersonal und Investitionskosten, welche nicht im ArbeitgeberInnenmodell anfallen“, sagt ein Sprecher der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales.

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Das ArbeitgeberInnenmodell sei „ein wichtiges Instrument des Wunsch- und Wahlrechts der leistungsberechtigten Personen. Es ermöglicht ihnen eine umfassende selbstbestimmte Lebensführung und Teilhabe an der Gesellschaft“, sagt der Sprecher weiter.

Allerdings müsse die Finanzierung die rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllen: Demnach sei der Tarifvertrag von AAPA und Verdi nicht finanzierbar, weil die vorgesehene tarifliche Einstufung nicht dem geforderten Ausbildungslevel entspreche. Die Assistenzkräfte müssten keine Ausbildung vorweisen, sagt der Sprecher. Zudem sei der Senat an die Haushaltsmittel gebunden – die bekanntlich aktuell an verschiedenen Stellen stark gekürzt werden.