Am Sonntagabend hatte Roland Virkus um Nachsicht gebeten, als er auf die Jobsicherheit von Trainer Gerardo Seoane angesprochen wurde. Er müsse „erst mal eine Nacht drüber schlafen“, sagte Borussia Mönchengladbachs Sportchef, sich „das Ganze noch mal angucken“.
Am Montagmorgen begann früh die Krisensitzung im Borussia-Park, Seoane leitete unterdessen noch die Trainingseinheit der Ersatzspieler. Am Nachmittag dann die Mitteilung des Vereins: Borussia trennt sich nach mehr als zwei Jahren von Chefcoach Seoane. U23-Trainer Eugen Polanski übernimmt „bis auf Weiteres“.
„Nach einer intensiven Aufarbeitung unseres Saisonstarts sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass wir eine Änderung auf der Position des Cheftrainers vornehmen müssen“, wird Virkus zitiert. „Nach nun saisonübergreifend zehn Bundesligaspielen ohne Sieg ist bei uns der Glaube geschwunden, dass der Umschwung mit Gerardo gelingen kann.“
Um 14.07 Uhr war Seoane vom Hof vor der Geschäftsstelle am Borussia-Park gefahren. Es hatten sich bereits die Anzeichen verdichtet, dass damit sein letzter Arbeitstag als Trainer in Gladbach endete.
Borussia hatte den Schweizer am 6. Juni 2023 verpflichtet, 71 Bundesligaspiele später war Seoane der drittdienstälteste Trainer der Liga nach Frank Schmidt (1. FC Heidenheim) und Sebastian Hoeneß (VfB Stuttgart). Vor ihm hatte als letzter Gladbach-Coach Lucien Favre drei Sommervorbereitungen in Folge leiten dürfen.
Borussia Mönchengladbach: 450 Minuten ohne Tor
Seoane folgte auf Daniel Farke und hatte auf Platz 14 mit 34 Punkten eine der schwächsten Spielzeiten der Gladbacher Bundesliga-Geschichte zu verantworten. Im zweiten Jahr führte Seoane die Mannschaft auf Platz zehn und mit 45 Punkten deutlich ins Plus, sieben sieglose Spiele zum Saisonende sorgten allerdings für einen Ausklang, der wieder Fragen aufwarf, ob der 46-Jährige Borussia dauerhaft stabilisieren kann. Die Serie weitete sich zum Start dieser Saison auf zehn Partien nacheinander ohne dreifachen Punktgewinn aus, zudem wartet Gladbach seit 450 Minuten auf ein Tor.
Dass der Verein so früh in der Saison die Reißleine zieht, so früh wie zuletzt bei Rainer Bonhof 1999 in der 2. Bundesliga, kommt nicht überraschend nach den Statements vom Sonntagabend, hatte sich in der Vorbereitung aber keineswegs angedeutet.
„Wenn ich sehe, wie sich alles bei uns in den vergangenen zwei, drei Jahren entwickelt hat, muss ich schon sagen, dass ich insgesamt zufrieden bin“, betonte Bonhof, mittlerweile Präsident, noch am 1. August in einem Interview mit unserer Redaktion. „Als Gerardo zu Borussia kam, hat er sich von Beginn an unserem Weg verpflichtet. Er hat sich weder über Abgänge noch über Verletzungen beklagt, sondern hart gearbeitet.“
Mit dem Wissen, dass es losging mit einem holprigen Pokalspiel beim Oberligisten Atlas Delmenhorst (3:2) sowie einem Punkt und 0:5 Toren in der Liga, erklärte Bonhof nun die Trennung: „Allerdings war das Ende der Saison nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben und der Start in diese Spielzeit ebenfalls nicht. Der Schritt, nun einen neuen Impuls zu setzen, ist der richtige.“
Eugen Polanski traf gegen Leverkusen erstmals
Nach Informationen unserer Redaktion soll Seoane den Rückhalt des Aufsichtsrates schon früher verloren haben. Bei den Fans hatte er im Laufe seiner Zeit bei Borussia immer wieder ein schweres Standing, wurde im Frühjahr, als es runterging von Platz fünf auf zehn, mehrmals ausgepfiffen im eigenen Stadion.
„Ich mache Entwicklungen nicht nur an Ergebnissen fest“, stellte Sportchef Virkus noch unmittelbar vor dem Bremen-Spiel im Interview mit unserer Redaktion klar. Er wollte „mit dem Trainer zusammen“ den eingeschlagenen Weg weitergehen. Der ist nun zu Ende.
Mit Seoane wird wohl auch Co-Trainer Patrick Schnarwiler gehen, den Seoane mitgebracht hatte nach Gladbach. Guido Streichsbier und Oliver Neuville sind sozusagen Vereinstrainer, sie dürften bleiben und Polanski unterstützen, mit Neuville hat der beförderte Coach einst in Gladbach zusammengespielt.
Fraglich ist, ob David Zibung, der mit Seoane schon seit Luzerner Zeiten eng verbunden ist, Borussia als Sportkoordinator Lizenz bleibt. Und auch die Zukunft von Athletik-Coach Nicolas Dyon dürfte offen sein. Auch er kam mit Seoane nach Gladbach.
Polanski reiht sich ein in die Riege der Borussia-Trainer, die früher selbst das Gladbach-Trikot trugen. Am Sonntag im Auswärtsspiel bei Bayer 04 Leverkusen (17.30 Uhr, Dazn) wird der 39-Jährige erstmals auf der Bank sitzen bei den Profis.
Kurios: 2005 feierte Polanski sein erstes Bundesliga-Spiel gegen Werder Bremen, das ihn nun quasi ins Amt schoss, machte sein erstes Spiel über 90 Minuten gegen Bayer und erzielte gegen die Werkself am 19. November 2005 sein erstes Bundesliga-Tor beim 1:1. Fast 20 Jahre später folgt nun das Debüt als Bundesliga-Trainer gegen diesen Gegner.
Der letzte Co-Trainer, der in Gladbach kurzfristig aufrückte, war 2015 André Schubert nach dem Blitzabschied von Lucien Favre. Er führte Gladbach damals noch in die Champions League.