Harmonisch wie unter guten Nachbarn wird der Antrittsbesuch des neuen polnischen Präsidenten am Dienstag in Berlin wohl kaum. Karol Nawrocki hat sich im Wahlkampf mit Reparationsforderungen und antideutschen Tönen hervorgetan. Er war der Kandidat der nationalpopulistischen PiS, der derzeit größten Oppositionspartei Polens.
Andererseits zwingen der Ukrainekrieg und die angespannte Sicherheitslage die Gastgeber, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), wie auch den Gast zu demonstrativer Solidarität.
Denn vor wenigen Tagen sind mehrere russische Drohnen in Polens Luftraum eingedrungen. Polen hat deshalb Beratungen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags beantragt, der Konsultationen vorsieht, wenn ein Bündnismitglied sich bedroht sieht. Und Russland übt gerade beim gemeinsamen Manöver „Zapad“ mit Belarus die Vorbereitung eines Angriffs auf die Nato-Ostflanke.
Nawrocki hat bislang wenig Sympathien für Deutschland gezeigt und wird nach seinem gelungenen Besuch bei Donald Trump selbstbewusst auftreten.
Kai-Olaf Lang, Polen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik
Was wird am Dienstag dominieren: Nawrockis deutschlandkritische Haltung oder der nachbarschaftliche Schulterschluss gegen die Bedrohung?
„Aufgrund der bisherigen Äußerungen von Präsident Nawrocki zu den polnisch-deutschen Beziehungen erwarte ich keine großen Fortschritte in den Beziehungen“, sagt Agnieszka Łada-Konefał, Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt. „Das Thema Sicherheit wird eine zentrale Rolle spielen.“
Agnieszka Lada-Konefal ist Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts (dpi) in Darmstadt.
„Steinmeier und Merz werden sich bemühen, durch einen freundschaftlichen und respektvollen Umgang in einen Gesprächsmodus mit Nawrocki zu kommen“, erwartet Kai-Olaf Lang, Polen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Er hat bislang wenig Sympathien für Deutschland gezeigt.“
Kai-Olaf Lang ist Experte für Polen, Osteuropa und die EU bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP).
Nawrocki wird „nach seinem gelungenen Besuch bei Donald Trump selbstbewusst auftreten“, analysiert Lang. „Aber er möchte kein Porzellan zerschlagen. Er wird hervorheben, dass Präsident Trump ihm versprochen hat, keine US-Truppen aus Polen abzuziehen und vielleicht sogar ihre Zahl zu erhöhen. Damit unterstreicht Nawrocki seine internationale Bedeutung und sendet zugleich eine klare Botschaft an die polnische Öffentlichkeit.“
Nawrocki wird aber auch die Reparationsforderungen ansprechen. Das erwarten seine Wähler.
Agnieszka Łada-Konefał, Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts
„Beide Präsidenten und Kanzler Merz werden Russlands Provokationen einstimmig verurteilen und die Notwendigkeit bekräftigen, sich gemeinsam dagegen zu wehren“, sagt Łada-Konefał. „Nawrocki wird aber auch die Reparationsforderungen ansprechen. Das erwarten seine Wähler.“
Die deutsche Seite werde dies „entweder nicht kommentieren oder kurz antworten, dass Deutschland die Angelegenheit aus rechtlicher Sicht als abgeschlossen betrachtet“, prognostiziert Łada-Konefał. „Gleichzeitig werden Steinmeier und Merz die deutsche Verantwortung für die deutschen Verbrechen in Polen betonen.“
Fokus auf Sicherheit und Verteidigung
Nawrocki will „demonstrieren, dass er konsequent vorgehen kann, aber zugleich zum Gespräch mit Deutschland fähig ist“, erwartet Lang. „Deshalb wird es interessant sein, zu beobachten, wie prominent Nawrocki die Reparationen anspricht. Für ihn und sein politisches Lager ist das Thema hochrelevant.“
„Im Vordergrund werden jedoch Sicherheit und Solidarität stehen“, sagt Lang. „Die Verschärfung der Sicherheitslage an Polens Ostgrenze durch die Drohnen-Provokation und das Manöver ,Zapad’ zwingen Deutschland und Polen, sich über Wehrhaftigkeit, Abschreckung und Verteidigung zu unterhalten.“
Herzliches Verhältnis: Karol Nawrocki (links) bei Donald Trump im Weißen Haus.
© AFP/Saul Loeb
Lang verweist auf die neue Nato-Mission „Sentry“ zur Stärkung der Ostflanke, die Beiträge Deutschlands zur Verbesserung der polnischen Luftverteidigung und Drohnenabwehr sowie die Abwehr hybrider Bedrohungen. „Hinzu kommt weiterhin die Notwendigkeit, die Ukraine militärisch, finanziell und humanitär zu unterstützen.“
Wichtig sei dabei auch der Austausch, wie Deutschland und Polen die Rolle der USA und speziell ihres Präsidenten Trump einschätzen. „Nawrocki hat einen engen Kontakt zu Trump und baut auf dessen Zusagen, obschon Trumps Äußerungen manchmal ambivalent erscheinen – wie jüngst im Zusammenhang mit den Drohnenzwischenfällen“, sagt Lang. „Steinmeier und Merz wollen erfahren, wie Polens Präsident die Rolle Deutschlands bei Sicherheit und Verteidigung des Kontinents sieht und welche Erwartungen er an Berlin hat.“
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Lang sieht Parallelen zwischen den deutsch-polnischen Beziehungen und Polens Innenpolitik: „Die Bedrohung von außen hilft dabei, in Grundfragen zusammenzurücken.“ Das Verhältnis zu Trump habe derzeit „wenig Spaltpotenzial. Trotz ideologischer Unterschiede favorisiert Deutschland einen pragmatischen Umgang mit der Trump-Regierung.“
Strittige Themen gibt es weiterhin: von der Vergangenheitspolitik samt den Reparationsforderungen bis zu Migrationsfragen. Doch Sicherheit und Verteidigung haben momentan größere Relevanz.