Im Hamburger Rathaus ging es am Dienstag um eine der größten Baustellen der Stadtpolitik – im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Bei der Landespressekonferenz stellte Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) die neue Strategie „Zukunft Tiefbau“ vor. Sie soll dafür sorgen, dass Hamburg in den kommenden Jahren deutlich mehr Infrastrukturprojekte umsetzt, ohne dass der Verkehr komplett zum Erliegen kommt. „Mehr Bauvolumen mit weniger Auswirkungen“ – so fasste Tjarks das Ziel zusammen.

Der Investitionsbedarf ist enorm. Nach Angaben des Senats sollen bis 2030 rund 1,2 Milliarden Euro in den Ausbau der Fernwärme fließen, eine weitere Milliarde in das Trink- und Abwassernetz. Hinzu kommen der wasserstofffähige Umbau der Gasleitungen, der Glasfaserausbau sowie der Bau der neuen U-Bahn-Linie U5. Auch Straßen und Brücken müssen in Schuss gehalten werden. Laut Tjarks wurden 2024 rund 250 Kilometer Fahrstreifen saniert – mehr als doppelt so viel wie das frühere Ziel von 100 Kilometern pro Jahr.

Trotz dieser Intensität sei die Stauzeit in Hamburg zuletzt leicht gesunken, so der Senator. Er verwies auf Daten des Mobilitätsanbieters Inrix: Demnach lag der Zeitverlust durch Staus 2024 bei 44 Stunden pro Jahr, gegenüber 48 Stunden im Jahr 2019. Hamburg rangiert damit auf Platz neun unter den deutschen Großstädten und fast auf Bundesdurchschnitt (43 Stunden).

Die Strategie soll dabei über klassische Baustellenkoordination hinausgehen. Nach Darstellung der Verkehrsbehörde soll der gesamte Tiefbauprozess neu aufgestellt werden – von der Anmeldung eines Bauprojekts, über Planung, Genehmigung und Bau bis hin zur Kommunikation. Ziel sei es, schneller, stabiler und termintreuer zu bauen. Dazu gehören laut Senat verschlankte Genehmigungsverfahren, digitale Werkzeuge und verbindliche Standards für alle Beteiligten.

Ein zentrales Element ist das geplante „Bündnis für den Tiefbau“. Daran sollen sich neben Verwaltung und städtischen Unternehmen auch Bauindustrie, Kammern und Verbände beteiligen. Die Federführung liegt bei der Verkehrsbehörde. Hamburg hat bereits gute Erfahrungen mit dieser Art von Bündnissen gemacht. Mit dem „Bündnis für das Wohnen“ etwa gelang es vor der Baukrise die Neubau-Zahlen in Hamburg auf Rekordniveau zu bringen. Auch ein „Bündnis für den Radverkehr“ gibt es.

Tjarks sprach von einem „Marathon“, der nur gelingen könne, wenn alle Akteure – von der Deutschen Bahn über die Autobahn GmbH bis zu Hamburg Wasser – an einem Strang ziehen.

Termintreue und Verkehrsverträglichkeit sollen bei Vergabe stärker gewichtet werden

Zu den angekündigten Maßnahmen zählen eine sogenannte Genehmigungsfiktion für Aufgrabungen nach dem Hamburgischen Wegegesetz, ein Anzeigeverfahren für kleinere Eingriffe sowie die Vereinfachung der Gebührenordnung. Außerdem sollen Musterverträge entwickelt und die Kooperation zwischen den Unternehmen ausgeweitet werden, die im Hamburger Straßenraum bauen, damit eine Stelle möglichst nur einmal geöffnet werden muss und nicht zwei Jahre nach der Wasserleitung eine Gasleitung erneuert werden muss. Beispiele wie die Elbchaussee hätten gezeigt, dass sich so Bauzeiten um bis zu 20 Monate verkürzen lassen, so Tjarks.

Auch neue Vergabemodelle sind geplant: Künftig sollen qualitative Kriterien wie Termintreue und Verkehrsverträglichkeit stärker gewichtet werden. Denkbar sind Anreize für Baufirmen, schneller zu arbeiten – etwa durch Bonusmodelle oder die frühere Einbindung in die Planungsphase. Zudem prüft die Stadt den verstärkten Einsatz von Mehrschichtbetrieb und Winterbau, um Kapazitäten besser auszulasten.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Digitalisierung. Alle Baumaßnahmen, die eine verkehrs- oder baubehördliche Anordnung benötigen, sollen künftig in der Plattform „Roads“ erfasst werden, die die Situation an Hamburgs Straßen darstellt. Für große Ankerprojekte gelten zusätzliche Standards wie verbindliche Verkehrsuntersuchungen und Kommunikationskonzepte. Ziel ist eine „Single Source of Truth“, auf die alle Beteiligten zugreifen können. Baustelleninformationen sollen automatisch an die Urban Data Plattform und die Mobilithek weitergeleitet werden, damit Navigationsdienste wie Google Maps Sperrungen in Echtzeit anzeigen können. Geplant sind außerdem QR-Codes auf Baustellenschildern, damit sich jeder direkt mit dem Smartphone schlaumachen kann, warum und wie lange gebaut wird.

Die Umsetzung der Strategie ist auf zehn Jahre angelegt. Dafür will die Verkehrsbehörde ein eigenes Projektteam aufbauen. „Das ist kein Sprint“, betonte Tjarks. Die Komplexität sei hoch, weil zahlreiche Akteure eingebunden werden müssten – von Bundesbehörden über städtische Betriebe bis hin zu privaten Unternehmen.

Der Bauindustrieverband Hamburg Schleswig-Holstein begrüßte die Senatsstrategie ausdrücklich. Hauptgeschäftsführerin Manja Biel sprach von einem „wichtigen Schritt“, um die wachsende Zahl komplexer Projekte zu bewältigen. Die Branche wolle ihre „technische Expertise und Erfahrung mit Baustellenlogistik im innerstädtischen Raum“ einbringen. Zugleich mahnte Biel, das geplante Bündnis dürfe „keine Plauderrunde“ bleiben. Nötig seien konkrete Arbeitsformate, eine transparente Datenlage, frühzeitige Beauftragungen, verlässliche Finanzierungen und ein koordiniertes Vorgehen mit allen Leitungsträgern.

Skepsis äußerte die CDU-Fraktion. Fraktionschef Dennis Thering warf dem Senat vor, seit Jahren an einer „mangelhaften Koordination von Baustellen“ zu scheitern. Immer wieder gebe es neue Ankündigungen, die Realität bleibe aber unverändert: „An vielen Stellen kommt es zu massiven Staus, weil Bauvorhaben schlecht geplant und gleichzeitig umgesetzt werden.“ Thering erinnerte daran, dass die CDU bereits Vorschläge wie Prämien für zügige Fertigstellungen, Mehrschichtbetrieb und klare Durchgriffsrechte für Koordinatoren gemacht habe. Dass nun einzelne Elemente wie der Mehrschichtbetrieb in die Strategie aufgenommen würden, sei „bemerkenswert“. Ob die neuen Maßnahmen den Verkehrsfluss tatsächlich verbessern, sei jedoch „mehr als fraglich“.

Kritik kam auch von der Linksfraktion in der Bürgerschaft. Deren verkehrspolitische Sprecherin Heike Sudmann bezeichnete die Strategie als „Beruhigungspille für die Bürgerinnen und Bürger“. Seit Jahren würden Behörden und Träger „trotz aller Beteuerungen aneinander vorbeiplanen“, so Sudmann. Der Ärger über Baustellen sei groß und werde mit dem Bau der U5 noch zunehmen: „Für jede der 24 Haltestellen sind jahrelange Baustellen und offene Baugruben erforderlich.“ Ob frühzeitigere Informationen daran etwas änderten, sei „mehr als zweifelhaft“.