Der Mann ist Schauspieler, durch und durch. Wenn die Situation eine öffentliche ist, wenn es gilt, eine Bühne zu betreten, dann fühlt er sich inspiriert, den Moment zu gestalten, ihn feinsinnig zu formen mit mimischen, gestischen, sprachlichen Mitteln. Zunächst noch mit Schiebermütze, in ärmelloser Weste über roter Krawatte, eine Sigmund-Freud-Hornbrille auf der Nase, palavert er vor Beginn der Veranstaltung vom Podium herunter mit Verehrerinnen in der ersten Reihe, wendet sich im Drehstuhl hin und her, um für gezückte Smartphones ein breites Motivspektrum zu bieten. „Ich bin ein öffentlicher Mensch“, stößt er amüsiert hervor.

Klaus Müller, Ensemblemitglied im Schauspiel des Staatstheaters Augsburg, ist an diesem Abend im AZ-Gebäude am Rathausplatz der Gast bei „60 Minuten mit …“, dem Live-Talk der Kulturredaktion der Augsburger Allgemeinen. Birgit Müller-Bardorff fungiert als Stichwortgeberin, ruft zu Beginn einige von Müllers prägnantesten Bühnenrollen in Erinnerung. Hercule Poirot in „Mord im Orientexpress“, Prospero in Shakespeares „Sturm“, der Koch in Brechts „Mutter Courage“… Zu jeder Erwähnung wechselndes Mienenspiel in Müllers Gesicht, bei Roswitha in der „Effi Briest“-Adaption erfolgt eine Intervention. „Das war eine Frauenrolle“, wirft Müller ein und erzählt: Wie er zunächst nur gewusst habe, er sei für die „Effi“-Inszenierung besetzt, nicht aber, in welcher Rolle, und wie er, die Stückfassung in Händen, geblättert und geblättert habe und erst mal überhaupt nicht fündig geworden sei. Anekdotisches aus dem Schauspieleralltag, das ist der Stoff, dem man gerne zuhört.

Debüt in Augsburg in „Dantons Tod“

Wie er, Müller, einst überhaupt nach Augsburg gekommen ist? Der Angesprochene senkt die Stimme. In Berlin war er damals, so gut wie arbeitslos und von depressiven Anflügen geplagt, als ein befreundeter Schauspieler auf ein Vorsprechen in Augsburg hinwies. Gesprochen, engagiert – Robespierre in „Dantons Tod“ war dann sein erstes Stück in Augsburg, damals noch im Großen Haus.

War Müllers Stimme bis dahin gedrosselt, so nimmt sie bei Erwähnung des Hauses am Kennedyplatz rasant an Fahrt auf. „Ich mach’ jetzt mal ein bisschen Politik“ – und was folgt, ist ein flammendes Plädoyer für die bedarfsgerechte Sanierung des Theaters. „Wenn wir da ein Blechkästle hinbekommen, das heruntergerechnet wurde, dann macht das für uns Künstler keinen Sinn“, wettert er gegen Tendenzen, bei der Sanierung zu knapsen, wo es geht. Ja, der Martinipark als Interim sei schon in Ordnung, aber eben ohne Unterbühne, ohne seitliche Gänge für Auf- und Abtritte. „Der ganze Zauberkasten“, der ein Theater, das diesen Namen verdiene, zu sein habe, „der ist im Martinipark nicht gegeben“. Applaus von der Zuhörerschaft.

Müllers Fehlen hat das Publikum nicht bemerkt

Klaus Müller lenkt wieder in ruhigeres Fahrwasser. „Soll ich eine Anekdote erzählen?“ Bitteschön! Und so erzählt er, wie er mal, länger schon her, während einer Aufführung von Klaus Manns „Mephisto“ hinter der Bühne mit einem Theatermitarbeiter ins Ratschen geriet und erst mit erheblicher Verspätung ins Scheinwerferlicht trat. „Wir mussten fünf Minuten lang improvisieren“, hätten ihn hernach die Schauspielkollegen gerüffelt; und noch draufgesetzt: „Keiner im Publikum hat’s gemerkt!“

Eigentlich, fragt ihn Birgit Müller-Bardorff, „haben Sie ja Theologie studiert“. Müller nickt, erklärt, dass er entgegen ursprünglicher Absicht nicht Priester geworden sei, das habe keinesfalls am Zölibat gelegen. Sondern daran, dass er mit der Kirche, wie sie sich seinerzeit unter Papst Johannes Paul II. darstellte, gehadert habe. Er habe gespürt, dass er sich als Priester hätte verstellen, womöglich lügen müssen. „Ich aber wollte meine intellektuelle Redlichkeit nicht aufgeben.“ Man spürt, bei diesem Thema hat Müller die Schauspiel-Maske abgelegt, hier ist Innerstes berührt.

Als Stadtbürger in einem Müller-Cartoon?

Zu den vielen Gesichtern des 64-Jährigen gehört nicht zuletzt der Karikaturist, der jeden Samstag mit seinem „Malsaal“-Cartoon im regionalen AZ-Feuilleton einen Blick auf aktuelle Augsburger Befindlichkeiten wirft. Ob man als Bürger dieser Stadt befürchten müsse, sich in einer seiner Zeichnungen konterfeit zu finden? Müller erzählt, dass er sich die Leute in den Straßen von Augsburg fallweise schon genau anschaue und versuche, das Typenhafte in seine Zeichnungen einfließen zu lassen. Punktgenau in Minute 59 dieser „60 Minuten mit …“ kommt ihm dann die Idee: „Ich mach’ mal einen Cartoon von diesem Termin heute!“ Was der Veranstaltung einen schönen Schlusspunkt setzt: Ob als Karikaturist, ob als Schauspieler, auf Klaus Müller wird man weiterhin gespannt sein dürfen.

  • Stefan Dosch

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