Nicht auf den ersten, wohl aber den zweiten Blick wirkt die Politik von Premier Tusk wie Präsident Nawrocki gegenüber der Kiewer Führung auf der einen und ukrainischen Flüchtlingen auf der anderen Seite höchst widersprüchlich. Warschau hat sich bereits am 10. September, nur Stunden nach dem Abschuss beziehungsweise Absturz von gut 20 russischen Drohnen, auf die Lesart von der „gezielten russischen Provokation“ festgelegt.

Ein Fehler der Russen oder gar eine mögliche Umleitung jener Drohnen durch die ukrainische Luftabwehr wurde ausgeschlossen. Das kontrastiert mit der härteren Gangart, wie sie sich gegenüber in Polen lebenden ukrainischen Flüchtlingen abzeichnet.

Bereits im Wahlkampf hatte der Kandidat Karol Nawrocki anti-ukrainische Töne angeschlagen. Seit mehr als einem Monat im Amt, lässt er seinen Worten nun Taten folgen. Noch im August hat der 42-Jährige – innen-, nicht außenpolitisch motiviert – ein Gesetz angekündigt, das es unter Strafe stellt, der einstigen ukrainischen Aufstandsarmee UPA aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu huldigen.

Gleiches gilt für Stepan Bandera, einst Anführer des politischen Arms der UPA, der OUN-B. Begründet wird dies von Nawrocki mit der Ermordung Zehntausender Polen durch der UPA im Jahr 1943 in Wolhynien.

Die Polen zuerst

Bei diesem Vorstoß blieb es nicht. Ende August legte Nawrocki sein Veto gegen ein Dekret der Regierung ein, das die günstigen Sozialleistungen für in Polen lebende Ukrainer und ihre Kinder sowie die Regelungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt verlängern sollte, die Ende September auslaufen. Künftig will Nawrocki die Zahlung von Sozialleistungen für ukrainische Kinder von einer beruflichen Tätigkeit der Eltern abhängig machen. „Polen zuerst, die Polen zuerst“, so seine Devise.

Wie sehr es sich um ein Aufwiegler-Thema handelt, macht ein Blick in einschlägige Zahlen deutlich. In Polen leben rund eine Million ukrainische Flüchtlinge – nach Deutschland die höchste Zahl in der EU. Hinzu kommen eine halbe Million Ukrainer, die schon vor Ausbruch des Krieges als Arbeitsmigranten kamen. Ihre Beschäftigungsquote liegt bei 69 Prozent, ist damit fast so hoch wie die der polnischen Bevölkerung (75 Prozent) und klar höher als die der nach Deutschland geflohenen Ukrainer, von denen nur 35 Prozent arbeiten.

Häufig werden in Polen Beschäftigungen unterhalb vorhandener Qualifikationen angenommen, bei einem Verdienst, der unter dem Landesdurchschnitt liegt. Die ukrainische Diaspora in Polen erwirtschaftet mittlerweile fast drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Doch um diese Fakten geht es nicht. Im Windschatten von Donald Trump und seiner lavierenden Ukraine-Politik reagiert Nawrocki auf wachsende Vorbehalte in der eigenen Bevölkerung gegenüber Ukrainern. Mehr als 85 Prozent der Polinnen und Polen befürworten die Einschnitte beim Kindergeld. Gut 40 Prozent wollen keine weiteren ukrainischen Flüchtlinge ins Land lassen.

Zweifellos nimmt der Präsident mit seinen Vorstößen dieses Meinungsbild und eine schwelende nationalistische Stimmung auf, von der besonders die nationalistisch-libertäre Partei Konfederacja profitiert. Die artikuliert sich offen anti-ukrainisch, ist seit Monaten im Aufwind und erreicht bei Umfragen Werte von zwölf bis 17 Prozent. Wäre das bei den im Herbst 2027 anstehenden Parlamentswahlen der Fall, käme niemand mehr an ihr vorbei, was Nawrocki und die PiS möglichst vermeiden wollen.

US-Präsident Trump spricht von einem möglichen „Unfall“

Freilich will der Präsident noch einiges mehr. Er vermittelt den Eindruck, den Präsidentenpalast in Warschau zum Sitz einer alternativen Regierung machen zu wollen. Bislang hat Premier Donald Tusk noch keine klare Strategie gefunden, wie er sich derartigen Absichten und der Nawrocki soufflierenden PiS zu widersetzen gedenkt. Sein Repertoire reicht von der Absicht, präsidiale Vetos mit Verordnungen zu umgehen, Gesetzesinitiativen Nawrockis zu verwerfen – oder einzulenken.

Was nichts daran ändert, dass Regierung und Präsident bei der Sicherheit und Verteidigung an einem Strang ziehen. Man blickt skeptisch auf etwaige territoriale Zugeständnisse der Ukraine an Russland und will das neue NATO-Ziel, fünf Prozent des BIP für Verteidigung und Aufrüstung auszugeben, bereits 2026 (2025: 4,7 Prozent) erreichen.

Tusk und Nawrocki deuten in großem Einvernehmen fremde Drohnen über Polen als russische Provokation, während NATO-Generalsekretär Mark Rutte deutlich vorsichtiger ist und US-Präsident Trump von einem möglichen „Unfall“ spricht. Zumal das polnische Oberkommando eher still als laut einräumen muss, es sei von der weißrussischen Armee in der Nacht vom 9. auf den 10. September über Drohnen, die aus Richtung Ukraine über Belarus nach Polen geflogen seien, informiert worden.

Polens politische Führung schließt die Möglichkeit aus, dass es sich zwar um russische Drohnen handelte, die jedoch von der ukrainischen Luftverteidigung umgeleitet worden sein könnten. Dabei ist bekannt, dass die ukrainische Armee ihr System „Pokrova“ einsetzt, das Satellitennavigationssignale – etwa GPS – stören oder mit falschen Koordinaten überschreiben kann.

Laut einem Bericht von Defense Post, US-Fachportal für Verteidigungsfragen, vom Dezember hätten die Ukrainer im Monat zuvor „über 100 von Russland abgefeuerte Shahed-Eine-Richtung-Angriffsdrohnen zurück ins Land und nach Weißrussland abgelenkt“. Und das US-Institut für Kriegsstudien (Institute for the Study of War, ISW) schrieb in einem Bericht: „Ukrainische EW-Systeme (Systeme elektronischer Kriegsführung; Anm. d. Red.) stören radargesteuerte Shahed-136/131-Drohnen und bewirken, dass sie aufgrund des Navigationsverlusts vom Kurs abkommen und abstürzen, wenn ihnen der Antrieb ausgeht.“

Tatsächlich ist auch am 10. September das Gros der Drohnen in Polen abgestürzt, ohne vorher abgeschossen worden zu sein. Zwar bedeutet dies keineswegs, dass es eine gezielte oder eine aus der Abwehr resultierende, unbeabsichtigte Umleitung russischer Drohnen durch die Ukraine nach Polen gegeben hat. Aber allein, dass die Entscheidungsträger in Warschau und in der NATO diese mögliche Erklärung nicht in ihre Überlegungen – zumindest die offiziell verlautbarten – einbeziehen, ist bedenklich.

Schließlich hat Kiew ein nachvollziehbares Interesse an einem stärkeren Einstieg der NATO in den Krieg. Noch am Tag des Drohnen-Einflugs in Polen wiederholte Außenminister Andrij Sybiha den Vorschlag, russische Raketen und Drohnen sollten von Polen aus schon über ukrainischem Gebiet abgeschossen werden, falls sie in Richtung Polen fliegen könnten.

Die Frage lautet, sollte es künftig trotz der gesteigerten NATO-Präsenz im Rahmen des Programms „Eastern Sentry“ erneut zu Drohnen-Einfällen kommen, die womöglich zu Todesopfern führen – welche Eskalationsstufe wollen Polen und die NATO dann ausrufen? Was dann, wenn der Verursacher von vornherein feststeht? Während diese fundamentale Frage an der Weichsel kaum erörtert wird, geht der Streit über das Kindergeld für Ukrainer in Polen in die nächste Runde. Die Tusk-Regierung bereitet nach Nawrockis Veto zu den Sozial- und Aufenthaltsbestimmungen für Ukrainer eine Vorlage vor. Sie übernimmt dessen Forderung, nicht oder nur wenig arbeitende Ukrainer schlechterzustellen.

enüber in Polen lebenden ukrainischen Flüchtlingen abzeichnet.Bereits im Wahlkampf hatte der Kandidat Karol Nawrocki anti-ukrainische Töne angeschlagen. Seit mehr als einem Monat im Amt, lässt er seinen Worten nun Taten folgen. Noch im August hat der 42-Jährige – innen-, nicht außenpolitisch motiviert – ein Gesetz angekündigt, das es unter Strafe stellt, der einstigen ukrainischen Aufstandsarmee UPA aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu huldigen.Gleiches gilt für Stepan Bandera, einst Anführer des politischen Arms der UPA, der OUN-B. Begründet wird dies von Nawrocki mit der Ermordung Zehntausender Polen durch der UPA im Jahr 1943 in Wolhynien.Die Polen zuerstBei diesem Vorstoß blieb es nicht. Ende August legte Nawrocki sein Veto gegen ein Dekret der Regierung ein, das die günstigen Sozialleistungen für in Polen lebende Ukrainer und ihre Kinder sowie die Regelungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt verlängern sollte, die Ende September auslaufen. Künftig will Nawrocki die Zahlung von Sozialleistungen für ukrainische Kinder von einer beruflichen Tätigkeit der Eltern abhängig machen. „Polen zuerst, die Polen zuerst“, so seine Devise.Wie sehr es sich um ein Aufwiegler-Thema handelt, macht ein Blick in einschlägige Zahlen deutlich. In Polen leben rund eine Million ukrainische Flüchtlinge – nach Deutschland die höchste Zahl in der EU. Hinzu kommen eine halbe Million Ukrainer, die schon vor Ausbruch des Krieges als Arbeitsmigranten kamen. Ihre Beschäftigungsquote liegt bei 69 Prozent, ist damit fast so hoch wie die der polnischen Bevölkerung (75 Prozent) und klar höher als die der nach Deutschland geflohenen Ukrainer, von denen nur 35 Prozent arbeiten.Häufig werden in Polen Beschäftigungen unterhalb vorhandener Qualifikationen angenommen, bei einem Verdienst, der unter dem Landesdurchschnitt liegt. Die ukrainische Diaspora in Polen erwirtschaftet mittlerweile fast drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Doch um diese Fakten geht es nicht. Im Windschatten von Donald Trump und seiner lavierenden Ukraine-Politik reagiert Nawrocki auf wachsende Vorbehalte in der eigenen Bevölkerung gegenüber Ukrainern. Mehr als 85 Prozent der Polinnen und Polen befürworten die Einschnitte beim Kindergeld. Gut 40 Prozent wollen keine weiteren ukrainischen Flüchtlinge ins Land lassen.Zweifellos nimmt der Präsident mit seinen Vorstößen dieses Meinungsbild und eine schwelende nationalistische Stimmung auf, von der besonders die nationalistisch-libertäre Partei Konfederacja profitiert. Die artikuliert sich offen anti-ukrainisch, ist seit Monaten im Aufwind und erreicht bei Umfragen Werte von zwölf bis 17 Prozent. Wäre das bei den im Herbst 2027 anstehenden Parlamentswahlen der Fall, käme niemand mehr an ihr vorbei, was Nawrocki und die PiS möglichst vermeiden wollen.US-Präsident Trump spricht von einem möglichen „Unfall“Freilich will der Präsident noch einiges mehr. Er vermittelt den Eindruck, den Präsidentenpalast in Warschau zum Sitz einer alternativen Regierung machen zu wollen. Bislang hat Premier Donald Tusk noch keine klare Strategie gefunden, wie er sich derartigen Absichten und der Nawrocki soufflierenden PiS zu widersetzen gedenkt. Sein Repertoire reicht von der Absicht, präsidiale Vetos mit Verordnungen zu umgehen, Gesetzesinitiativen Nawrockis zu verwerfen – oder einzulenken.Was nichts daran ändert, dass Regierung und Präsident bei der Sicherheit und Verteidigung an einem Strang ziehen. Man blickt skeptisch auf etwaige territoriale Zugeständnisse der Ukraine an Russland und will das neue NATO-Ziel, fünf Prozent des BIP für Verteidigung und Aufrüstung auszugeben, bereits 2026 (2025: 4,7 Prozent) erreichen.Tusk und Nawrocki deuten in großem Einvernehmen fremde Drohnen über Polen als russische Provokation, während NATO-Generalsekretär Mark Rutte deutlich vorsichtiger ist und US-Präsident Trump von einem möglichen „Unfall“ spricht. Zumal das polnische Oberkommando eher still als laut einräumen muss, es sei von der weißrussischen Armee in der Nacht vom 9. auf den 10. September über Drohnen, die aus Richtung Ukraine über Belarus nach Polen geflogen seien, informiert worden.Polens politische Führung schließt die Möglichkeit aus, dass es sich zwar um russische Drohnen handelte, die jedoch von der ukrainischen Luftverteidigung umgeleitet worden sein könnten. Dabei ist bekannt, dass die ukrainische Armee ihr System „Pokrova“ einsetzt, das Satellitennavigationssignale – etwa GPS – stören oder mit falschen Koordinaten überschreiben kann.Laut einem Bericht von Defense Post, US-Fachportal für Verteidigungsfragen, vom Dezember hätten die Ukrainer im Monat zuvor „über 100 von Russland abgefeuerte Shahed-Eine-Richtung-Angriffsdrohnen zurück ins Land und nach Weißrussland abgelenkt“. Und das US-Institut für Kriegsstudien (Institute for the Study of War, ISW) schrieb in einem Bericht: „Ukrainische EW-Systeme (Systeme elektronischer Kriegsführung; Anm. d. Red.) stören radargesteuerte Shahed-136/131-Drohnen und bewirken, dass sie aufgrund des Navigationsverlusts vom Kurs abkommen und abstürzen, wenn ihnen der Antrieb ausgeht.“Tatsächlich ist auch am 10. September das Gros der Drohnen in Polen abgestürzt, ohne vorher abgeschossen worden zu sein. Zwar bedeutet dies keineswegs, dass es eine gezielte oder eine aus der Abwehr resultierende, unbeabsichtigte Umleitung russischer Drohnen durch die Ukraine nach Polen gegeben hat. Aber allein, dass die Entscheidungsträger in Warschau und in der NATO diese mögliche Erklärung nicht in ihre Überlegungen – zumindest die offiziell verlautbarten – einbeziehen, ist bedenklich.Schließlich hat Kiew ein nachvollziehbares Interesse an einem stärkeren Einstieg der NATO in den Krieg. Noch am Tag des Drohnen-Einflugs in Polen wiederholte Außenminister Andrij Sybiha den Vorschlag, russische Raketen und Drohnen sollten von Polen aus schon über ukrainischem Gebiet abgeschossen werden, falls sie in Richtung Polen fliegen könnten.Die Frage lautet, sollte es künftig trotz der gesteigerten NATO-Präsenz im Rahmen des Programms „Eastern Sentry“ erneut zu Drohnen-Einfällen kommen, die womöglich zu Todesopfern führen – welche Eskalationsstufe wollen Polen und die NATO dann ausrufen? Was dann, wenn der Verursacher von vornherein feststeht? Während diese fundamentale Frage an der Weichsel kaum erörtert wird, geht der Streit über das Kindergeld für Ukrainer in Polen in die nächste Runde. Die Tusk-Regierung bereitet nach Nawrockis Veto zu den Sozial- und Aufenthaltsbestimmungen für Ukrainer eine Vorlage vor. Sie übernimmt dessen Forderung, nicht oder nur wenig arbeitende Ukrainer schlechterzustellen.