Ändert die deutsche Bundesregierung ihre langjährige Haltung, und stimmt erstmals Wirtschaftssanktionen gegen Israel zu? 25 Jahren nach seinem Inkrafttreten könnte das Assoziierungsabkommen mit der EU teilweise ausgesetzt werden. Von Importverboten ist zwar keine Rede, allerdings könnte rund ein Drittel der israelischen Exporte nach Europa zollpflichtig werden.

Doch für die nötige qualifizierte Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten ist die Zustimmung Deutschlands entscheidend. Das ist im Lichte der historischen deutschen Verantwortung für die Shoa und die daraus folgende Selbstverpflichtung der Bundesrepublik für die Unterstützung Israels eine äußerst heikle Frage. Der deutsche Kanzler Friedrich Merz bekräftigte am Mittwochabend die unverbrüchliche Unterstützung Deutschlands für den Staat Israel. Das sei unverhandelbar, sagte Merz bei einer Feier zum 75. Jubiläum des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Das deutsche Bekenntnis zur Existenz und zur Sicherheit des Staates Israel ist ein unverhandelbarer Bestandteil der normativen Fundamente unseres Landes“, sagte Merz. Zuletzt hatte der Kanzler das israelische Vorgehen im Nahost-Konflikt kritisiert und den Export von Waffen an Israel eingeschränkt.

In der Sache selbst sind die Sanktionen, welche die Europäische Kommission am Mittwoch als Reaktion auf die Eskalation der israelischen Militäroperationen im palästinensischen Gazastreifen präsentiert hat, vergleichsweise milde. Die Brüsseler Behörde schlägt den Mitgliedstaaten vor, Zollerleichterungen für rund 37 Prozent der jährlichen israelischen Exporte in die Union auf unbestimmte Zeit aufzuheben. Das beträfe, gemessen am Handelsvolumen des Jahres 2024, rund 5,9 Milliarden Euro an vorrangig landwirtschaflichen Produkten wie Obst, Nüssen, Datteln, erklärten mit der Sache befasste Kommissionsbeamte gegenüber Journalisten.

Diese Güter würden unter das allgemeine Zollregime der Welthandelsorganisation WTO fallen, also je nach Warenklasse unterschiedlichen Zöllen unterworfen werden. Die Kommission hat errechnet, dass europäische Importeure als Folge dieser Handelssanktion jährlich rund 227 Millionen Euro an Zöllen für diese israelischen Produkte abführen müssten.

Der Großteil der israelischen Ausfuhren in die EU bliebe von diesem Beschluss unberührt. Das betrifft vor allem Chemikalien, Pharmazeutika und Maschinen. „Diese Exporte sind von der Meistbegünstigungsklausel erfasst, sie sind also von allen Zöllen befreit“, erklärte ein Kommissionsbeamter.

Diese Maßnahme fällt unter die EU-Handelspolitik. Sie bedarf somit einer qualifizierten Mehrheit von zumindest 15 Mitgliedstaaten, die gemeinsam mindestens 65 Prozent der gesamten Bevölkerung der Union vereinen. Derzeit ist zwar eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten für diese teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens. Auch Staaten wie Dänemark haben ihre ursprünglich ablehnende Handlung im Lichte des Kriegsgeschehens in Gaza geändert.

Die qualifizierte Mehrheit scheitert bisher allerdings an Deutschland. Würde sich Berlin hinter den Sanktionsbeschluss stellen, wird erwartet, dass sich auch Italien klar deklariert, und der Kommissionsvorschlag ginge durch. Am Mittwoch teilte ein deutscher Regierungssprecher mit, die Bundesregierung habe sich „noch keine abschließende Meinung gebildet.“

Kallas gegen ESC-Boykott

Die Kommission stoppt vorerst zudem einen kleinen Betrag bilateraler Finanzhilfen, die beispielsweise für Städtepartnerschaften verwendet werden. Dezidiert nicht berührt werden hingegen Geldmittel aus dem EU-Budget für Programme gegen Antisemitismus, oder die Unterstützung der Shoa-Gedenkstätte Yad Vashem.

Einstimmigkeit würde hingegen der Vorschlag von Sanktionen gegen zwei israelische Minister, drei radikale jüdische Siedler im Westjordanland, und sechs Siedlerorganisationen erfordern. Hier ist jedenfalls mit dem Veto Ungarns zu rechnen, das sich demonstrativ an die Seite der Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanyahu stellt.

Finanzminister Bezalel Smotrich und Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir haben in einigen EU-Staaten, beispielsweise den Niederlanden und Slowenien, bereits Einreiseverbote. Als Begründung, ihre etwaigen Vermögen in der EU einzufrieren, und sie mit einem EU-weiten Einreiseverbot zu belegen, verwies man seitens der Kommission auf die wiederholten Gewaltaufrufe der beiden Minister und ihre entscheidende Rolle in der Ausbreitung der illegalen Siedlungen im Westjordanland.

„Ich möchte betonen, dass wir diese Maßnahmen nicht vorschlagen, um Israel oder das israelische Volk zu bestrafen, sondern um echten Druck auf die Regierung zu machen, und das menschliche Leid in Gaza zu beenden“, sagte Kaja Kallas, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. Auch von einem Boykott des nächstjährigen Europäischen Song Contests (ESC) in Wien hält Kallas nichts: „All diese Schritte, die das israelische Volk treffen sollen, sind falsch. Wir unterstützen das nicht.“

Handelskommissar Maroš Šefčovič fasste das Ziel des Sanktionspakets so zusammen: Mehr humanitäre Hilfe in Gaza, ein Waffenstillstand, und irgendwann eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. „Letzten Endes braucht Israel echte Sicherheit, und das palästinensische Volk echte Würde.“

Die israelische Regierung protestierte schon vor Verkündigung des Sanktionenpakets. In einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Kallas beklagte Außenminister Gideon Saar unter anderem, dass die Kommission nicht zuerst den gemeinsamen Assoziierungsrat mit der Sache befasst habe. In Brüssel ließ man diese Kritik gelassen abperlen: „Wir folgen den Regeln, und die Regeln sind jene für Handelspolitik. Es steht Drittstaaten nicht an, unsere souveränen Entscheidungen zu kommentieren“, sagte einer der zuständigen Kommissionsbeamten.