„Austesten“ wollte Moskau die Nato. Eine Erklärung für das Auftauchen von mindestens 19 Drohnen über polnischem Territorium, die fast verharmlosend klingt. Immerhin handelte es sich bei dem Vorfall vergangene Woche um eine beispiellose Verletzung des Luftraums eines Nato-Mitglieds durch potenziell bewaffnete Flugobjekte. Entsprechend hoch waren die Schockwellen, die der Vorfall in Europa auslöste. Erste Spekulationen, dass es sich um ein Versehen gehandelt haben könnte, werden angesichts der Anzahl der Drohnen, der in Russland sowie in Belarus liegenden Startplätze der Fluggeräte sowie der Tiefe ihres Eindringens auf Nato-Gebiet von fast allen Experten verworfen.
„Der Test läuft“, sagte Politikwissenschaftler Nico Lange im Deutschlandfunk. Russland wolle provozieren, um herauszufinden, wie stark der Zusammenhalt des Westens ist. Genau in dieser Situation sei ein „unmissverständliches Signal“ an Moskau „unerlässlich“ – auch wenn manche fürchten würden, dass „Putin dann böse auf uns sein wird“. Zwar gelang es Nato-Kampfjets, einige Objekte abzuschießen, doch unstrittig ist, dass Europa auf massenhafte Drohnenangriffe nicht vorbereitet ist. Unklar ist zudem, ob auch die USA einen harten Kurs gegen Russland unterstützen.
Europäische Nato-Staaten könnten von ukrainischer Abwehrkraft profitieren
Der Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter verlangt konkrete Reaktionen, die möglichst schnell Wirkung entfalten können: „Europäische Staaten sollten sich zusammentun und die ukrainische Luftverteidigung enger mit den westlichen Nachbarn koordinieren“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. Tatsächlich hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Polen am Mittwoch Hilfe bei der Drohnenabwehr angeboten. Schließlich ist die Abwehr mit bis zu 800 russischen Drohnen pro Tag konfrontiert, von denen das Gros tatsächlich abgeschossen werden kann. Ein Know-how, von dem Warschau und die Nato profitieren könnten. Parallel fordert Kieswetter einen früheren Stopp von russischen Öl- und Gasimporten in die EU, das effektive Festsetzen der Schattenflotte oder die Konfiszierung von eingefrorenem russischen Vermögen.
Warschau hatte zunächst von einem russischen Angriff gesprochen, dann aber den Begriff „Provokation“ verwendet. Während ein Angriff nach Artikel 5 des Nato-Vertrags die Ausrufung des Bündnisfalls gerechtfertigt hätte, sieht Artikel 4, den Polen jetzt gezogen hat, im Falle der Gefährdung eines Nato-Staats Konsultationen vor.
Vor russischen Übergriffen wurde immer wieder gewarnt
Vor Übergriffen, wie jetzt gegen Polen, wurde immer wieder gewarnt. Kieswetter hofft darauf, dass der Westen aufwacht: „Die Nato begreift allmählich, dass die ukrainischen Soldaten gerade ihre erste Verteidigungslinie sind. Deshalb muss die oberste Priorität sein, die Ukraine unverzüglich und umfassend mit allem zu unterstützen, was möglich ist. Zweitens müssen Europa und die Nato eine integrierte Abschreckung und Gesamtverteidigung aufbauen.“
Für den CDU-Sicherheitspolitiker ist die entschlossene Unterstützung des Abwehrkampfs der Ukraine integrales Instrument der Nato-Strategie gegen die Aggression Russlands. Dazu gehört nach seiner Überzeugung die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an Kiew. Ein Waffensystem, das die Ukraine in die Lage versetzen würde, hochgesicherte russische Ziele bis zu 500 Kilometer tief auf dem Territorium des Feindes zu zerstören. „Es ist wesentlich effektiver, die Drohnenproduktionsstätten, Munitionslager und Logistik innerhalb Russlands zu zerstören, als zuzuschauen, wie Russland die Produktion immer mehr erhöht.“ Unstrittig ist, dass das Völkerrecht einem angegriffenen Staat solche Attacken zubilligt.
Kanzler Merz will die Ukraine offensichtlich nicht mit dem Taurus unterstützen
Allerdings hat sich der deutsche Kanzler Friedrich Merz, der noch als Oppositionspolitiker die Lieferungen des Taurus an Kiew ins Spiel gebracht hatte, offensichtlich dazu entschlossen, die Ukraine nicht mit den extrem durchschlagskräftigen Marschflugkörpern zu unterstützen. Ein Kurs, den Kiesewetter für „militärisch und politisch falsch“ hält. Der 62-Jährige spricht von einer „unterlassenen Hilfeleistung, die uns selbst schadet“. Während die Nato noch versucht, eine gemeinsame Antwort auf die Provokationen des Kreml zu finden, haben Russland und Belarus ein Großmanöver mit dem bezeichnenden Namen „Sapad“ (Westen) begonnen – eine Machtdemonstration, die sich an die Nato richtet.
Für den Sicherheitsexperten Nico Lange hilft in dieser Situation gegen die aggressive Strategie des russischen Autokraten Wladimir Putin nur überzeugende Abschreckung. Es dürfe keine Zweifel daran geben, dass die Allianz bei einem russischen Angriff mit Drohnen-Schwärmen gegen einen oder mehrere Nato-Staaten ihrerseits russische Ziele mit Abstandswaffen attackieren würde.
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Simon Kaminski
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