1. wa.de
  2. Leben
  3. Auto

DruckenTeilen

Batterieproduktion und Ladeinfrastruktur für E-Mobilität erfordern bis 2050 einen enormen Energieaufwand – den der Kontinent noch nicht stemmen kann.

Klimaneutraler Straßenverkehr – dagegen gibt es keine Einwände. Doch um solch ein ambitioniertes Ziel zu erreichen, braucht es eben mehr als nur willige Käufer von E-Autos. Eine aktuelle Studie der Universität Münster und der Fraunhofer-Einrichtung Forschungsfertigung Batteriezelle zeigt die Dimensionen auf: Europa produziert derzeit nur 6,8 Prozent der Energie, die für die heimische Batteriezellproduktion nötig wäre. Der Kontinent hinkt bei der Herstellung von Batteriezellen massiv hinterher, obwohl bereits ein Viertel aller weltweit verkauften Elektroautos auf europäischen Straßen fährt.

ElektroautoElektroautos an Ladestationen: Bis 2050 werden 140 Millionen E-Autos in Europa 210 TWh Ladeenergie pro Jahr benötigen – zusätzlich zu 250 TWh für die Batterieproduktion. (Archivbild) © Hendrik Schmidt/dpa

Der Rest der benötigten Energie steckt in importierten Materialien und fertigen Zellen – hauptsächlich aus China. Diese Abhängigkeit wird zum Problem, wenn Europa bis 2050 tatsächlich energieautark werden will. Die Forscher rechnen vor: Der jährliche Energiebedarf für die Batterieproduktion müsste von heute 3,5 Terawattstunden auf 250 TWh steigen. Das entspricht etwa der Hälfte des deutschen Stromverbrauchs und verdeutlicht, welche gewaltigen Anstrengungen nötig sind, um die Importabhängigkeit zu durchbrechen. Europa steht vor einer indirekten Form der Energieabhängigkeit, da ein Großteil der für die Batteriezellenproduktion benötigten Energie bereits in den importierten Materialien und Zellen steckt.

250 TWh nur für Batterien – der wahre Energiehunger liegt noch höher

Die Batterieproduktion ist jedoch nur ein Teil der Rechnung. Inklusive Ladevorgänge und Effizienzverluste summiert sich der Gesamtbedarf bis 2050 auf 450 bis 500 TWh jährlich. Zum Vergleich: Deutschland verbrauchte 2024 rund 464 TWh Strom. Die Dimension wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass dieser Energiebedarf zusätzlich zu den bestehenden Stromverbräuchen in Europa kommt. Die Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift Energy & Environmental Science veröffentlicht wurde, macht klar: Die Elektromobilität wird Europas Energiesystem vor eine beispiellose Herausforderung stellen.

Wie viel Strom frisst eine 1 TWh?

Eine Terawattstunde (TWh) entspricht einer Billion Wattstunden oder 1.000 Gigawattstunden. Um diese gewaltige Energiemenge zu veranschaulichen: 1 TWh reicht aus, um etwa 200.000 Haushalte ein ganzes Jahr lang mit Strom zu versorgen. Alternativ könnte man damit rund 5 Millionen Elektroautos vom Typ Tesla Model 3 vollständig aufladen. Ein modernes Gaskraftwerk mit 1.000 Megawatt Leistung müsste 1.000 Stunden – also etwa 42 Tage – ununterbrochen laufen, um 1 TWh zu erzeugen.

Bis 2045 erwarten die Wissenschaftler 140 Millionen E-Autos auf Europas Straßen. Allein deren Ladeenergie wird 210 TWh pro Jahr verschlingen – das entspricht etwa 40 Prozent des heutigen deutschen Stromverbrauchs. Hinzu kommen Effizienzverluste bei der Elektromobilität und bei stationären Speichern, die den Gesamtbedarf weiter nach oben treiben. Immerhin gibt es auch eine positive Nachricht: Durch den Wegfall fossiler Brennstoffprozesse ließen sich im Gegenzug bis zu 90 TWh einsparen. Diese Einsparungen entstehen, weil die energieintensiven Prozesse rund um Förderung, Raffination und Transport von Öl und Gas wegfallen.

Die bekanntesten Autos der Filmgeschichte – echte LegendenRed 1961 Ferrari 250 GT California Spyder Fotostrecke ansehen

Wie viel Energie Europa tatsächlich brauchen wird, hängt stark von den dominierenden Batterietechnologien ab. Die Forscher haben drei Szenarien durchgespielt: LFP-Batterien (Lithium-Eisenphosphat) sind energieeffizienter in der Herstellung und weniger auf kritische Rohstoffe angewiesen. Sie kommen ohne Kobalt aus und benötigen weniger Nickel, was sie kostengünstiger und nachhaltiger macht. Allerdings haben sie eine geringere Energiedichte als andere Batterietypen, was größere und schwerere Batterien zur Folge hat.

NMC-Batterien (Nickel-Mangan-Kobalt) bieten hohe Energiedichte, benötigen aber deutlich mehr Energie in der Produktion und sind auf kritische Rohstoffe angewiesen. Als dritte Option könnten sich ab 2030 Natrium-Ionen-Batterien für kleine E-Autos und stationäre Speicher etablieren. Sie verwenden häufig verfügbare Materialien und könnten die Abhängigkeit von Lithium reduzieren. Festkörper-, Lithium-Schwefel- oder Lithium-Luft-Batterien versprechen zwar Effizienzvorteile, sind aber noch weit von der Marktreife entfernt und werden frühestens in den 2040er Jahren kommerziell verfügbar sein.

EU-Gesetze sollen Abhängigkeit von China reduzieren

Brüssel hat das Problem erkannt und regulatorische Weichen gestellt. Der Critical Raw Materials Act von 2023 sieht vor, bis 2030 mindestens zehn Prozent der strategischen Rohstoffe in der EU zu fördern und 40 Prozent zu verarbeiten. 25 Prozent sollen recycelt werden. Diese Ziele sind ambitioniert, denn bislang stammen die meisten kritischen Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und seltene Erden aus wenigen Ländern außerhalb Europas. Die EU will ihre Versorgungssicherheit erhöhen und gleichzeitig die Wertschöpfung nach Europa holen.

  • Chinas Dominanz bei Batterie-Rohstoffen (Stand 2024):
  • Lithium-Verarbeitung: 56 % der weltweiten Kapazität
  • Kobalt-Raffination: 60 % der globalen Verarbeitung
  • Graphit-Verarbeitung: Über 98 % der Lithium-Eisenphosphat-Aktivmaterialien
  • Gallium-Verarbeitung: 94 % der globalen Produktion
  • Germanium-Verarbeitung: 83 % der weltweiten Kapazität

Der Net Zero Industry Act geht noch weiter: Bis 2030 sollen 40 Prozent der Batteriezellen sowie der Kathoden- und Anodenmaterialien lokal produziert werden. Das geplante Verbrenner-Aus ab 2035 wird die Nachfrage nach Batterien zusätzlich anheizen – und den Druck auf die heimische Produktion erhöhen. Ab diesem Zeitpunkt sollen in der EU nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden. Diese regulatorischen Vorgaben schaffen zwar Planungssicherheit für Investoren, setzen aber auch einen enormen Zeitdruck auf den Aufbau der nötigen Produktionskapazitäten und Lieferketten. In Deutschland ist vergangenes Jahr die erste Raffinerie für Lithium in Europa gestartet.

Recycling könnte ein Drittel der Energie sparen

Eine Schlüsselrolle für Europas Weg zur Autarkie spielt das Batterierecycling. Laut Studie ließe sich dadurch der Energiebedarf der Zellproduktion um 33 bis 46 Prozent senken. Ab 2050 könnten jährlich rund 800 Gigawattstunden an Batteriekapazität recycelt werden – eine gewaltige Menge, die den Rohstoffbedarf erheblich reduzieren würde. Recycling ist nicht nur aus ökologischer Sicht sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich: Die Rückgewinnung von Lithium, Kobalt und Nickel aus alten Batterien ist oft günstiger als der Abbau neuer Rohstoffe. China setzt beim Lithium-Akku-Recycling mittlerweile sogar auf Mikrobakterien.

Lithium lässt sich zu 95 %, Kobalt zu 99 % zurückgewinnen

Moderne Recyclingverfahren erreichen beeindruckende Rückgewinnungsraten bei kritischen Batterierohstoffen: Kobalt lässt sich zu 98 bis 99 Prozent zurückgewinnen, Nickel und Mangan erreichen ähnlich hohe Werte von 98 Prozent. Bei Lithium sind die Raten niedriger, aber dennoch beachtlich: Während China bereits 85 bis 91 Prozent erreicht, liegen die durchschnittlichen Rückgewinnungsraten international bei 80 bis 90 Prozent. Diese hohen Raten machen Recycling nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich attraktiv – recycelte Materialien können bis zu 30 Prozent des Bedarfs in der Batterieproduktion decken.

Doch Europa steht hier noch ganz am Anfang. Es fehlen Infrastruktur, Investitionen und klare Regulierungsvorgaben für eine flächendeckende Kreislaufwirtschaft. Besonders für Graphit und künftige Natrium-Ionen-Batterien sind maßgeschneiderte Recyclingprozesse nötig, die bislang kaum entwickelt wurden. Die Forscher appellieren an die EU, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Unternehmen tragfähige Recyclingkapazitäten aufbauen können. Ohne diese Investitionen wird Europa seine Abhängigkeit von Rohstoffimporten nicht durchbrechen können.

Massive Investitionen in Erneuerbare unumgänglich

Der stark wachsende Strombedarf stellt Europa vor gewaltige Herausforderungen, die weit über die Batterieproduktion hinausgehen. Massive Investitionen in erneuerbare Energien und Stromnetze sind unumgänglich, um den zusätzlichen Bedarf von bis zu 500 TWh zu decken. Das entspricht dem Bau von hunderten neuen Windparks und Solaranlagen sowie dem Ausbau der Übertragungsnetze. Gleichzeitig müssen Flaschenhälse bei Ladeinfrastruktur, Netzkapazitäten und Genehmigungsverfahren beseitigt werden, die den Hochlauf der Elektromobilität bremsen könnten.

Der Aufwand könnte sich jedoch langfristig lohnen: Durch den Wegfall von Öl- und Gasimporten ließen sich jährlich 90 bis 110 TWh an fossiler Energie einsparen. Eine enge Verzahnung von Batterieproduktion, Automobilindustrie und erneuerbarer Stromerzeugung böte zudem große Chancen für Europas Wettbewerbsfähigkeit. Industrielle Synergien könnten entstehen, wenn Batteriefabriken in der Nähe von Wind- und Solarparks angesiedelt werden. So ließe sich der grüne Strom direkt vor Ort nutzen und teure Netzausbaukosten vermeiden. Entscheidend wird dabei eine hocheffiziente Kreislaufwirtschaft rund um Batterien – mit geringerem Rohstoffbedarf und höherer Versorgungssicherheit. Große Hoffnungen liegen dabei auf Frankreich.

Die Studie macht unmissverständlich deutlich: Europas Weg zur E-Mobilität erfordert weit mehr als den bloßen Kauf elektrischer Fahrzeuge. Eine komplette Neuausrichtung der Energieversorgung, massive Investitionen in Batterieproduktion und Recycling sowie der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien sind nötig. Der Kontinent steht vor der Herausforderung, binnen 25 Jahren eine völlig neue Industrielandschaft aufzubauen und dabei seine Energieversorgung zu vervielfachen. Nur mit einer hocheffizienten Kreislaufwirtschaft, reduzierten Importabhängigkeiten und koordinierten Anstrengungen aller EU-Mitgliedstaaten kann Europa seinen E-Auto-Traum verwirklichen – und dabei energieautark bleiben.