Der Weg zu den Wiesn-Enten führt über viele kleine gewundene Straßen, bergauf, bergab. Dann geht es nach links eine kleine Anhöhe hinauf, auf der ein Weiler thront. Neuerding heißt er und gehört zur Gemeinde Pleiskirchen im Landkreis Altötting. Fast vollständig ist dieser Weiler in der Hand von Andreas Lugeder. Der 50-Jährige ist einer der wenigen Landwirte in ganz Bayern, der seinen Lebensunterhalt voll und ganz mit der Zucht und der Mast von Enten und Gänsen bestreitet. Wenn er nicht sogar der einzige ist, der noch eigenständig arbeitet, ohne zu einem Geflügelkonzern zu gehören.

Dem Landesverband der Bayerischen Geflügelwirtschaft ist zumindest kein anderer mehr bekannt, seit der „Entenbaron“ Eckart Freiherr von Luttitz am Gut Niederaltenburg in Weyarn diesen Geschäftszweig eingestellt hat. Luttitz belieferte früher auch das Oktoberfest. Mittlerweile stammen die meisten Enten, die dort auf dem Teller der Wiesnbesucher landen, vom Geflügelhof Lugeder.  Zumindest, sofern es sich nicht um Bio-Enten handelt, wie sie etwa die Hühner- und Entenbraterei Ammer anbietet. Lugeder hat sich nicht bio-zertifizieren lassen. Viel zu aufwendig, sagt er.

Auf dem Geflügelhof Lugeder werden Enten und – wie hier im Bild – Gänse gehalten.Auf dem Geflügelhof Lugeder werden Enten und – wie hier im Bild – Gänse gehalten. (Foto: Astrid Becker)Andreas Lugeder und seine Frau Nana Daraselia begutachten ihren Nachwuchs – in diesem Fall Gänseküken.Andreas Lugeder und seine Frau Nana Daraselia begutachten ihren Nachwuchs – in diesem Fall Gänseküken. (Foto: Astrid Becker)

Es ist ein heißer, schwüler Tag im August. Wer in den Weiler kommt, ist erst einmal überrascht: Der strenge Geruch, der sonst bei Geflügel in großer Zahl unangenehm wahrnehmbar ist, fehlt. Dabei muss es doch auch hier Massen geben? Wie sonst könnte Lugeder das Oktoberfest beliefern und zudem noch jede Menge Münchner Restaurants?

Auf deren Speisekarten prangt jedenfalls immer häufiger sein Name – zumindest bei denjenigen, die ihre Lieferanten offenlegen. Tatsächlich landen rund 90 Prozent seiner Enten und Gänse in der Gastronomie. So erzählt es der Landwirt selbst. Die anderen zehn Prozent vertreibe er über Zwischenhändler auf Wochenmärkten, in Hofläden oder kleineren Geschäften. Den regulären Einzelhandel meidet Lugeder bewusst:  Er will unabhängig bleiben, seine Preise selbst festlegen und sich nichts von großen Supermarktketten diktieren lassen.

45 Menschen arbeiten auf dem Hof, manche schon seit Jahrzehnten

„Ja, es ist Massentierhaltung, was wir hier betreiben“, gibt er unumwunden zu. Gezwungenermaßen, wie er anfügt: Saisonarbeiter gebe es kaum mehr, daher brauche er festangestellte Mitarbeiter und dafür eine gewisse Betriebsgröße. 45 Beschäftigte hat er, manche arbeiten schon seit Jahrzehnten auf dem Hof.

Seit einer Zeit also, in der auch auf dem Lugeder-Hof recht klein angefangen wurde.  Vor mittlerweile 60 Jahren. Damals hatte Andreas Lugeders Vater Ludwig die ersten 40 Enten in der Waschküche geschlachtet. Heute verfügt der Betrieb von einer eigenen Brüterei, über Elterntierzucht bis hin zum Schlachthaus über alles rund um die Enten- und Gänsemast. Partnerbetriebe im angrenzenden Niederbayern oder auch in der Holledau unterstützen Lugeder noch zusätzlich bei der Aufzucht. „Das sind aber nur Betriebe, die das nebenbei machen, also neben Hopfenanbau zum Beispiel.“

Blick in einen Brutschrank für die Entenküken auf dem Lugeder-Hof.Blick in einen Brutschrank für die Entenküken auf dem Lugeder-Hof. (Foto: Astrid Becker)Eindeutig befruchtet ist dieses Ei. Man erkennt es an den sichtbaren Blutgefäßen.Eindeutig befruchtet ist dieses Ei. Man erkennt es an den sichtbaren Blutgefäßen. (Foto: Astrid Becker)

Dann führt er über seinen Hof, hinein in ein Gebäude, in der die Brüterei untergebracht ist. Lugeder öffnet einen der riesigen Schränke. Unzählige Eier liegen dort in einer Art schwenkbarem Regal. Sie werden bei einer Temperatur von etwa 37 Grad stündlich um etwa 90 Grad gekippt, damit sich der Embryo im Ei gleichmäßig entwickelt. Ob ein Ei überhaupt befruchtet ist, wird ebenfalls kontrolliert – deutlich sichtbar wird das im Schein einer speziellen Lampe. Schieren nenne man das, sagt Lugeder. Nach sieben Tagen im Schrank werden erste Blutgefäße sichtbar, von der zweiten Woche an verfärben sich diese deutlich dunkler. Sieht man nichts, wird das Ei aussortiert.

25 Tage bleiben die Eier in dem Brutapparat, dann werden sie in den Schlupfapparat umsortiert. Drei Tage später schlüpfen die ersten Küken – wie an diesem Tag im August auf dem Hof. „Das weiß man eigentlich sehr genau, wann sie die Schale durchbrechen“, sagt Lugeder.

Von dort werden die kleinen Küken in den Aufzuchtstall gebracht.  Im Moment sind in einem dieser Ställe noch Gänseküken untergebracht. Die Tiere, die hier stehen, sind gerade einmal eine Woche alt. Sie haben einen anderen Lebensrhythmus als die Enten. Aus gutem Grund: Sie werden nur saisonal angefragt, etwa nur zu Kirchweih oder Weihnachten. Lugeder und seine Frau Nana Daraselia beobachten die Entwicklung dieser Tiere ganz genau. Schließlich könnte dem einen oder anderen eine andere Bestimmung zuteilwerden, als auf dem Teller zu landen: als Zuchttier ausgewählt zu werden. Bei den Gänsen ist das anders als bei den Enten, für die Elterntiere zugekauft werden. Gemein ist ihnen aber eines. Beide Tierarten werden nicht nach Geschlechtern getrennt gehalten. Künstliche Besamung gibt es also bei Lugeder nicht.

Während der Wiesn wird dreimal pro Woche geschlachtet

In einem weiteren Stall stehen nun wieder Enten, geschätzt 2000 bis 3000 Tiere. Sie sind bereits für das Oktoberfest bestimmt. 42 bis 47 Tage werden sie alt, erreichen 3,2 bis 3,8 Kilogramm Lebendgewicht und wiegen nach dem Schlachten und Rupfen etwa ein Drittel weniger. Während der Wiesn wird dreimal pro Woche geschlachtet, damit die Ware frisch in München landet. Die erste Fuhre wird gefroren geliefert.

„Wir sind da im Vergleich nur ein kleiner Betrieb“, sagt Lugeder. In Polen oder auch Ungarn würden teilweise Hunderttausende Tiere gleichzeitig gemästet. In Lugeders Ställen stehen dagegen höchstens fünf Tiere pro Quadratmeter, also deutlich weniger als die empfohlenen 20 bis 35 Kilo Lebendgewicht.

Denn genau da liegt das Problem: Es gibt für Mastenten keine gesetzlichen Haltungsnormen, sondern nur freiwillige Richtlinien. Diese benennen zwar Besatzdichten in Kilo Lebendgewicht, aber keine Zahl von Tieren, keine konkreten Vorschriften für Wasserflächen. Schwimmbecken und Teiche fehlen daher auch bei Lugeder – nicht, weil er sie ablehnen würde.  Sondern, weil sie in der Praxis nicht machbar seien, sagt er: „Mir würde das schon gefallen, aber es geht nicht.“ Das Infektionsrisiko durch Kot und Futter in offenen Wasserflächen sei viel zu hoch und ließe sich nur mit aufwendiger Filtertechnik managen.

Entenstall auf dem Geflügelhof Lugeder.Entenstall auf dem Geflügelhof Lugeder. (Foto: Astrid Becker)

Stattdessen setzt er auf das, was auch in den Empfehlungen zu lesen ist: auf offene Tränken und zusätzliche Nippeltränken. Sie ermöglichen es den Enten, Schnabel, Augen und Gefieder regelmäßig zu benetzen. Das entspricht ihrem natürlichen Verhalten und hält sie gesund, weil auf diese Weise die Nasenlöcher und Augen frei bleiben, sie ihr Gefieder pflegen und gegen Parasiten schützen. Dass diese Systeme in seinen Ställen nicht nahe am Futter stehen, ist Absicht: „Die Tiere sollen sich ja bewegen“, sagt Lugeder.

Auch beim Futter ist er strikt. Seine Tiere bekommen nur selbst entwickelte Mischungen aus eigenem Anbau. 70 Prozent Weizenkleie, dazu Soja- und Rapsschrot, sowie etwas Mais. Alles jeweils abgestimmt auf Alter und Gewicht. Lugeder lehnt Antibiotika ab. Stattdessen lässt er regelmäßig seine Ställe auf Keime und Erreger untersuchen. Auf Basis der Befunde werden in einem Labor individuelle Impfungen für seine Elterntiere hergestellt. Der damit aufgebaute Schutz überträgt sich dann auf die Küken.

Die Enten an ihrem Bestimmungsort: einem Grill auf dem Oktoberfest.Die Enten an ihrem Bestimmungsort: einem Grill auf dem Oktoberfest. (Foto: Robert Haas)

Auch Tiertransporte sind nicht Lugeders Sache. Deshalb hat er sich ein eigenes Schlachthaus gebaut, mit EU-Zulassung. Wie so eine Schlachtung vor sich zu gehen hat, ist im Gegensatz zu den Haltungsempfehlungen für Enten und Gänse in Deutschland sehr streng geregelt: durch die EU-Schlachtverordnung und über das Tierschutzgesetz. Demnach muss jedes Tier vor der eigentlichen Schlachtung betäubt werden. Bei Lugeder erfolgt dies im elektrischen Wasserbad bei mehr als 50 Hertz, mehr als 130 Milliampere und mehr als sechs Sekunden lang. Also deutlich über den gesetzlichen Mindestanforderungen. Lugeders Frau Nana Daraselia überwacht dies genau. Erst mit ihrem Okay dürfen die Halsschlagadern durchtrennt werden und das Geflügel ausbluten.

Nur auf diese Weise könne er die Qualität seiner Enten garantieren, sagt Lugeder, und meint damit den Geschmack. Der kommt offensichtlich an: Etwa 40 000 bis 60 000 Enten werden allein auf der Wiesn verzehrt, schätzt er. Also etwa zehn Prozent der Anzahl von Wiesnhendln, die aber von unterschiedlichen Anbietern stammen.  Bei den Enten ist es eben anders. Da schwören die meisten nur auf Lugeder. Zum Beispiel das Schottenhamel-Zelt, die Bräurosl oder auch die Hühner- und Entenbraterei Poschner.