Nur wenige Schulträger waren bis vor einigen Jahren noch der Meinung, so etwas bräuchten sie nicht. Weil doch „auf dem Land“ die Frauen meist höchstens halbtags arbeiteten und die Familien sich mittags am Tisch versammeln sollten. Die Realität sieht längst anders aus: Schon im Kindergarten werden lange Betreuungszeiten gut gebucht, und Grundschüler sind dann schon an den Ganztag gewöhnt. Im Kreis Kleve besteht das Angebot seit 20 Jahren; für das Regionale Bildungsbüro ein Anlass, Pädagogen und andere Mitarbeiter zum kleinen Jubiläum auf den Fingerhutshof in Kalkar-Wissel einzuladen.

Wo bei den Ferienmaßnahmen des Kreises Kinder mittags gemeinsam essen und viel Spaß haben, saßen jetzt die Erwachsenen brav beieinander, lauschten Vorträgen und langten beim Fingerfood-Buffet zu. Unterhaltung gab’s auch: Kinder aus vier Grundschulen des Kreises sangen und tanzten für die Besucher: Schüler der St. Luthard-Grundschule Wissel, der St. Antonius-Grundschule Bedburg-Hau sowie der St. Georg- und der Arnold-Janssen-Grundschule aus Goch.

Die offene Ganztagsschule ist, wie der Name schon vermuten lässt, ein Angebot. Niemand wird verpflichtet, sein Kind nachmittags in der Schule zu lassen – das gibt’s auch und nennt sich dann gebundener Ganztag. Die offene Ganztagsschule ist jedenfalls sehr beliebt: Insgesamt 6630 Kinder nutzten im vergangenen Schuljahr dieses Angebot. Zum Jubiläum hatte das Regionale Bildungsbüro Kreis Kleve Fachleute aus Schulen, Jugendämtern und Schulverwaltungen, aus Behörden und von den freien Trägern eingeladen. Wichtig war den Organisatoren, auf der einen Seite darzustellen, wie gut man inzwischen zum Wohle der Kinder zusammenarbeitet. Aber auch festzustellen, dass vieles noch besser ginge. Oder, wie es Karin Kleinen vom LVR-Landesjugendamt ausdrückte, „dass weiter an den Stellschrauben gedreht werden“ sollte, die den Ganztag noch erfolgreicher machen können.

Landrat Christoph Gerwers betonte in seinem Grußwort, dass gerade in der Grundschule umfassende Weichen gestellt würden. „Hier lernen Kinder Lesen, Schreiben, Rechnen – aber vor allem lernen sie, wie man miteinander umgeht, zusammenarbeitet, Konflikte aushält und löst. In dieser Lebensphase entwickeln die Kinder Neugier, Verantwortungsgefühl und den Mut, sich selbst und ihre Umwelt zu entdecken.“ Damit sei die frühe Bildung eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe und die Investition eine entsprechend ergiebige. Die offene Ganztagsschule sei für die Familien und die Schulen nicht mehr wegzudenken.

Marion Kurth von der Awo Kreis Kleve und Christian Eberhard vom NRW-Schulministerium sprachen über Perspektiven des offenen Ganztags, während Karin Kleinen vom LVR vor allem beschrieb, was in den vergangenen Jahren passiert ist. Zentral für sie: Es geht bei dem Erfolgsprojekt nicht nur um die Leistung der Lehrer und ihre Einwirkung auf die Kinder – viele andere sind beteiligt. Vereine, Verbände, freie Träger, die sich engagieren und unterschiedliche Angebote machen. Genau das sei wichtig: ein breites Bildungspaket, von dem alle Kinder profitierten. Die, die ein schönes Kinderzimmer mit einem eigenen Arbeitsplatz haben ebenso wie diejenigen, bei denen es zu Hause schwierig sei. Der Bildungsbegriff, so Kleinen, werde heute zum Glück viel breiter gesehen als vor 20 Jahren. Es geht eben längst nicht mehr nur um Lesen, Schreiben, Rechnen.

Für die Kommunen ein Kraftakt: der gesetzlich geregelte Anspruch auf einen Platz im offenen Ganztag. Dazu braucht es vor allem pädagogische Mitarbeiter und ein geeignetes Raumangebot – und das bei Fachkräftemangel und einer chronischen Unterfinanzierung. Die Qualität des offenen Ganztags müsse gesichert werden, denn mindestens so sehr wie im Kindergarten gehe es in der Grundschule um Bildung und Teilhabe, eben um Chancengleichheit.