Mitten in der politischen und sozialen Blockade, in der Frankreich steckt, fällt immer wieder derselbe Name: Gabriel Zucman. Als „Steuer-Zorro“ bezeichnen ihn die französischen Medien, man könnte ihn auch mit Robin Hood vergleichen. Denn der französische Wirtschaftswissenschaftler und Piketty-Schüler („Das Kapital“) schlägt vor, die Superreichen zu besteuern. „Bernard Arnault, der reichste Mann Frankreichs, zahlt keine Steuern. Das ist nicht normal“, sagt Zucman.

Superreich klingt wie ein Kampfwort. Gemeint ist aber nur die winzige Spitze der Pyramide, die über ein Vermögen von einer Milliarde Euro verfügt. Die Zucman-Steuer, wie sie inzwischen genannt wird, sieht vor, dass Milliardäre jährlich zwei Prozent Vermögenssteuer zahlen. 1800 Haushalte wären betroffen, die Maßnahme würde zwischen 15 und 25 Milliarden Euro in die Kassen des hochverschuldeten Landes spülen, bestenfalls mehr als die Hälfte des Sparhaushalts über den François Bayrou als Regierungschef gestolpert ist.

Wunderkind von Wirtschaftswissenschaftlern

Zucman gilt als das Wunderkind einer neuen Generation von Wirtschaftswissenschaftlern. Er lehrt und forscht in Berkeley und Paris, wo er die Europäische Steuerbeobachtungsstelle leitet, die die EU bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung unterstützt. Seit seiner Masterarbeit 2008 beschäftigt den heute 38-Jährigen nur eine Frage: Wie gelingt es den Superreichen, der Steuer zu entwischen, und wie kann man das verhindern?

Löste Debatte aus: Gabriel Zucman




Löste Debatte aus: Gabriel Zucman


© Imago

Zum Gespräch empfängt Zucman in einem gesichtslosen Konferenzraum auf dem Campus einer Pariser Eliteuniversität. Er ist kein Typ, der das Rampenlicht sucht. Aber seit Frankreich im Chaos versinkt, ist Zucman ein gefragter Mann. Er betont, dass er in keiner Partei ist und auch die Tatsache, dass die Steuer seinen Namen trägt, ist ihm eher unangenehm. „Sie sollte besser Arnault-Steuer heißen“, sagt er trocken.

Obwohl sein Terminkalender aus allen Nähten platzt, nimmt er sich eine Stunde Zeit für das Gespräch mit der Auslandspresse. „Die Zwei-Prozent-Besteuerung der Milliardäre ist nicht die Lösung, möglicherweise aber Teil der Lösung“, sagt er bescheiden. „Es wird schwierig sein, Anstrengungen von den Franzosen zu verlangen, solange man nicht sicherstellt, dass die Superreichen auch Steuern zahlen.“

77 Prozent stehen hinter der Milliardärssteuer, manche bringen das deutlich zum Ausdruck




77 Prozent stehen hinter der Milliardärssteuer, manche bringen das deutlich zum Ausdruck


© AFP(2)

Die Milliardärssteuer ist im Februar nach erster Lesung von der französischen Nationalversammlung verabschiedet worden, im Juli hat der Senat, das französische Oberhaus, das Gesetz gestoppt. Doch als der inzwischen geschasste Regierungschef Bayrou kurz vor der Sommerpause seinen Sparhaushalt vorstellte und zwei Feiertage streichen wollte, wuchs der Groll und rückte das Thema soziale Gerechtigkeit wieder ins Zentrum der öffentlichen Debatte. 77 Prozent der Franzosen sind laut Umfragen für die Zucman-Steuer.

In den sozialen Netzwerken entstand die Bewegung „Alles blockieren“. Nach einem ersten schwachen Aktionstag vergangene Woche, an dem sich landesweit nur rund 200.000 Personen beteiligten, demonstrierten am Donnerstag laut Innenministerium eine halbe Million Menschen, die Gewerkschaften sprachen von einer Million. Beim ersten Mal gelang es nicht, Frankreich zu blockieren, beim zweiten Mal waren die Gewerkschaften dabei. Etliche Menschen ließen aus Protest die Arbeit ruhen. Zahlreiche Apotheken blieben wegen des Streiks geschlossen, Lehrkräfte fehlten in den Schulen und bei Bussen und Bahnen gab es Ausfälle und Verzögerungen. Die Forderungen der Demonstranten sind höchst verschieden, aber eines eint sie: Das Gefühl, dass immer nur die kleinen Leute zur Kasse gebeten werden. „Generation Zucman“ stand auf vielen Plakaten.

Neue Gelbwestenproteste

In der Pariser Übergangsregierung macht sich die Angst breit, dass sich eine neue Gelbwestbewegung entwickeln könnte. Auch die begann nicht von einem Tag auf den anderen. Und wenn Frankreichs neuer Regierungschef Sébastien Lecornu einen Sparhaushalt erfolgreich durchbringen will, muss er die soziale Wut in irgendeiner Form auffangen. Die Zucman-Steuer könnte dabei helfen. Die Sozialisten, deren Unterstützung die von Emmanuel Macrons ernannte Minderheitsregierung braucht, fordern sie. Das sorgt für Druck. Lecornu hat bereits Gesprächsbereitschaft signalisiert, obwohl der Präsident strikt dagegen ist.

Die nun losgebrochene Debatte wirft aber auch viele Fragen auf: Werden die Milliardäre massenweise als Steuerflüchtlinge das Land verlassen? Wird die Zucman-Steuer Investoren verscheuchen? Und ist sie überhaupt verfassungskonform? Diese Argumente versucht Zucman in den Fernseh- und Radiostudios, in denen er zurzeit Dauergast ist, zu entkräften. „Mit dem Gespenst der Steuerflucht will man der Öffentlichkeit Angst machen“, sagt der Ökonom. Seriöse Rechnungen gehen von einer winzigen Minderheit aus, die das Land verlassen würde, nicht einmal ein Prozent. Außerdem könnte man wie die Amerikaner verfahren, argumentiert Zucman, und Franzosen mit Auslandswohnsitz weiter besteuern, zumindest einige Jahre. Die Amerikaner machen es ein Leben lang. „Bei Steuerregeln handelt es sich nicht um Naturgesetze, sondern um Entscheidungen der Politik“, sagt der Forscher.