Jahrelang bekleidete Dmitri Kosak wichtige Posten in der russischen Führung und vertrat gegenüber der Ukraine eine harte Linie. Doch als einer von ganz wenigen war er gegen Präsident Putins Entscheidung zum Grossangriff. Dadurch geriet er ins Abseits.
Dmitri Kosak war mehr als zwei Jahrzehnte lang ein Weggefährte Präsident Wladimir Putins.
Ekaterina Shtukina / Sputnik / Reuters
Am Schluss hatte Dmitri Kosak genug vom Staatsdienst, und der Kreml hatte vermutlich auch genug von ihm. In einem dürren Erlass entliess ihn Russlands Präsident Wladimir Putin aus dem Amt des stellvertretenden Leiters der Präsidialverwaltung. In dem Dokument steht kein Grund. Auch die Formulierung «im Zusammenhang mit der Übernahme einer neuen Aufgabe» fehlt. Er prüfe verschiedene Angebote aus der Geschäftswelt, hiess es über den 66-jährigen Funktionär. Er habe selbst um Entlassung gebeten, weil ihn die Beteiligung an den Entwicklungen im Land belastet habe. Selbst geäussert hat er sich bis jetzt nicht.
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Aufstieg an Putins Seite
Der Vorgang ist bemerkenswert, auch wenn er sich seit einer Weile abgezeichnet hatte. Kosak hatte mehr als zwei Jahrzehnte lang hochrangige Funktionen besetzt, die das Vertrauen des Präsidenten voraussetzen. Geboren und aufgewachsen in der ukrainischen Sowjetrepublik, hatte er nach dem Militärdienst als Fallschirmspringer bei den Geheimdienst-Spezialtruppen Jura studiert, und zwar in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg. In der dortigen Stadtverwaltung lernte er Anfang der neunziger Jahre den heutigen Präsidenten kennen. Kosak leitete die einflussreiche Justizabteilung, Putin die Abteilung für Aussenwirtschaftskontakte.
Als dieser 1999 russischer Ministerpräsident wurde, holte er Kosak nach Moskau und betraute ihn immer wieder mit verantwortungsvollen Aufgaben: Leiter des Regierungsapparats, stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung, Leiter des Wahlkampfstabs. Von 2004 bis 2007 sollte er im damals unruhigen Süden Russlands, vor allem im Nordkaukasus, als Bevollmächtigter des Präsidenten für Ordnung sorgen. Er tat dies, auch später als Minister für regionale Entwicklung und als Vizeministerpräsident, indem er neue Akzente setzte: Nicht nur mit Strafaktionen der Sicherheitsbehörden wollte er dem Islamismus den Boden entziehen, sondern auch mit der Stärkung der staatlichen Institutionen und sozioökonomischen Verbesserungen.
Als stellvertretender Regierungschef verantwortete er die Olympischen Spiele in Sotschi, später die Integration der annektierten Halbinsel Krim und die Energie- und Rohstoffpolitik. 2020 kam Kosaks Karriere zum Stillstand. Im neuen Kabinett von Ministerpräsident Michail Mischustin war kein Platz mehr für ihn. Er kehrte in die Präsidialverwaltung zurück und übernahm eher undankbare Aufgaben: die Beziehungen zur Ukraine und «eingefrorene Konflikte» auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Er war Russlands Unterhändler für das sogenannte Normandie-Format, in dem die Umsetzung des Minsker Abkommens von 2015 zur Lösung der Ukraine-Krise verhandelt wurde. Teilnehmern ist er als zuweilen impulsiver Gesprächspartner mit stundenlangem Durchhaltevermögen in Erinnerung.
Die Gunst verloren
Er sei stolz darauf, Ukrainer zu sein, hatte er einst gesagt, als die Konfrontation und erst recht der Krieg noch undenkbar gewesen waren. 2021, als die russische Armee entlang der Grenze in Stellung ging und sich immer mehr abzeichnete, dass es militärisch eskalieren könnte, verunglimpfte er gegenüber amerikanischen Diplomaten die Regierung in Kiew grob. Wenige Monate später entpuppte er sich als der einzige hochrangige Funktionär, der am Vorabend der Invasion im Februar 2022 zur Fortsetzung der Verhandlungen aufrief.
Sein Auftritt vor dem russischen Sicherheitsrat am 21. Februar 2022 wurde aus dem Protokoll entfernt. Hinter verschlossenen Türen soll er Putin vor der Entscheidung gewarnt und den erbitterten Widerstand der Ukrainer prophezeit haben, wie die «New York Times» kürzlich berichtete. Daraufhin soll er in Ungnade gefallen sein und zusehends seine Zuständigkeiten verloren haben. Später habe er Vorschläge zur Beendigung des Krieges und zur Entpolitisierung von Justiz und Geheimdienst vorgelegt. Im August wurden die letzten Abteilungen, die ihm noch unterstanden, aufgelöst, neu geordnet und dem ersten stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung, Sergei Kirijenko, unterstellt.
Selten hat ein Beamter von Kosaks Rang den Kreml einfach verlassen. Altgediente Funktionäre werden normalerweise auch dann wenigstens auf Ehrenposten verschoben, wenn sie die Gunst des Präsidenten verloren haben: Sie wissen zu viel, sie sollen auf Distanz unter Kontrolle bleiben, und solange sie sich nicht offensichtlich eines Fehlverhaltens schuldig gemacht haben, gebührt es auch der Respekt ihnen gegenüber. So wurde Sergei Schoigu nach seinem Sturz als Verteidigungsminister immerhin Sekretär des Sicherheitsrats.
Das Schicksal anzunehmen, gehört zum ungeschriebenen Kodex, selbst wenn das in die Überstellung an die Strafverfolgungsbehörden mündet. Umso härter traf es die Elite, als im Juli der Verkehrsminister Roman Starowoit Suizid beging, um der Vorführung im Gitterkäfig des Gerichtssaals zu entgehen. Er entschied selbst über sein Leben; das war nicht vorgesehen. Kosak dürfte weicher fallen. Dreieinhalb Jahre lang wurde er trotz allem auf seinem Posten belassen. Vielleicht merkte er nun selbst, dass Putin kritische Voten auch von langjährigen Weggefährten nicht mehr wünscht.