Mitten in München bröckelt ein Balkon, in einem Innenhof fällt ein Betonteil auf den darunter liegenden Vorbau. Die Bewohner verständigen umgehend ihren Vermieter, nach ein paar Wochen kommt jemand und schaut sich das Malheur an. Nach einer weiteren Weile werden alle Balkone an der Hausfassade eingerüstet und mit Planen versehen; den Bewohnern wird das Betreten der Balkone aus Sicherheitsgründen untersagt.

Der Vermieter, die städtische Wohnungsgesellschaft „Münchner Wohnen“ (MW), informiert schriftlich, dass er „in Kürze eine Balkoninstandsetzung im Anwesen Baaderstraße 9 durchführen wird“. Datiert ist das Schreiben vom 6. September 2024. Dann geschieht erst einmal ganz lange nichts.

Erst als die Stadtratsfraktion von ÖDP/München-Liste Mitte Juli bei Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nachfragt, kommt Bewegung in die Sache. Die Bewohner erhalten ein Schreiben, dass mit der Instandsetzung nun im Oktober begonnen werden soll – 15 Monate nach dem ersten Bröckeln, ein Jahr nach der Ankündigung, dass „in Kürze“ Arbeiten beginnen sollen.

Edith Drechslers Balkon an der Baaderstraße 9 ist seit 15 Monaten eingerüstet.Edith Drechslers Balkon an der Baaderstraße 9 ist seit 15 Monaten eingerüstet. (Foto: Stephan Rumpf)Nun sollen die Arbeiten „in Kürze“ beginnen.Nun sollen die Arbeiten „in Kürze“ beginnen. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein Sprecher der „Münchner Wohnen“ erklärt dazu auf Anfrage der SZ am Montag, dass für die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes „zwingend die Zustimmung der Denkmalschutzbehörde erforderlich“ und die Absprache „komplex“ sei. Man sei aber jetzt zuversichtlich, dass die Bauarbeiten „zeitnah“ beginnen könnten.

„Die Geschwindigkeit, mit der wir (…) reagieren, zeigt, wie ernst wir die Rückmeldungen unserer Mieterschaft nehmen“, schrieb die MW bereits im April auf eine SZ-Anfrage. Die bezog sich zwar auf einen anderen Fall – die Aussage scheint aber Allgemeingültigkeit zu besitzen.

Nicht weit entfernt von der Baaderstraße, an der Liebherrstraße 16, gab’s jedenfalls auch Klagen von Mietern, diesmal über neue Gäste, welche die MW ins Haus geholt hat: Ein Beherbergungsbetrieb bietet dort „Serviced Apartments“ nach dem Airbnb-Modell an. Die im Haus wohnenden Familien fühlen sich gestört und belästigt, vor allem durch nächtlichen Lärm. Es gab einen Besichtigungstermin mit der MW, mehr nicht. Erst als die Mietergemeinschaft Anfang September eine Beschwerdeliste mit 150 Vorfällen seit April an den OB schickte, reagierte der. Dieter Reiter wies die MW an, mit Sofortmaßnahmen für Ruhe zu sorgen.

Es ist offensichtlich höchste Zeit, dass der Oberbürgermeister eingreift bei der „Münchner Wohnen“, dem Unternehmen, zu der die beiden städtischen Wohnungsgesellschaften Gewofag und GWG zum 1. Januar 2024 fusioniert worden sind. Im Sommer hat Reiter bereits den Vorsitz des Aufsichtsrats von seiner Parteifreundin Verena Dietl übernommen, der dritten Bürgermeisterin. Bei einer Aufsichtsratssitzung in dieser Woche soll nun zumindest einer der beiden vakanten Geschäftsführerposten besetzt werden. Im Führungsgremium saß zuletzt nur noch Christian Müller, früher SPD-Fraktionschef im Stadtrat. Der ist zuständig für die Hausbewirtschaftung, den Bereich, in den die meisten Missstände fallen, die an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Sie lesen sich wie eine Chronik des Chaos.

Ein Beispiel, über das unlängst die Abendzeitung berichtete: In einer Wohnung am Harras gab’s im September 2024 einen Wasserschaden, wegen einer Verstopfung des Abflusssystems sei das Wasser knöchelhoch in den Räumen gestanden. Gutachter von Versicherung und Sozialamt hätten sie als unbewohnbar eingestuft, berichtete die Bewohnerin der Zeitung, aber unternommen habe die MW nichts. Selbst als sie die Miete einbehielt, habe es noch drei Monate gedauert, bis das bei der MW auffiel. Außer einer Mahnung sei weiterhin nichts geschehen. Erst als die Partei Die Linke eine Anfrage im Stadtrat stellte und die Abendzeitung gleichzeitig bei der MW nachhakte, wurde das Unternehmen aktiv.

Schon am nächsten Tag seien zwei MW-Mitarbeiter vor der Tür der Frau gestanden, mit einem Blumenstrauß in der Hand und einer Entschuldigung auf den Lippen, berichtete die AZ. Ein Sprecher der MW habe danach mitgeteilt, man stehe im direkten Kontakt mit der Mieterin: „Wir arbeiten wie immer in solchen Fällen daran, schnell zu einer guten Lösung zu kommen.“

Bei der SZ meldete sich in diesen Tagen eine Frau aus einem Nachbarhaus des Anwesens am Harras. Auch dort habe es einen Wasserschaden gegeben, berichtete sie. Sie habe bereits im Januar 2024 Feuchtigkeit in einer Wand an die Hausverwaltung gemeldet. Doch erst als sich im Juni des laufenden Jahres starker Schimmel ausgebreitet hatte, habe die MW Handwerker vorbeigeschickt. Aktuell liefen Schadensbehebung und Sanierung ihrer Wohnung freilich immer noch, schildert die Frau. Wann sie wieder hinein könne, wisse sie nicht. Ihre Erfahrungen mit der „Münchner Wohnen“ hat sie auf vier eng beschriebenen Din-A4-Seiten zusammengefasst.

In manchen Fällen hat die „Münchner Wohnen“ die Probleme nur von ihren Vorgängern geerbt, vor allem von der GWG, wie es scheint. Die hatte beispielsweise noch jenen börsenorientierten Gasliefervertrag abgeschlossen, unter dem dann vor allem die Menschen im Münchner Norden litten und leiden. Weil die Gaspreise mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Jahr 2022 enorm stiegen, führte das 2023 zu hohen Nachzahlungsforderungen in teils vierstelliger Höhe, die noch von der GWG in Rechnung gestellt wurden. Die Beschwerden darüber landeten dann freilich von Anfang 2024 an beim neuen Unternehmen, der „Münchner Wohnen“.

Besonders betroffen sind offensichtlich Mieterinnen und Mieter der MW im Norden der Stadt. Die SZ erreichen immer wieder E-Mails und Hinweise von Menschen, die sich über mangelnde Informationen beklagen, über ausbleibende oder ausweichende Antworten auf Anfragen. So vermissen gleich mehrere Anwohner in einer MW-Liegenschaft zwischen Rathenaustraße und Karl-Postl-Straße im Münchner Norden genauere Auskünfte über die dortigen Bau- und Sanierungsmaßnahmen. „Als Anwohner fühlt man sich alleingelassen“, schreibt ein Mann.

Alte Rohrsysteme wie dieses im Hasenbergl sollen zu Heizkosten in bis zu fünfstelliger Höhe geführt haben.Alte Rohrsysteme wie dieses im Hasenbergl sollen zu Heizkosten in bis zu fünfstelliger Höhe geführt haben. (Foto: privat)

Im Münchner Norden versuchen vor allem die Kommunalpolitiker der Linken, den Menschen zu helfen, die sich von der städtischen Wohnungsgesellschaft vernachlässigt fühlen. So überprüfte der energiepolitische Fachmann der Partei, Christian Schwarzenberger, Hunderte von Nebenkostenabrechnungen und holte den Menschen dadurch viel Geld zurück. Er monierte auch hohe Heizkosten oder Müllgebühren und hinterfragte deren Zustandekommen, im Gegensatz zur MW. Der kamen ja selbst Heizkosten in fünfstelliger Höhe nicht so seltsam vor, dass sie der Sache mal auf den Grund gegangen wäre – sie reichte die Kosten einfach an ihre Mieter weiter. Dabei scheint das Problem an einem alten Rohrsystem zu liegen, sollte also vom Unternehmen zu beheben sein.

„Wenn Balkone einstürzen, Heizkosten falsch abgerechnet werden und die städtische Wohnungsbaugesellschaft auf Beschwerden einfach nicht reagiert, läuft etwas grundsätzlich falsch“, fand ÖDP-Fraktionschef Tobias Ruff im Juli, als er den bröckelnden Balkon an der Baaderstraße publik machte. Die „Münchner Wohnen“ reagierte darauf nach der SZ-Anfrage auf ihre Weise: „Die in der Stadtratsanfrage der ÖDP/München-Liste erhobenen Behauptungen treffen nicht zu“, schrieb sie; Mieterinnen und Mieter würden „regelmäßig schriftlich informiert“.