Zunächst wirkte alles wie ein gewaltiges Schnäppchen: Auf der Suche nach einem neuen E-Auto ist Richard Kuon schließlich in China fündig geworden. Nach langer Internet-Recherche und ausgiebigen Vergleichen entschied sich der Pensionär aus Horb am Neckar für den U5 von Aiways – ein noch keine zehn Jahre alter E-Auto-Hersteller aus Shanghai.
„Es ist ein tolles Auto“, sagt Kuon noch heute – trotz aller negativen Erfahrungen, die er seither mit dem Wagen gemacht hat. Noch einmal einen „Chinesen“ kaufen würde der Schwäbische.de-Leser allerdings auf gar keinen Fall – aus gutem Grund.
Schickes Design, hervorragende Ausstattung und sehr gute Fahreigenschaften – dazu ein ausgesprochen gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Richard Kuon hat für den neuen Chinesen – abzüglich aller Rabatte und Förderungen – lediglich 32.000 Euro bezahlt. Ein guter Preis. Der ADAC, der dem U5 in einem Test vor gut drei Jahren die Note 2,5 gegeben hatte, verglich das Gefährt aus Fernost sogar mit dem EQC von Mercedes-Benz.
Der Premium-Stromer aus Stuttgart kostet im Listenpreis allerdings nahezu das Doppelte, wie der Automobilclub verdeutlicht. „Ein rundes Angebot“ sei der Aiways U5 vor diesem Hintergrund – und der Stromer aus Shanghai biete eine „gute“ Verarbeitungsqualität, so das Fazit des ADAC. Allerdings sind seit dem Marktstart im Jahr 2020 nur etwas mehr als 1000 Aiways U5 in Deutschland zugelassen worden.
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Heute sieht der Käufer den Hersteller aus China anders
Die guten Bewertungen von höchster Stelle und auch eigene Recherchen haben Richard Kuon schließlich vom Aiways U5 überzeugt. Vor gut dreieinhalb Jahren kaufte der Senior aus dem Horber Stadtteil Talheim das Modell bei Euronics in Rottweil, dem damaligen Vertriebspartner von Aiways in Deutschland. „Alles ist perfekt gelaufen“, erinnert sich der E-Auto-Kunde daran zurück.
Gut ein Jahr lang war auch alles bestens und Kuon hatte seine Freude an dem schicken Chinesen, der alles in allem gut unterwegs war und zudem über praktisch jeden erdenklichen Schnick-Schnack verfügte. Doch dann hat es angefangen: „Der Service verschlechterte sich schnell und Garantieleistungen wurden zunehmend zum Problem“, berichtet Kuon.
Zudem sei der Kontakt zu Aiways mehr und mehr eingeschränkt worden. Inzwischen sei das Unternehmen aus China, das seine Deutschland-Zentrale in München hat, überhaupt nicht mehr zu erreichen – weder telefonisch noch per E-Mail. Auch ein Brief per Einschreiben eines „Aiways-Leidensgenossen“, den Kuon aus dem Internet kennt, sei inzwischen als „nicht zustellbar“ zurückgekommen. Eine Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ an Aiways blieb ebenfalls unbeantwortet.
„So kann man doch nicht mit den Kunden umgehen“
Heute verkaufen die Geschäfte des genossenschaftlichen Elektronikverbunds Euronics keine chinesischen E-Autos mehr. „Die Zusammenarbeit mit Aiways wurde im Juni 2023 beendet“, teilt eine Euronics-Sprecherin auf Anfrage mit. Derzeit bestehe auch „keine Partnerschaft mit einem Fahrzeughersteller“, heißt es von der Unternehmensgruppe mit Sitz in Ditzingen bei Stuttgart. Angesprochen auf die negativen Erfahrungen von Kuon, sagt die Sprecherin: „Bei uns in der Zentrale sind aktuell keine Meldungen über Probleme bekannt.“ Allerdings seien Servicethemen und Wartung „während der gemeinsamen Zeit mit Aiways“ über ATU gelaufen.
Ganz am Anfang, als Kuon einen Unfallschaden am U5 hatte, lief alles noch bestens. Doch mittlerweile stockt die Versorgung mit Ersatzteilen erheblich. Auf einen neuen Türgriff wartet der Pensionär aus Horb nun bereits seit Wochen vergeblich. Die Steuerungs-App des Wagens für das Handy sei vor mehr als sechs Monaten von Aiways gelöscht worden – auf eine neue Version wartet Kuon noch immer. „Das ist eine riesige Unverschämtheit. So kann man doch nicht mit den Kunden hier in Europa umgehen“, schimpft der Schwabe auf den Hersteller.
Vertrieb eingestellt? Firma ist nicht mehr erreichbar
Im Sommer 2023 wurden erstmals finanzielle Probleme bei Aiways bekannt. Chinesische Quellen berichteten, dass die Auszahlung der Gehälter zeitweise unterbrochen war und die Produktion im Februar ebenfalls gestoppt werden musste, da Zulieferer nicht bezahlt werden konnten. Im Mai 2024 gab der Hersteller aus Shanghai dann bekannt, sich vom chinesischen Markt zurückzuziehen und fortan nur noch in Europa Autos anbieten zu wollen.
Ob hierzulande tatsächlich noch Aiways verkauft werden, ist allerdings unklar. Gerüchteweise ist der Vertrieb auch bei uns längst eingestellt worden. Das Unternehmen selbst ist nicht mehr erreichbar – weder für Kunden noch für Presseanfragen. Entsprechend machen sich Kuon und andere Aiways-Kunden in ganz Europa berechtigte Sorgen um die zukünftige Versorgung mit Ersatzteilen.
Aiways-Kunde: ATU tut „alles erdenklich Mögliche“
Auf ATU – insbesondere seine Werkstatt in Stuttgart – lässt der Horber E-Auto-Fahrer aber nichts kommen. „Die Kundenbetreuung ist wirklich hervorragend, sie tun alles erdenklich Mögliche für uns“, berichtet Kuon über die Werkstatt, die seinen Aiways U5 „betreut“.
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ATU ist seit 2020 Kooperationspartner für Wartung und Service der Aiways-Fahrzeuge im deutschen Markt. „Im Zuge dieser Kooperation übernimmt ATU auch Garantie- und Gewährleistungsarbeiten im Auftrag des Herstellers und nach dessen Vorgabe. Die Ersatzteilversorgung liegt jedoch in der Verantwortung von Aiways“, stellt ein ATU-Sprecher auf Anfrage klar. Deshalb will er sich zum Thema Ersatzteilverfügbarkeit auch nicht äußern – und verweist an den Hersteller aus dem Reich der Mitte. Weitere Service-Kooperationen mit chinesischen Autobauern bestehen laut der Werkstattkette derzeit nicht. ATU stelle aber auch für das vietnamesische Unternehmen „Vinfast“ das Servicenetzwerk in Deutschland bereit.
„Bloß die Finger weg von diesen Autos“
Doch wie geht es nun weiter für Richard Kuon? Noch funktioniert der U5 von Aiways bestens – abgesehen von dem defekten Türgriff und dem Fehlen der Handy-App, die für den Betrieb des Fahrzeugs jedoch nicht erforderlich ist. An einen Verkauf des Wagens denkt Kuon auf gar keinen Fall – dieser wäre ohnehin wohl nur mit einem massiven Wertverlust möglich. „Meine Frau und ich fahren das Auto nach wie vor sehr gerne“, berichtet der Horber – trotz aller Probleme.
Auf die Frage, was er nun zu tun gedenkt, meint er augenzwinkernd: „Ich fahre einfach weiter, warte auf den neuen Türgriff – und hoffe sehr, dass so schnell kein größerer Schaden an dem Auto auftreten wird.“ Denn dann könnte es durchaus kompliziert werden. Ein Satz im ADAC-Test des U5 vom Juni 2022 wirkt rückblickend beinahe prophetisch: Offen bleibt derweil, ob der gute Eindruck des Fahrzeugs „auch in der Langzeitbetrachtung stehen bleibt“. Richard Kuon drückt es da deutlich klarer aus: „Bloß die Finger weg von diesen Autos – von Aiways und auch von allen anderen Chinesen!“